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Ein Mitarbeiter des Gesundheitswesens bereitet eine Dosis des Corona-Impfstoffs von AstraZeneca vor.

© dpa/Sakchai Lalit/AP

Prozess nach Corona-Impfschaden: Gericht lässt erste Klage gegen Impfstoffhersteller zu

Nach einer Coronaimpfung erkrankt eine Frau schwer. Das Oberlandesgericht lässt eine Klage zu – und meldet Zweifel an, ob AstraZeneca die Risiken ausreichend kommuniziert hat.

Müssen die Hersteller von Coronaimpfstoffen in bestimmten Fällen Schmerzensgelder an Patienten mit Impfschäden zahlen? In einem möglicherweise wegweisenden Prozess hat das Oberlandesgericht Bamberg eine erste Entscheidung getroffen. Das Gericht zweifelt daran, dass der beklagte Hersteller AstraZeneca ausreichend über Nebenwirkungen informiert hat.

Die Richter:innen gehen derzeit davon aus, dass die Klägerin nicht mit dem Impfstoff von AstraZeneca geimpft worden wäre, wenn das Risiko einer Darmvenenthrombose in der Fachinformation des Herstellers dargestellt gewesen wäre, teilte das Gericht am Montag mit.

Die Kammer möchte ein Gutachten einholen. Mit diesem soll die Frage geklärt werden, „ob eine Darstellung in der Fachinformation nach dem damaligen wissenschaftlichen Stand geboten war.“

Der Anwalt der Frau, Volker Loeschner, bezeichnete die Entscheidung des Gerichts als Etappensieg. Von der Entscheidung gehe zudem eine Signalwirkung für andere Verfahren aus, dass Gerichte nicht ohne Gutachten über diese Thematik entscheiden könnten.

Diagnose Darmthrombose

Geklagt hatte eine heute 33-jährige Frau, die sich am 10. März 2021 mit dem Vakzin von AstraZeneca hatte impfen lassen. Zehn Tage später litt sie unter Durchfall und Schmerzen im Unterbauch. Im Krankenhaus wurde eine Darmthrombose festgestellt, der Frau wurden über drei Meter Darm entfernt. Sie ist bis heute berufsunfähig, leidet unter starken Schmerzen und ständigen Durchfällen, kann nur noch eingeschränkt essen und womöglich nie schwanger werden.

Inzwischen weiß man, dass der Impfstoff von AstraZeneca in sehr seltenen Fällen bei jüngeren Menschen Thrombosen verursacht hat, die zum Teil tödlich endeten. Besonders bekannt wurden tragische Fälle von Hirnvenenthrombosen. Der Zusammenhang ist heute gut untersucht, auch der Mechanismus der Erkrankung wurde in relativ kurzer Zeit aufgeklärt.

Die entscheidende Frage

Für den Prozess lautet die entscheidende Frage, ob das Risiko einer Thrombose dem Hersteller zum Zeitpunkt der Impfung schon bekannt war. Hätte er es bereits in den Fachinformationen kommunizieren müssen – und hätte sich die Frau dann gegen die Impfung entschieden?

Zu dem Zeitpunkt, als die Klägerin sich hatte impfen lassen, war eine Häufung von Thrombose-Fällen gerade öffentlich bekannt geworden. Eine Reihe von Ländern unterbrach die Impfungen mit AstraZeneca, den Anfang machte Dänemark am 11. März 2021. In Deutschland waren bis dahin – nach 1,2 Millionen Impfungen – elf Fälle unterschiedlicher Thrombosen im Zusammenhang mit dem Vakzin gemeldet worden. Vier Menschen waren gestorben.

Das Paul-Ehrlich-Institut sah zu diesem Zeitpunkt noch keine statistisch auffällige Häufung. Die Einschätzung änderte sich aber schon vier Tage später. Am 15. März gab der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bekannt, man würde die Impfung mit dem Vakzin vorsorglich aussetzen.

Das ist ein guter Tag für die geschädigten Geimpften.

Lutz Böttger, Fachanwalt für Medizinrecht in Osnabrück und Düsseldorf

Die Europäische Zulassungsbehörde EMA schätzte das Nutzen-Risikoverhältnis allerdings weiter positiv ein, der Impfstoff ist bis heute zugelassen. Am 30. März 2021 empfahl Ständige Impfkommission, in Deutschland nur noch Menschen über 60 die Impfung mit AstraZeneca zu geben, da die Sinusvenenthrombosen im Zusammenhang mit der Impfung nur bei jüngeren Menschen aufgetreten waren.

600.000 Euro Schmerzensgeld

Die Klägerin fordert von AstraZeneca nun mindestens 250.000 Euro Schmerzensgeld sowie 17.000 Euro für einen Verdienstausfall und bis zu 600.000 Euro für künftige Beeinträchtigungen. Die Anwälte von AstraZeneca schließen einen Vergleich als Einigung mit der Klägerin bislang aus und verweisen auf die Entscheidung der ersten Instanz.

Das Landgericht Hof hatte die Klage der Frau zuvor abgewiesen, da es weder einen Produktfehler noch einen Informationsfehler im Zusammenhang mit dem Impfstoff feststellen konnte. Dagegen legte die Frau Berufung ein.

„Das ist ein guter Tag für die geschädigten Geimpften“, sagt Lutz Böttger, Fachanwalt für Medizinrecht in Osnabrück und Düsseldorf, der den Prozess verfolgt. „Wir bereiten ähnliche Klagen vor, haben diese aber bisher zurückgehalten, um die Entscheidung aus Bamberg abzuwarten.“ Die spannende Frage sei für ihn gewesen, ob das Oberlandesgericht überhaupt eine Klage gegen AstraZeneca zulässt.

In einer damaligen Verordnung der Bundesregierung sei eine Haftung der Hersteller unter den besonderen Bedingungen der Pandemie weitgehend ausgeschlossen worden. „Nach meiner Ansicht war ein solches Vorgehen aber unzulässig, weil hierdurch Ansprüche von Dritten ausgeschlossen wurden.“

Böttger sieht sich in seiner Auffassung nun bestätigt: „Ich interpretiere den Beschluss des Oberlandesgerichts so, dass die Auffassung der Impfstoffhersteller, Geimpfte könnten keine Ansprüche gegen die Hersteller durchsetzen, rechtlich nicht haltbar ist.“ (mit dpa)

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