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Leiharbeiter

© Thilo Rückeis

Internet: Die Ersatzbank

Der eine will nach Australien, der andere muss seinen teuren Dispo ablösen, der Dritte braucht Geld, um Steuern zu zahlen. Sie alle könnten sich an Smava wenden, einen Handelsplatz im Internet, eine Art Ebay für Kredite.

Das mit dem Garten hat Pinky gleich gefallen. Er mag es selbst gern grün, hat in der Wohnung im Süden Berlins einen großen Balkon voller Pflanzen, und auf dem schmalen Fensterbrett neben dem Küchentisch stehen Blumen in Übertöpfen dicht an dicht.

Das mit dem Garten war „Kathleenchen, Gewerbetreibende, 28 Jahre, Brandenburg“. Sie schrieb: „Ich möchte schon seit längerer Zeit einen Garten haben (ich wohne in einer Mietwohnung und habe nicht mal einen Balkon), bisher hatte ich aber nichts Passendes gefunden. Jetzt habe ich ein tolles Angebot bekommen: Garten mit Bungalow und einer großen Werkstatt/Garage. Weil das Angebot wirklich super ist, möchte ich gerne zuschlagen und den Garten kaufen. Vielen Dank für Eure Unterstützung!“

Eine Börse für Kleinkredite

Kathleenchen brauchte für Garten und Bungalow 4000 Euro. Sie brauchte Kredit. Sie versprach, sieben Prozent Zinsen zu zahlen, Laufzeit 36 Monate. Die ersten 250 Euro bekam sie von Pinky. Das war an einem Vormittag, um 10 Uhr 31. Nachmittags um 17 Uhr 06 hatte sie den Betrag zusammen. Zehn Menschen, die sie nie gesehen hatte, vermutlich nie sehen wird, liehen ihr Geld, am 23. August 2007 kaufte sie den Garten.

Wunderschön, dieser Garten. Bestimmt 500 Quadratmeter. Und mittendrin das Häuschen. Klein. Winzig. Aber man kann dort übernachten. Sie haben Beete angelegt. Kartoffeln, Tomaten, Rosenkohl. Kathleenchen ist glücklich. Der Gartenkredit war Pinkys siebter Einsatz als Investor. Kathleenchen hat ihn bisher nicht enttäuscht. Sie zahlt planmäßig zurück. Pinky und Kathleenchen trafen bei Smava aufeinander, einer Bank, die keine Bank ist, sondern eher eine Börse, ein Handelsplatz. Im Internet.

Mindesteinsatz sind 250 Euro

Berlin-Mitte, ein modernisiertes Hinterhofgebäude, vierter Stock. Ein Aufkleber an der Holztür. Kleingeschrieben und hellgrün: smava. „Casual Friday“, entschuldigt Alexander Artopé sein Auftreten in Rollkragen und beigen Chinohosen statt Schlips und Kragen, wie es sich für Leute, deren Arbeit Geldangelegenheiten sind, gehören würde. Artopé, 39 Jahre alt, gebürtiger Münchner, Diplomkaufmann, hat Smava erfunden. „Kredite von Mensch zu Mensch“, so der Slogan. Nicht ganz erfunden. Es gibt Ähnliches bereits in England, in den USA. Eine Art Ebay für Kredite, und einer der Ebay-Gründer ist auch bei Smava dabei.

Das Prinzip: Die einen stellen vor, was sie haben, ihre Projekte, für die sie Geld brauchen, und die Zinsen, die sie zu zahlen bereit sind. Die anderen steigen bei Gefallen ein, Mindesteinsatz 250 Euro. Um dem Ganzen eine seriöse Basis zu geben, holt Smava von den potenziellen Kreditnehmern Schufa-Auskünfte ein – Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung –, Auskünfte also über deren Kreditwürdigkeit, und errechnet einen sogenannten KDF-Faktor, einen Kreditdienstfähigkeitsfaktor. Das sieht einfach aus, ist aber kompliziert zu regeln. Der Datenschutz muss gewährleistet, eine Bank gewonnen werden, die im Hintergrund bereitsteht zur Abwicklung der am Ende doch realen Transaktionen im Namen der virtuellen Ersatzbank. Die Welt ist reif für Smava

Am 26. März 2007 um 20 Uhr 31 hat Artopé den Knopf gedrückt, dann war Smava online und die Leute hier „sehr, sehr müde“, wie er sagt. Dem Start waren Monate harter Arbeit vorausgegangen. Und – die Suche nach Geld. Das lief nicht über Kredite. Eine Wagniskapitalfirma investierte acht Millionen Euro.

Ungefähr einen Monat nach dem Start kam Pinky zu Smava. Pinky ist Jan Drouven, 33 Jahre alt, gelernter Bankkaufmann und selbstständig mit einem Zwei-Mann-Unternehmen, das Promotion macht, in der Karstadt-Testküche italienische Pfannen vorführen, oder anonyme Testkäufe, etwa für Autofirmen. In irgendwelchen Newslettern habe er davon erfahren, sagt er, und die Idee nett gefunden, zu wissen, wohin genau sein Geld fließe.

Dass diese Direktheit dem Geldgeschäft verloren gegangen ist, haben die Beteiligten eindrucksvoll bewiesen. Unübersichtliche Derivate, unbekannte Risiken, Lehman-Pleite, Island pleite, Finanzkrise. Das System ist zu komplex geworden. Genaueres wissen, Übersicht herstellen, Kontrolle gar, die Mehrzahl der Geldgeschäftemacher wollte das gar nicht erst.

Das ist anders bei Smava. Jeder weiß alles. Kann alles wissen, weil alles übersichtlich ist. Ein Projekt, ein Betrag – die Anleger müssen sich nicht auf Unbekanntes einlassen. Die Welt des Geldes sei nun endlich reif für seine Idee, sagt Artopé. Zu lange schon sei sie in der Hand von Leuten, die keine Nähe mehr zu ihren Kunden haben. Die Smava-Anleger bewerben sich per Internet. Die Kreditnehmer schicken per Post, was gebraucht wird: Gehaltsabrechnungen, Kontoauszüge, Einkommensteuererklärungen. Persönlicher Kontakt ist nicht nötig, um einander nahe zu sein.

Träume realisieren helfen ist ein schönes Gefühl

In Pinkys offener Küche, die direkt ins Wohnzimmer übergeht, stehen modernste Gerätschaften. Besitz, der ihn mit Stolz erfüllt. Er lehnt sich auf einem der neuen Küchenstühle zurück und wippt ein bisschen, die Hände entspannt auf dem Bauch, der den leidenschaftlichen Hobbykoch ausweist. „Ich achte schon darauf, meinen Schnitt zu machen“, sagt Pinky, er grinst gemütlich. Die Espressomaschine zum Beispiel. Karstadt. Ein Ratenkauf zu null Prozent Zinsen. Da verdiene er doch dran, wenn gleichzeitig das Geld auf dem Tagesgeldkonto drei Prozent erziele. Das sind alles keine Riesenbeträge, aber Pinky macht allein schon das Hantieren mit Geld Spaß. In die Steuererklärung 2007 trug er Smava-Einkünfte in Höhe von 85 Euro ein. Und die sieben Prozent, die Kathleen ihm für seine 250 Euro zahlt, sind „Peanuts“, sagt er. Aber es geht ja nicht nur ums Geld.

Das von Pinky steckt in 17 Projekten. Das heißt auch, er hat 17 Menschen einen Schritt weitergebracht auf ihrem Weg zur Erfüllung eines Traums. Das ist ein schönes Gefühl. Und das hat ihn auch zum Investor der US-amerikanischen Internetgemeinschaft „Kiva“ gemacht. Dort kann man Beträge ab 25 Dollar in Entwicklungshilfeprojekte investieren. Als zinslose Mikrokredite. Pinkys Geld verhalf einer Schneiderin in Afghanistan zu einer neuen Nähmaschine und einer Meerschweinzüchterin in Peru zu einem größeren Stall.

Plausibilität zahlt sich aus

In der weiten Welt investiert Pinky immer nur in Frauen. Die seien zuverlässiger, sagt er. Lokal, also bei Smava, geht er nach Zinsen. Und Risiko streuen, das ist noch eines seiner Prinzipien. In allen Bonitätsklassen ist er zu finden mit seinen 250 Euro, mehr gibt es von ihm nie. Das erste Projekt, in das er bei Smava investierte, hieß „Hochzeiten, Taufen und vielleicht noch Kanada“. Das zweite war ein Reisewunsch: „Downunder, Outback, meine Frau und ich“. Es folgten „Ablösung eines teuren Dispo“ und „Übernahme von GmbH-Anteilen“.

„Ausgleichung meiner Altlasten.“

„Grundstücksabsicherung.“

„SOS! Die Steuer ist da!“

Alles Anliegen, die in ein paar möglichst fehlerlosen Sätzen umrissen waren und plausibel wirkten. Pinky kann neben Wünschen nach Ferien und Garten vor allem die Bedürfnisse jener verstehen, die als kleine Selbstständige mit Kreditwünschen bei Banken besonders hart auflaufen. Wer aber nur schreibe „Brauche Geld“ – das kommt durchaus vor –, der kriege von ihm nichts, sagt Pinky, kurz kalt lächelnd.

Neue Freiheit: Selbstständige helfen Selbstständigen

Geld geben, investieren oder nicht, ist auch Einfluss haben, am langen Hebel sitzen. Auch das macht Spaß. Die Gewerbetreibenden werden bei Smava allmählich zur größten Kreditnehmergruppe. Knapp die Hälfte der Kreditwunsch-Projekte stellen Selbstständige vor, sagt Artopé, weil die von den herkömmlichen Banken schlecht bedient würden.

So war es auch bei Kathleen. Ein paar Banken habe sie angefragt, aber die hätten Gebühren über Gebühren haben wollen, sogar für den Fall, dass kein Kredit zustande käme. Sie hat dann bei der Internetsuchmaschine Google „Kredit Selbstständige“ eingegeben, so kam sie zu Smava.

Sie schickte Belege ihrer finanziellen Situation nach Berlin und bekam die Erlaubnis, ihr Projekt in das Smava-Online-Formular einzugeben. „Ich habe dann immer mal geguckt“, sagt sie. Und es schließlich kaum glauben wollen, als am Ende des Tages das Geld für ihren Garten zusammengekommen war.

Der Kreditmarkt der Zukunft

In Artopés spartanischem Büro hängt ein kopierter Zeitungsartikel an der Wand. Überschrift: „42 Prozent Zinsen bei der Citibank“. Im Text geht es um Zusatzversicherungen und allerlei Kleingedrucktes, das auch seriöse Banken ihren Kunden mitvermitteln, bis die am Ende mit einer ungeahnt hohen Zinslast kämpfen. Artopé sagt, das sei ganz üblich. Wie bei den Angeboten der Fluggesellschaften. Als ob jemals jemand für 3 Euro 99 nach Barcelona oder so geflogen sei, sagt er. Das sei auch ein Argument für Smava. Es gebe nichts Kleingedrucktes, die Kreditkonditionen stehen fest, man weiß, was man bekommt.

Er wolle etwas „Sinnhaftes machen“, sagt er, „nicht nur Geld verdienen“. Wobei es ihm weniger um die glücklicher oder reicher werdenden Kunden seiner Internetplattform zu gehen scheint als um darum, Recht behalten zu haben mit der Annahme, dass ein virtueller Kreditmarkt funktioniert. 3000 Teilnehmer hätten sie heute, 1000 abgeschlossene Verträge, vermittelte Kredite im Wert von fünf Millionen Euro. Ein Prozent davon behält Smava.

Gegen mögliche Ausfälle hat Artopé sich einfallen lassen, dass alle Anleger ein bisschen was auf Konten einzahlen – „Pools“ –, aus denen dann Verluste beglichen werden. Das komme vor, sagt er, aber sehr selten. Die Stiftung Warentest jedenfalls habe das Unternehmen zwei Mal überprüft und nichts zu bemängeln gefunden.

Glück haben gehört dazu

Pinky hat diese Berichte genau studiert. Wie er alles genau studiert, was mit seinem Geld zu tun hat. Er scrollt sich durch Internetseiten, die ihn über den Stand seiner Investitionen bei Smava unterrichten, oder durch Reiseanbieterkataloge weltweit, wenn er in den Urlaub fahren will. Er weiß, wo Kühlschränke billig sind und wo Fernseher.

Als Jugendlicher hat er Summen, die er von den Großeltern bekam, angelegt. Fiel auch mal rein. Da waren 2000 D-Mark weg. Und mit Optionsscheinen hat er einmal 25.000 Euro, die er bereits gewonnen hatte, wieder verloren. Aber das vermieste ihm nicht den Spaß daran. Neulich war er in Nevada. Im Spielcasino. Er ging an einen 1-Cent-Automaten. Investierte fünf Cent. Und bekam 17 Dollar raus. Manchmal muss man auch Glück haben, wenn man mit Geld hantiert.

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