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Die beiden Preisträger David Julius (l.) und Ardem Patapoutian.

© Jonathan NACKSTRAND / AFP)

Nobelpreis für Medizin: Anruf zu nächtlicher Stunde

Die beiden US-Forscher David Julius und Ardem Patapoutian erreichte das Nobel-Komitee auf Umwegen. Beide Spitzenforscher mit Migrationshintergrund.

Die Verkündung des diesjährigen Nobelpreises für Medizin am Montag begann ein paar Minuten später. Das Komitee des schwedischen Karolinska-Instituts musste erst noch die beiden Preisträger David Julius und Ardem Patapoutian von ihrem Glück in Kenntnis setzen.

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Was sich gar nicht so einfach gestaltet habe, so das Komitee. Bedurfte es doch der Hilfe eines Schwiegervaters und einer Schwägerin bei der Fahndung nach den richtigen Telefonnummern.

Überrascht und vielleicht sogar etwas geschockt

Die Preisträger waren natürlich äußerst glücklich. „Beide hatten sehr überrascht gewirkt und vielleicht sogar etwas geschockt“, sagte der Sekretär der Nobelversammlung des Stockholmer Karolinska-Instituts, Thomas Perlmann, am Montag nach der Verkündung. Es sei ihm eine Freude gewesen, den Forschern mitzuteilen, dass sie für die Entdeckung der Druck- und Wärmerezeptoren der Haut den weltweit renommiertesten Wissenschaftspreis erhalten.

Die Nachricht von seiner Auszeichnung hatte Ardem Patapoutian aufgrund der Zeitverschiebung in den USA offenbar noch zu nächtlicher Stunde erreicht – die offizielle Verkündung schaute er sich mit seinem Sohn im Bett sitzend an. 

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Ein vom Karolinska-Institut getwittertes Foto zeigt die beiden etwas schlaftrunken in Decken gewickelt, Patapoutian mit einem Laptop auf den Knien und ein sehr glückliches Lächeln im Gesicht. David Julius verfolgte die Bekanntgabe noch im Morgenmantel. „Wir dachten, es wäre ein Scherzanruf“, schrieb seine Frau Holly Ingraham auf Twitter, die wie ihr Mann auch Professorin für Physiologie an der University of California, San Francisco (UCSF) ist.

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David Julius war bereits seit 2014 im Gespräch

Ganz so überraschend dürfte die Nachricht aber zumindest für den 65-jährigen in New York geborenen Sinnesphysiologen Julius nicht gewesen sei. Seit 2014 wird der Sohn jüdischer Einwanderer aus Russland schon aufgrund der Zahl seiner Zitationen zu den Anwärtern auf einen Nobelpreis gezählt.

David Julius. Sohn jüdischer Einwanderer aus Russland.

© dpa

Julius, der unter anderem auch Redakteur der renommierten Zeitschrift „Annual Review of Physiology“ ist, hatte in den vergangenen Jahren in seiner Forschungsarbeit grundlegende Erkenntnisse über die molekularen und funktionellen Eigenschaften ionotroper Rezeptoren gewinnen können, die für die Schmerz-, Wärme- und Kälte-Wahrnehmung verantwortlich sind. Seine Erkenntnisse gelten als zentral für das Verständnis der molekularen Grundlagen des Temperaturempfindens, für das Kälte- und Wärmeempfindung integriert werden.

An der UCSF leitet Julius die Abteilung für Physiologie. In den späten 1990er Jahren hatte er dort seine Arbeiten mit Capsaicin begonnen, dem Stoff, der Chilis scharf macht. Damals war zwar bereits bekannt, dass Capsaicin bei Kontakt Schmerzrezeptoren aktiviert – aber wie genau das funktioniert, war unklar. Auch war vor den Arbeiten von Julius und Patapoutian nicht bekannt gewesen, wie Temperatur und mechanische Reize vom Nervensystem in elektrische Impulse umgewandelt werden.

Der von Julius entdeckte Capsaicin-Rezeptor vermittelt die Antwort des Körpers auf unterschiedliche Reize wie Temperatur, Entzündung oder Schädigung von Gewebe. Das bildet eine wichtige Grundlage zur Behandlung des chronischen Schmerzsyndroms und anderer Syndrome, die mit neurogener Entzündung, Arthrose, Krebs oder Asthma zusammenhängen. Letztlich haben die beiden entdeckt, wie Wärme, Kälte und mechanische Kräfte die Nervenimpulse auslösen, die es uns ermöglichen, die Welt um uns herum wahrzunehmen.

Wie das Drehbuch zum „American Dream“

Auch Ardem Patapoutian, der am Scripps-Institut in Kalifornien forscht, ist in der Forschung kein unbeschriebenes Blatt. Bei der Kennzahl für die weltweite Wahrnehmung eines Wissenschaftlers in Fachkreisen erzielte er die Werte 63 und 68 – Werte von 60 und höher nach 20 Jahren Forschungsaktivität werden nur einzigartige Persönlichkeiten nachgesagt.

Die Biographie des 54-jährigen Molekularbiologen und Neurowissenschaftlers liest sich wie das Drehbuch zum „American Dream“. „Er ist vom Einwandererkind zu einem richtigen Amerikaner geworden“, sagte der britischer Neurobiologe Gary R. Lewin anerkennend dem Tagesspiegel. Somit erhielten den begehrten Preis in diesem Jahr gleich zwei US-Forscher mit Migrationshintergrund.

Ardem Patapoutian. Emigrierte als junger Mann vom Libanon in die USA. Foto: Reuters

© via REUTERS

Als 19-jähriger war Patapoutian in die Vereinigten Staaten emigriert, zuvor hatte der gebürtige Libanese bereits an der American University of Beirut studiert. Als junger Mann war Patapoutian nach Los Angeles gezogen und hatte am California Institute of Technology in Pasadena promoviert. Seit 2000 arbeitet er bei Scripps Research, einer führenden biomedizinischen Forschungseinrichtung im kalifornischen La Jolla.

Regulierung von wichtigen Körperfunktionen

Ardem Patapoutian beschäftigte sich vorrangig mit der Frage, wie Druck und Berührungen vom Körper wahrgenommen werden. Ein Team um den Wissenschaftler hatte Zellen untersucht, die auf Berührungen mit einer Pipette mit elektrischen Signalen reagierten. 

Die Forschenden entdeckten sie eine neue Klasse von Sensoren, die auf mechanische Reize in der Haut und in inneren Organen reagieren. Die Rezeptoren sind auch für die Wahrnehmung von Bewegung und der Körperposition im Raum zuständig sowie an der Regulierung von wichtigen Körperfunktionen beteiligt, etwa dem Blutdruck, der Atmung und der Kontrolle der Harnblase.

Patapoutian ist seit 2016 Fellow der American Association for the Advancement of Science, seit 2017 Mitglied der National Academy of Sciences und seit 2020 der American Academy of Arts and Sciences. 2017 erhielt Patapoutian den W. Alden Spencer Award, 2019 den Rosenstiel Award, 2020 den Kavli-Preis für Neurowissenschaften sowie den BBVA Foundation Frontiers of Knowledge Award in Biologie/Biomedizin.

Julius und Patapoutian teilen sich die in diesem Jahr mit zehn Millionen schwedischen Kronen – rund 980 000 Euro – dotierte Auszeichnung.

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