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Immobilien: Im Dornröschenschlaf

Unter den Linden 40 steht ein Baudenkmal seit bald zehn Jahren leer. Der Eigentümer ist hoffnungslos überschuldet. Und er zahlt keine Zinsen. Sein Gläubiger, die Bankgesellschaft Berlin, verlangt auch kein Geld von ihm

„Boah, schau mal“, ruft der Junge, reißt sich vom Vater los und drückt die Nase an dem Schaufenster Unter den Linden 40 platt. „Nicht so dicht an die Scheibe, du machst dich ganz schmutzig“, ermahnt ihn die Mutter mit der Vuitton-Tasche in der Armbeuge. Die Begeisterung ihres Sohnes gilt dem Modell des Berliner Stadtschlosses hinter dem schlierengrauen Fensterglas. Die bonbonfarbene Miniatur ließ die „Gesellschaft historisches Berlin“ hier zurück, als sie aus den Räumen auszog. Der einzige, zeitweilige Mieter des prachtvollen, aber sanierungsbedürftigen Baudenkmals Unter den Linden führte früher mal das Wort in der inzwischen etwas eingeschlafenen Diskussion um die Rekonstruktion des Hohenzollernbaus.

Neben dem angestaubten Schlossmodell liegen ein paar Sicherheitsschlüssel verstreut auf der Fensterbank des neoklassizistischen Gebäudes. Die Immobilie an der Touristenmeile liegt seit bald einem Jahrzehnt im Dornröschenschlaf. Das liegt an der wechselvollen Geschichte des 1907 errichteten „Verwaltungsgebäudes der Internationalen Schlafwagengesellschaft“. Und es liegt an den zuletzt schillernden Eigentümern. Dass niemand die Sanierung in Angriff nimmt, ist aber auch darauf zurückzuführen, dass Töchter der Bankgesellschaft für diese Immobilie einmal rund 220 Millionen Mark an einen gewissen Dr. Jürgen Schneider herausgaben. So viel Geld wird so schnell nie mehr jemand für diesen Altbau bezahlen, doch billiger will die Bank das Haus auch nicht abgeben.

54,9 Millionen Euro Verlust drohen

„Unter den Linden 40 zählt sicher zu den interessantesten Immobilien in Berlin überhaupt“, sagt Jörg Nehls, „sie hat nur einen Nachteil, sie ist zu teuer, um einen Käufer zu finden.“ Nehls ist Chef des international tätigen Maklerkonzerns Atis-Müller. Das Unternehmen brachte schon bei mehreren Dutzend Spitzenimmobilien in Berliner City-Lagen Käufer und Verkäufer zusammen. Daher kennt Nehls diesen Markt wie seine Westentasche. Und daher liegt er mit seiner Einschätzung von „UdL 40“, wie das Gebäude unter Brancheninsidern heißt, richtig: Das Baudenkmal mit den wuchtigen Kolosalpilastern im Obergeschoss ist bei weitem nicht die kolossalen Geldbeträge wert, die der Bankenkonzern einmal dafür herausgab. Das ist nun auch in dessen Kreditbüchern nachzulesen, die dem Tagesspiegel vorliegen.

Demnach rechnet allein die Konzerntochter Landesbank Berlin (LBB) bei der Lindenimmobilie mit Verlusten in Höhe von 54,9 Millionen Euro. Auf diesen Betrag beläuft sich jedenfalls der bankendeutsch „Wertberichtigung“ genannte Teil des Kredites, den die LBB nach Einschätzung von Wirtschaftsprüfern bei einem Verkauf der Linden-Immobilie nicht zurückbekäme.

Doch damit nicht genug: Die beunruhigend hohe Summe steigt weiter von Monat zu Monat. Denn „UdL 40“ hat keine Mieter. Daher fehlt auch das Geld, um die Zinsen für die Millionenkredite zu bezahlen. Die Bank muss selbst einspringen und deshalb wächst der Schuldenberg. Hierzu heißt es in den Büchern der Bank: „Die auflaufenden Zinsen werden durch die Bank gestundet respektive durch einen kurzfristigen Geldmarktkredit finanziert.“ Anders ausgedrückt: Dem schlechten Geld wirft das Geldhaus gutes hinterher.

Auf Rückfrage des Tagesspiegel, wie es mit dem überschuldeten Baudenkmal nun weitergehen soll, heißt es bei der Bankgesellschaft Berlin: „Es ist nicht Aufgabe der Bank, Pläne für die Immobilie zu entwickeln – sie ist nicht Eigentümerin der Bavaria Immobilien Management&Co UdL 40 KG.“

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Eigentümerin, die Bavaria UdL 40 KG, ist ohne die Hilfe der Bank handlungsunfähig, weil die Immobilie völlig überschuldet ist. Und die Schulden wachsen, denn die Bavaria UdL 40 KG zahlt seit Jahren keinen Euro Zinsen an die Bank. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern, denn das Haus hat keine Mieter und deshalb gibt es auch künftig kein Geld, um Zinsen zu zahlen.

Dass die Bank ihren „Kunden“ nicht zur Rechenschaft zieht, hat gute Gründe. Die Bavaria UdL 40 KG ist nur deshalb „Eigentümer“ der Immobilie geworden, weil diese sonst böse Spuren in den Bilanzen des Geldhauses hinterlassen hätte. Um dies zu verhindern, verschob die Bank das Objekt lieber in die Auffanggesellschaft Bavaria UdL 40 KG. Zugleich wurde Christian Lauritzen, Hauptgesellschafter der Gesellschaft, beauftragt, eine Sanierung in Angriff zu nehmen. Lauritzen gehören laut Handelsregister 70 Prozent der Bavaria UdL 40-Gesellschaft. Außerdem beteiligt: die ehemalige Kanzlei des Rechtsanwaltes Köning Kärgel Lauritzen (KKL).

Lauritzen ließ nichts unversucht, um das Objekt an den Mann zu bringen. Das Baudenkmal tauchte immer mal wieder auf dem Markt auf: So war im Immobilienspiegel vom 22.Oktober 1995 zu lesen, dass das Maklerhaus Angermann um Angebote für „das französische Palais Unter den Linden 40“ bittet. Doch niemand bot genug für den Prachtbau mit einer Gesamtfläche von 13622 Quadratmetern.

Lauritzen gilt als Mann für schwierige Fälle. Der erfahrene Sanierer sprang beispielsweise auch ein, als die Großkreditnehmer der Bankgesellschaft Peter und Isolde Kottmair ihre Schulden nicht mehr abzahlen konnten. Die Kottmairs hatten nach Entwürfen von Stararchitekt Aldo Rossi die bunten Bauten in der Schützenstraße entwickelt. Nach Kottmairs Pleite übernahm Lauritzen das Management der Auffanggesellschaft, stellte die Häuser fertig und gewann einen Hotelbetreiber als Pächter. Dadurch hielt sich der Schaden für die Bank in Grenzen.

Allerdings will die Bankgesellschaft heute mit ihrem früheren Geschäftspartner nur noch wenig Berührungspunkte haben. Das Problem: Lauritzen ist immer noch Eigentümer der Bavaria UdL 40, auch wenn das Eigentum wegen der vielen Schulden auf der Immobilie nur auf dem Papier steht.

Theoretisch könnte die Bankgesellschaft sich die Immobilie zurück holen, wenn sie die Kredite fällig stellte und dann im Notfall den Gerichtsvollzieher schickte. Sie wird es allerdings wohl nie tun, obwohl Lauritzen selbst seit Jahren von „seiner“ Gesellschaft Unter den Linden profitiert, zumindest in steuerlicher Hinsicht: Die Verluste „seiner“ Gesellschaft kann Lauritzen beim Finanzamt mit persönlichen Einnahmen verrechnen.

Früherer Eigentümer: Dr. Schneider

Weil die Bank immer noch Grund zur Dankbarkeit hat, ist es kaum denkbar, dass sie die eigene Verantwortung für eine Pleite auf einen Rechtsanwalt abwälzt, der von Töchtern des Bankenkonzerns einst selbst um Hilfe gebeten wurde. Lauritzen hatte nämlich die Immobilie Unter den Linden 40 zu einem Zeitpunkt übernommen, als das Objekt schon längst völlig überschuldet war. Der frühere Eigentümer von UdL 40 war nämlich der besagte Dr. Jürgen Schneider. Und der legendäre Pleitier hatte höchstpersönlich die Millionenkredite für die Lindenimmobilie von Landesbank und Berlin-Hyp erhalten.

Bevor Schneider sich 1994 nach Florida absetzte und bei einem halben Dutzend deutschen Banken einen Schuldenberg im Milliardenhöhe hinterließ, war er auch in Berliner Bankhäusern ein gern gesehener Kunde. Und weil Schneider einen guten Ruf genoss, nahmen es die Banker um Berlin-Hyp-Chef Klaus Landowsky nicht gar so genau mit der Prüfung der von Schneider eingereichten Kreditakte UdL 40. Jedenfalls sagte Schneiders ehemaliger Geschäftsführer bereits 1995: „Offensichtliche Diskrepanzen zwischen valutierender Hypothekenbelastung und tatsächlichem Marktwert fallen insbesondere bei Projekten wie Unter den Linden 40 in Berlin auf“. Im Klartext: Hätten die Berliner Banker die Schneider-Immobilie 1995 versteigern lassen, um ihre Kredite zurückzubekommen, dann hätten sie schon damals Millionenverluste gemacht.

Einige Jahre später, im Dezember 1997, sorgte Ex-CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky für Schlagzeilen: Die von ihm geführte Berlin-Hyp kündigte den Abriss des rückwärtigen Teils aus dem historischen Gebäudekomplex an. In der Mittelstraße 44 musste das Baudenkmal Platz für eine Tiefgarage machen. Zudem verkündete Landowskys Sprecher Detlef Untermann, man habe einen Käufer für die Immobilie gefunden.

Der Abriss gelang, der Verkauf scheiterte. Der nächste Anlauf folgte auf dem Fuße: Die Bank wollte Unter den Linden 40 nun zu einem „repräsentativen Konzernsitz“ für das eigene Haus umbauen. Eine clevere Strategie, hätten sich die Banker doch damit wie weiland Münchhausen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen: Mit ihren eigenen Mieten hätten sie die Zinsen für ihre eigenen Immobilienkredite bezahlen können. Dadurch hätten sie die Pleite verbergen können.

Doch auch diese Pläne verschwanden in den Schubladen, als die Krise in der Bankgesellschaft Berlin im Jahr 2001 offen ausbrach. Nur ein Zuschuss des Steuerzahlers in Höhe von rund zwei Milliarden Euro und weitere Milliardenbürgschaften des Landes retteten das Geldhaus. Seither mag niemand mehr Baupläne für prunkvolle Konzernzentralen.

Wie es nun weiter gehen soll mit der hochverschuldeten Immobilie, ist unklar. Die neuen Vorstände des Konzerns wollen mit dem schwierigen Erbe am liebsten nichts zu tun haben: „Diese Fragen betreffen den Eigentümer der Immobilie“, heißt es auf Anfrage des Tagesspiegel. Und in einem zweiten Fax heißt es außerdem: „Die Bank ist mit dem Eigentümer über die weitere Vorgehensweise im Gespräch.“ Der angebliche Eigentümer, der frühere Konzerndienstleister Lauritzen, hatte bereits 2001 angekündigt, alle Beteiligungen an Auffanggesellschaften der Bankgesellschaft aufgeben zu wollen. Die Verantwortung für Pleiten der Vergangenheit will heute niemand mehr tragen.

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