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Immer schneller, immer schneller: Studierende nehmen sich Zeit, um ihre Zukunft zu planen.

© dpa/Andreas Arnold

Man muss es sich leisten können: Orientierungsstudium nicht nur für Privilegierte

Das Tempo auf dem Bildungsmarkt legt immer weiter zu. Umso wichtiger, dass junge Studierende zunächst herausfinden können, was ihnen liegt und was nicht.

Eine Kolumne von Barış Ünal

Studieninteressierte waren in letzter Zeit immer jünger. Dafür haben die frühere Einschulung, Abitur in zwölf Jahren, der Wegfall von Wehr- und Zivildienst und das stete Drängeln auf die frühere wirtschaftliche Verwertbarkeit des so dringend benötigten Humankapitals gesorgt.

Gleichzeitig wurde der Bedarf einer geschützten Test- und Orientierungsumgebung nach dem Abitur deutlicher. Denn der erste berufsqualifizierende Hochschulabschluss wirkt nach schnellen drei Jahren Studium bedrohlich nah. Da ist es nachvollziehbar, wenn sich die zukünftigen Steuer- und Beitragszahler*innen zunächst eine ausgiebige Phase der Exploration gönnen. So werden Orientierungsstudiengänge seit einigen Jahren immer beliebter: Das „Leibniz Kolleg“ an der Uni Tübingen etwa betreut bereits seit den 1950er-Jahren eine ausgewählte Klientel von jährlich rund 60 Stipendiat*innen.

„MINTgrün“ – das Orientierungsstudium an der Technischen Universität Berlin – ist dagegen zulassungsfrei. Es bietet rund 600 Teilnehmer*innen in zwei Semestern die Möglichkeit, in Laboren und Veranstaltungen unter realen Bedingungen auf Probe zu studieren, ohne sich festzulegen. Die enge Betreuung durch Projektlabore und Studienberatung trägt so zu der hohen Popularität eines solchen Programms bei. Bei den Teilnehmenden führt dies zu deutlich fundierteren Folgeentscheidungen.

Eine individuelle Kosten-Nutzen-Rechnung

Wer sich für ein Jahr der Entwicklung und betreuten Orientierung entscheidet, ist aber auch auf ein gewisses Maß an familiärem Rückhalt angewiesen. Der Soziologe Aladin El-Mafaalani beschreibt dies als soziale Herkunft, die beeinflusst, ob man angesichts knapper Ressourcen visionär und experimentierfreudig ist oder doch lieber auf „kurzfristige, funktionale und eindeutige“ Muster zurückgreift.

Eine Investition in ein Orientierungsjahr mit dem Versprechen zukünftiger „Rendite“ spricht naturgemäß eine Klientel an, die seltener von BAföG abhängig ist und bei der das Hochschulstudium häufiger Teil der Familienbiographie ist. Bei dem sich verschärfenden Tempo auf dem Bildungsmarkt gilt es zu vermeiden, dass Studienorientierung den Privilegierten vorbehalten bleibt. Das wirkt auch dem Bild entgegen, der Hochschulbereich wäre eine sich stets selbst reproduzierende Kaste.

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