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Stephanie Bart: Wie wir Weihnachten feiern

Also, so negative Sachen, die gibt’s bei uns nicht - eine Geschichte von Stephanie Bart.

Also wir sind absolute Weihnachts freaks. Weihnachten ist immer erste Priorität, da muss alles andere zurücktreten.

Natürlich gehen wir auch in die Kirche, aber ich sag mal so, die Religion ist nicht das Allerwichtigste. Wir haben uns aus dieser Weihnachtsgeschichte das Familienmotiv genommen: Da ist ja die Heilige Familie, Maria und Joseph und eben das Jesuskind, und deshalb ist Weihnachten eigentlich ein Fest, bei dem die Familie gefeiert wird, und das ist bei uns das Allerwichtigste. Zum Beispiel ist klar, am 24. wird nicht gestritten und nicht gemeckert, also so negative Sachen, die gibt's da einfach nicht. Nun hat man sich ja nicht immer komplett unter Kontrolle, und wenn jetzt einer doch mal was Negatives sagt, dann sagt der andere bloß, 'wie schön, dass heute Weihnachten ist', das ist das Stichwort, und dann weiß der andre sofort Bescheid und ist wieder freundlich.

Und jetzt ist es ja so, dass ich Einzelkind bin, und meine Eltern sind auch Einzelkinder, so dass ich nicht mal Cousins oder Cousinen habe, aber meine Eltern haben immer gesagt: Familie ist mehr. Und deshalb haben sie immer aus dem örtlichen Waisenheim zwei oder drei Kinder geholt, damit wir am 24. die richtige Familie haben. Da sind sie ein paar Tage vorher hin und haben das mit den Erziehern besprochen, wer von den Kindern dafür in Frage kommt. Bei den Heimkindern, da gibt's nämlich auch solche und solche. Meine Eltern haben dann mit den ausgewählten Kindern vorher ein Gespräch geführt, damit die auch Bescheid wussten. Das war für beide Seiten gut, weil die Kinder wussten, was sie erwartet, und nicht in einer fremden, unsicheren Situation waren, und meine Eltern konnten sicherstellen, dass alles gut geht. Bloß ein einziges Mal gab es Schwierigkeiten. Da hat ein Heimkind sich aufgeführt und Krawall gemacht. Aber meine Eltern sind auf so etwas natürlich vorbereitet, sie sind ganz lieb geblieben, das ist ja das oberste Gebot an Weihnachten, und haben dem Kind ein Schlafmittel gegeben, und es ist dann sofort eingeschlafen, und wir konnten in Ruhe und Frieden weitermachen.

Also das mit den Heimkindern war eine gute Sache, aber mit den Großeltern ging es leider nicht so gut. Drei von ihnen sind früh gestorben und damit für Weihnachten ausgefallen, und übrig war nur noch meine Großmutter mütterlicherseits. Wir haben wirklich alles versucht, aber sie hat uns dreimal das Fest ruiniert und dann haben wir sie nicht mehr eingeladen, weil uns in diesem Moment unser Weihnachten wichtiger ist als die Oma.

Und dann lag natürlich das Altenheim nahe, weil das mit dem Waisenheim immer so gut funktioniert hat. Also meine Eltern haben das genauso sorgfältig vorbereitet wie mit den Kindern, aber dann ist folgendes passiert: Die Wahl fiel letztendlich auf eine Frau, die niemanden mehr hatte, und das Problem war, dass sie einen Alzheimer hatte, der aber noch nicht erkannt war, sonst hätten wir sie ja auch gar nicht genommen.

Und wie meine Eltern alles mit ihr besprochen haben, war sie also völlig klar im Kopf, und am 24. ging auch zuerst alles gut, aber dann hatte sie diesen Aussetzer, der überhaupt nicht mehr aufhören wollte, und redete pausenlos von den Hitlerschen Heil- und Pflegeanstalten und vom Spritzengeben, und das Schlimme war, dass es uns nicht gelungen ist, das Thema zu wechseln, und dass das mit dem Schlafmittel auch nicht ging, weil sie ja sowieso altershalber unter Medikamenten stand, also das war zu gefährlich. Und jetzt dieser endlose Monolog mit dem unpassenden Thema, und das an Weihnachten, und die ließ sich durch nichts unterbrechen, also das war ein solches Fiasko, das kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Meine Eltern haben sich dann bei der Heimleitung beschwert und das einzig Gute war, dass man wenigstens ihren Alzheimer diagnostizieren konnte. Aber für uns war das natürlich ein Trauma.

Damit war das Altenheim erledigt, und wir haben unser Konzept modernisiert. Wir haben uns orientiert an den Diskussionen über Familie: wie die sich verändert und Regenbogenfamilien und Multikultur, und so sind wir auf die Asylbewerber gekommen. Da spricht man in der Vorbereitung eben nicht mit Erziehern oder Altenpflegern, sondern mit Sozialarbeitern, und da muss man etwas vorsichtiger sein. Die reden immer gleich von Ausbeutung und Ausnutzen und so. Typischer Sozialarbeiterquatsch. Klar wollen wir was von denen, aber die kriegen ja auch was von uns, und nicht zu wenig!

Also die Vorbereitungen sind viel aufwendiger als bei den Heimkindern, aber das lohnt sich, weil die Asylbewerber auch viel dankbarer sind und mehr zu schätzen wissen, was sie da kriegen. Wenn wir die geeigneten Teilnehmer gefunden haben, zum Beispiel muss man sich ja irgendwie sprachlich verständigen können, dann führen wir regelrechte Verhandlungen. Wir machen klar, was wir wollen, und dann können die sagen, ob sie das mitmachen wollen oder nicht. Das ist absolut Fair Play. Wo wir nicht mit uns reden lassen, ist, dass man an diesem Tag von Herzen lieb zueinander sein muss, ohne jede Rücksicht. Dann sagen wir noch, dass das eine einmalige Angelegenheit ist und keine Folgen hat, und das lassen wir uns auch unterschreiben.

Mit dem Essen und mit fremden Kulturen sind wir ganz flexibel. Meine Mutter bietet zum Beispiel immer an, dass sie das kocht, was die in ihren Herkunftsländern essen würden. Das ist ja auch eine kulinarische Bereicherung für uns. Wir haben auch schon Moslems und so russische Kontingentjuden gehabt, und da kommt dann die Religion ins Spiel. Die ist zwar für uns nicht das Allerwichtigste, aber der Kirchenbesuch gehört halt einfach dazu, und wir wollen schon, dass die da auch dabei sind. Klar, wenn alles andere stimmt, dann soll es daran nicht scheitern, aber eigentlich ist das ein Teil des Pakets.

Und dann die Bescherung. Wir fragen vorher, worüber sie sich freuen würden, und das ist verständlicherweise immer erst mal Geld, aber das ist so kalt und lieblos, und dann geben wir ihnen meistens doch Geld, weil es einfach das Allerwichtigste für sie ist, sie schicken es ja oft an ihre zurückgebliebenen Familien, aber dazu kommen dann persönliche Sachen, Selbstgemachtes, Individuelles. Und dann wäre es für die Asylbewerber doch beschämend, wenn sie uns nicht etwas Gleichwertiges schenken könnten wie wir ihnen, aber das können sie natürlich nicht, in den Umständen, wo sie leben. Die bringen also irgendwas Kleines mit, was man so aus dem Nichts zaubern kann, und wir kaufen die teuren Geschenke, die sie uns nachher schenken, selber, und das geht jedes Mal gut.

Wir haben noch nie eine Panne mit den Asylbewerbern gehabt, und unser Weihnachten ist viel interessanter und bunter geworden, das ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten, und ich bin sicher, wenn alle Menschen das so machen würden wie wir an Weihnachten mit den Asylbewerbern, wo man mal nur lieb zueinander ist, dann wären wir alle einen großen Schritt weiter.

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