zum Hauptinhalt
Lorenz Winkler-Horaček, Professor am Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität Berlin und Kustos der Abguss-Sammlung der FU Berlin, steht in den Räumen der Sammlung inmitten von Gipsabdrücken antiker Skulpturen.

© Rolf Brockschmidt/TSP

Wissenschaftliche Sammlungen in Berlin: Mit Gipsabgüssen auf Studienreise gehen

In der sehenswerten Abguss-Sammlung antiker Plastiken der Freien Universität werden in erster Linie Archäologie-Studierende ausgebildet. Doch ihre Vorgeschichte ist dramatisch.

Eine vollständige Sammlung von Gypsabgüssen der Bildhauerwerke klassischer Kunstepochen überwiegt in ihrem Nutzen für die Erkenntnisse der Kunst und für die allgemeine wissenschaftliche Belehrung eine Sammlung kostbarer Originalwerke bei weitem.“ Was Karl Bötticher, Direktor der Berliner Skulpturensammlung, 1871 konstatierte, klingt für heutige Ohren verwunderlich, zählt doch vor allem die Aura des Originals.

Doch für Studierende der Klassischen Archäologie ist eine Abguss-Sammlung antiker Plastik, wie sie die Freie Universität in Charlottenburg in Nachbarschaft zur Sammlung Scharf-Gerstenberg seit 1988 unterhält, von großem Wert. „Wir sind eine Lehrsammlung, in der primär Studierende ausgebildet werden“, sagt Lorenz Winkler-Horaček, Professor am Institut für Klassische Archäologie der FU und Kustos der Abguss-Sammlung. „Aber wir sind auch ein Museum mit über 2000 Abgüssen aus aller Welt.“

Die Ausbildung am Objekt sei zentral, da man Skulpturen nur dreidimensional im Raum betrachten und vergleichen könne, sagt Winkler-Horaček. Und da eine Studiensammlung primär ein Werkzeug zur Arbeit ist, das am besten immer in Bewegung und nicht ewig an einem Ort stehen bleibt, befinden sich alle Gipsskulpturen auf grauen Podesten mit Rädern. So kann man sehr schnell vier ähnliche Abgüsse aus verschiedenen Fundorten nebeneinander aufstellen und die Studierenden zum Vergleich anregen.

Abgüsse der wichtigsten antiken Statuen weltweit versammelt

Ein weiterer unschätzbarer Vorteil einer Abguss-Sammlung: Skulpturen unterschiedlicher Museen lassen sich in Beziehung setzen, ohne die Standorte der Originale zu besuchen. Zu den herausragenden Werken, die alle Studierenden der Klassischen Archäologie kennen müssen und über die die Abgusssammlung verfügt, gehören die Nike von Samothrake (Paris, Louvre), Laokoon (Rom, Vatikanische Museen), Herakles Farnese (Neapel, Archäologisches Nationalmuseum), der sogenannte Kritiosknabe (Athen, Akropolis-Museum), eine Karyatide vom Erechtheion (London, British Museum) und die Statue des Doryphoros (The Minneapolis Institute of Arts).

Die Antike lebt: auch dank Lorenz Winkler-Horaček, Professor am Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität Berlin und Kustos der Abguss-Sammlung der FU Berlin.

© Rolf Brockschmidt/TSP

Die Abguss-Sammlung funktioniert wie eine analoge Datenbank, sie vereint Abgüsse von Skulpturen aus aller Welt, wie man das heute aus Datenbanken mit digitalisierten Objekten kennt. Alle Objekte sind zwar auch in der Datenbank Arachne der Universität Köln und des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) digitalisiert und verfügbar, aber eben nur zweidimensional.

Die Sammlung eröffnet Studierenden der Klassischen Archäologie noch weitere Möglichkeiten, die sie während des Studiums mit Originalen nie hätten: Sie können hier selbstständig Ausstellungen zu bestimmten Themen für ein breites Publikum konzipieren.

Frühere Berliner Uni-Sammlungen wurden achtlos zerschlagen

Wie das aussehen kann, zeigt gerade eindrucksvoll die Ausstellung „Verehrt! Verachtet! Vernachlässigt! Gipsabgüsse antiker Skulpturen“, die noch bis zum 30. April in der Mitte der Dauerausstellung zu sehen ist. Die Studierenden sollten die neuesten Erkenntnisse von 21 Wissenschaftlern aus dem gerade erschienenen Band „Destroy the Copy – Plaster Cast Collections in the 19th/20th Centuries“ (Die Kopie zerstören – Gipsabgusssammlungen im 19. und 20. Jahrhundert), mitherausgegeben von Winkler-Horaček, darstellen.

Blick in eine von Studierenden der Klassischen Archäologie konzipierte Ausstellung in der Abgusssammlung der FU Berlin (2022/23).

© Rolf Brockschmidt/TSP

Die studentische Präsentation erklärt die historische Faszination der weißen, reinen Form, die Nutzung des Mediums Abguss, um weltweit europäische Kultur als vermeintliches Maß aller Dinge zu propagieren. Ebenso aber die Verachtung ab dem Ende der deutschen Kaiserzeit, als Abgüsse mit einem überholten bürgerlichen Bildungsideal gleichgesetzt wurden.

So war es auch in Berlin: Die 1696 am Hof gegründete Sammlung überlebte den Zweiten Weltkrieg im Universitätsgebäude Unter den Linden fast unbeschadet. 1951 wurde sie im wahrsten Sinne des Wortes zerschlagen, um Räume für die Slawistik freizumachen. Im Westen war es nicht besser: Die auf Schinkel zurückgehende Sammlung der Technischen Hochschule wurde während einer rauschenden Studentenparty an der Technischen Universität 1961 zerdeppert.

„In der Zerstörung lag aber auch eine Chance“, sagt Winkler-Horaček, „denn nun können wir in den neuen Sammlungen die Gipse auch jenseits alter Bildungsideale sehr viel freier und kreativer einsetzen.“ Die Sammlung ist lebendiger als man denkt: Immer wieder gibt es Ausstellungen zusammen mit zeitgenössischen Künstlern, die sich von den Gipsen inspirieren lassen. Und neue Projekte wie die „Skulptur des Monats“ sind geplant.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false