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Jungfilmer. Michael Fetter Nathansky erzählt Gabis Geschichte.

© M. Thomas

Filmuni-Beiträge bei der Berlinale 2017: Gegenentwürfe

Zwei sehr verschiedene Berlinale-Beiträge der Filmuniversität Babelsberg aus der märkischen Provinz.

Berlin/Potsdam - Unterschiedlicher könnte es nicht sein, das Brandenburg, das Potsdamer Filmstudenten auf der Berlinale zeigen. Mysteriös, dunkel und leer ist das Land in Sebastian Langs Debütfilm „Kontener“, während Michael Fetter Nathansky seine Geschichte um „Gabi“ in einem Brandenburg zwischen Plattenbau und Kleinstadt ansiedelt. Nur eins haben beide Filme, die derzeit auf den Berliner Filmfestspielen zu sehen sind, gemeinsam: die Leere. Beim einen ist es das leere Land, leere Ställe und eine sinnentleerte Existenz. Bei Gabi ist es die Leere zwischen den Menschen, der die junge Frau mit Rollenspielen zu entfliehen sucht.

Die stämmige Fliesenlegermeisterin Gabi ist resolut und unverwüstlich. Als sie nach Hause kommt und ihren Mann im Schlafzimmer mit einer Anderen hört, packt sie seelenruhig den Einkauf aus und macht sich etwas zu Essen. Als der Vater aus dem Altenheim bei ihr einquartiert wird, nimmt sie auch diese Aufgabe stoisch auf sich. Auf der Arbeit probt ihr Azubi Marco mit ihr das Schlussmachen mit seiner Freundin. So entdeckt Gabi das Schauspielen für sich, sie spielt mit allen, spielt etwas vor, so gut, dass am Ende keiner mehr weiß, woran er wirklich ist. Ist der Kuss für Marco echt, sind es ihre Tränen, die Verzweiflung oder die klare Absage, die sie ihrem Mann erteilt. Im Spiel erkennt Gabi eine Möglichkeit, der Leere und den Belastungen in ihrem Leben zu entfliehen. Sie schafft sich sozusagen Gegenentwürfe, was die anderen konsterniert zurücklässt.

Wir treffen den Babelsberger Filmstudent Michael Fetter Nathansky in der Berlinale-Lounge am Potsdamer Platz. Die Eindrücke der Eröffnungsgala vom Vorabend sind noch ganz frisch. Und nun wird sein eigener Film die Perspektive-Reihe mit eröffnen. Die Idee, eine Alltagssituation zu proben, in verschiedenen Varianten durchzuspielen, ist nicht neu im Film. Michael Fetter Nathansky hat es allerdings etwas weiter gedreht, er lässt Gabi über sich hinauswachsen, bis hin zur Verletzung der anderen. Ihre Gefühle spielen keine Rolle. Sagt sie zumindest. Doch Gabi weiß stellenweise selbst nicht mehr, was echt und was gespielt ist. „Sie sucht sich selbst“, sagt der gerade mal 23 Jahre junge Nachwuchsregisseur.

Gedreht wurde unter anderem auch in Potsdam-Golm. Brandenburg war für Nathansky gesetzt, „Gabi“ sollte außerhalb der Metropolen spielen, dort, wo Selbstinszenierung eigentlich kaum eine Rolle spielen sollte – und es sie natürlich doch gibt. Letztlich dreht sich der Film auch um das Genre selbst, um das Schauspielen. Denn dass Gabi (hervorragend: Gisa Flake) und Marco (Florian Kroop) als authentische Brandenburger durchgehen, ist ihrem Talent zu verdanken, kommt sie doch aus Braunschweig und er aus Erfurt, Regisseur Nathansky stammt aus Köln. Rollenspiele eben.

„Kontener“ von Sebastian Lang ist eher Filmkunstkino. Die düsteren Bilder, die minutenlang fesseln, werden nur von der herben polnischen Stimme der Erzählerin durchbrochen. Es ist mehr eine Erzählung als ein Film, eine Erzählung vor dem Hintergrund rätselhafter Bilder. Das hat etwas Gespenstisches, Beängstigendes. Marynas (Joanna Drozda) ebenfalls polnische Melker-Kollegin Tava (Anka Graczyk) ist seit Tagen verschwunden. Das würde Maryna nichts angehen, wenn nicht alle sie danach fragen würden. Und sie sich nicht an einen merkwürdigen Moment mit Tava erinnern würde. Plötzlich war sie wieder aufgetaucht, war zu ihr ins Bett gekommen, hatte sich an sie geklammert. Etwas war zwischen ihnen geschehen, etwas zwischen Verlangen und Verzweiflung. Doch gab es diesen somnambulen Moment in dem Wohncontainer wirklich? Und wo ist Tava nun? 300 magere Kühe, ein maroder Milchhof irgendwo am Ende der Welt, alte zahnlose Tagelöhner, spukhafte Bilder – ein Film, beklemmend wie ein Alptraum.

Sebastian Lang studiert seit 2014 an der Filmuniversität Babelsberg. Die langen Einstellungen, die Erzählstimme aus dem Off, die unwirklichen Geräusche im Hintergrund, das hat etwas stark Künstlerisches, das ist ein Gegenentwurf zu den oft rasend geschnittenen Filmen der Gegenwart. Doch mit seiner künstlerischen Herkunft, dem Theater, habe das wenig zu tun, sagt der 31-jährige Regisseur. Mit dem Filmemachen will er sich vielmehr von der Bühne emanzipieren. Am Theater hatte ihn das künstliche und oft sehr laute Sprechen und die Schwierigkeit, alte Stoffe in die Gegenwart zu holen, gestört. „Die Möglichkeit, natürlicher und feiner erzählen zu können, hat mich zum Film gebracht“, erzählt er.

Der dunkle Kern, um den sein Film „Kontener“ kreist, hat letztlich etwas Zerstörendes. Diese merkwürdige, unklare Begegnung im Dunklen, davon ist Maryna am Ende so peinlich berührt, dass sie schweigt, den anderen nichts davon erzählt. Sie erzählt es vielmehr dem Zuschauer. Doch auch sie selbst weiß nicht so genau, ob es stimmt, was sie über Tava sagt. Diese sehr menschliche Leerstelle ist es, um die es dem Regisseur geht.

Sebastian Lang wollte auch zeigen, was das Leben in der Fremde mit den Menschen anstellt. Dass die Melkerinnen aus Polen stammen, hat auch einen realen Hintergrund. Bei der Drehortsuche war die Filmcrew auf einen Hof im Fläming gestoßen. Eine polnische Hilfsarbeiterin in einer Baracke verbrachte hier die Nächte ganz alleine mit gut 500 Kühen – weitab von allem im Wald. „Sie sprach kein Deutsch, diese etwas gruselige Situation hat sich mir total eingebrannt“, erinnert sich Lang. Und so fand die unwirkliche Szene am Ende Eingang ins Drehbuch.

„Gabi“: Sa 11.2., 12 Uhr Colosseum 1; Sa 11.2., 20 Uhr CinemaxX 1; „Kontener“: Do 16.2., 19.30 Uhr, CinemaxX 3; Fr 17.02., 12 Uhr, Colosseum 1; Fr 17.2., 20.30 Uhr, CinemaxX 1. Wiederholung im Filmmuseum Potsdam: „Kontener“ Do., 23.02., 22 Uhr, „Gabi“ 24.2., 22 Uhr

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