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Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im Gespräch

© Michael Kappeler/dpa

Kohleausstieg: "Die Lausitz muss Sonderfördergebiet werden"

Sigmar Gabriel (SPD) über die Folgen des Kohleausstiegs für die Menschen in den Revieren und die Verantwortung der Politik

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Herr Gabriel, wann muss Deutschland aus der Kohle aussteigen?

Ich rate dazu, nicht über Jahreszahlen zu reden, sondern dass es einen sukzessiven, planmäßigen und berechenbaren Ausstieg gibt. Für die Energiewirtschaft wäre nichts problematischer als abrupte Abbrüche. Planbar und berechenbar muss der Ausstieg auch für die Menschen in der Lausitz und im Rheinischen und im Mitteldeutschen Revier sein. Sie wollen von der Politik wissen, ob wir es ernst meinen mit der Schaffung von angemessenen Ersatzarbeitsplätzen, die eben nicht schlecht bezahlte Dienstleistungsjobs, etwa im Callcenter, sein dürfen. Heute haben wir in der Lausitzer Braunkohlewirtschaft gut bezahlte, hochqualifizierte Tätigkeiten mit einer guten Rente.

Haben Sie das Gefühl, dass die Sorgen von Industrien und von Kohlearbeitern beim Kohleausstieg nicht ausreichend berücksichtigt werden?

Den Industrien geht es um den Strompreis. Da hat der Staat Möglichkeiten, sie zu entlasten, etwa bei der Befreiung von der EEG-Umlage für energieintensive Unternehmen. Ich denke, davon wird die Bundesregierung auch in Zukunft Gebrauch machen. Den Mitarbeitern in der Kohle geht es darum, dass sie stolz sind auf das, was sie bisher geleistet haben. Das muss gewürdigt werden. Daneben braucht es ganz konkrete Maßnahmen, den Strukturwandel zu organisieren, neue Bahnstrecken und die Ansiedlung von Unternehmen. Da gab es berechtigte Kritik der Menschen, dass die zuständige Kommission diese Fragen noch nicht ausreichend berücksichtigt hatte.

Die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Kohleländer fordern 60 Milliarden Euro an Strukturhilfe. Ist das überzogen?

Das kann ich nicht beurteilen, weil ich die Forderungsgrundlage der Bundesländer nicht kenne. Aber klar ist doch: Es gab mal 100 000 Jobs in der ostdeutschen Braunkohlewirtschaft, davon sind 90 000 weggefallen. Das Versprechen, adäquate Alternativen zu schaffen, ist bisher nicht umgesetzt. Es wird jetzt also erheblicher finanzieller Anstrengungen bedürfen, es gibt Nachholbedarf. Mein Rat ist, dass wir uns in Brüssel dafür einsetzen, dass die Lausitz und die anderen Reviere nun für ihren Beitrag, die Klimaziele zu erreichen, ordentlich belohnt werden. Die Lausitz muss ein Sonderfördergebiet werden, also eine Region, in der man mit höheren Mitteln Ansiedlungen und Investitionen fördert und zwar über einen längeren Zeitraum. Da wären zehn Jahre eher kurz gegriffen.

Welchen Einfluss haben die Landtagswahlen in den Ost-Bundesländern?

Gerade aufgrund des Strukturbruchs, den die Lausitz nach der Wende erlebt hat, sind die Menschen gegenüber der Politik skeptisch. Deswegen wäre es umso wichtiger gewesen, die Diskussion nicht mit dem Ausstiegsdatum zu beginnen, sondern mit der Konkretheit der Ersatzarbeitsplätze. So hätte die Politik das Vertrauen der Menschen gewinnen können. Dann wäre es hinterher einfacher, über den Ausstieg zu sprechen, zumal doch vor Ort auch alle wissen, dass es mit der Braunkohle dort endlich sein wird. So gab es ein Geschacher um verschiedene Zahlen. Dabei ist es doch für das Weltklima ganz unerheblich, ob Deutschland ein paar Jahre früher oder später aus der Kohle aussteigt. Entscheidend ist, dass der Ausstieg planbar für alle Beteiligten kommt.

Ist die Debatte um den Kohleausstieg ein Konjunkturprogramm für die AfD?

Wenn man die Menschen in ihren Alltagssorgen ignoriert und das alle demokratischen Parteien tun, dann wird die AfD versuchen, davon zu profitieren. Soweit ich weiß, ist das in vergangenen Landtagswahlen leider auch gelungen.

Von Ihnen stammt der Satz „Kein Hartz IV für alte Kraftwerke“. Das ist aber bei der Entschädigung für Kraftwerksbetreiber genau die Richtung, in die die Diskussion es geht. Ein Fehler?

Der Satz bezog sich auf Kapazitätsmärkte, bei denen die Steuerzahler auf Dauer für bereitgestellte Leistung bezahlen, von der man wohl aber nie Gebrauch machen würde. Das führt im Ausland nur dazu, dass man sich auf Kapazitäten aus Deutschland verlässt und selbst nicht in die sichere Stromversorgung investiert. Mir wäre ein Plan, wie man schrittweise aus der Kohle aussteigt, wichtiger als die Frage, wie schnell es geht und wie hoch Betreiber dafür entschädigt werden. Bei der Windenergie war es doch auch so, dass man möglichst schnell ausbauen wollte, die Leitungen jetzt aber fehlen. Je abgestimmter solche Veränderungen stattfinden, desto besser. Dafür kann es nötig sein, dass man Kapazitäten in der Reserve hält. Es gilt: je systematischer, desto besser und nicht je schneller, desto besser.

Die Mitglieder der Kohlekommission schlagen zudem eine CO2-Bepreisung in den Sektoren Verkehr und Wärme vor. Wie stehen Sie dazu?

Der Gedanke, die ganze Last der Energiewende nicht allein auf den Stromsektor zu packen, ist erstmal richtig. Wenn nun aber nur die Preise für Öl und Gas verteuert werden, dann trifft das natürlich vor allem Menschen, die nicht so viel Geld verdienen, zum Beispiel die sogenannten ‚unsanierten Pendler': Diejenigen, die in nicht gut isolierten Häusern wohnen und ihr Auto brauchen, um zum Arbeitsplatz zu kommen. Die Politik muss doch erstmal die Frage klären, welche Belastungen man an anderer Stelle für diese Menschen senkt, bevor sie über Preiserhöhungen in anderen Sektoren nachdenken. Erst mal die Nettoeinkommen der Menschen erhöhen, bevor man über die nächsten Abgabenbelastungen diskutiert. Frankreich hat es umgekehrt versucht, und das Ergebnis sind die Proteste der Gelbwesten. Solche gelben Westen liegen auch in den Kofferräumen deutscher Autofahrer. Wer jetzt wie die Kommission bei CSU-Verkehrsminister Scheuer vorschlägt, die Kraftstoffe um bis zu 55 Cent pro Liter zu verteuern, muss nicht ganz bei Trost sein. Dagegen waren die Erhöhungen in Frankreich ja geradezu moderat.

Die Preise müssen die CO2-Wahrheit sprechen, sonst gibt es keinen effizienten Klimaschutz.

Fein. Wer aber über die Preise von Klimaschutz redet, darf über Einkommensungleichheit nicht schweigen. Auch Klimaschutz darf nicht sozial blind sein. Dann muss die Politik vorher glasklar ansagen, wo sie im Gegenzug Kosten senken will. Ich kenne jemanden, der arbeitet in Ostdeutschland für 1400 Euro in einem Vier-Schicht-Betrieb. Der muss zur Arbeit mit dem Auto fahren, der kommt da gar nicht anders hin. Ich rate also, dass die Einkommensverhältnisse in Deutschland nicht aus den Augen verloren werden dürfen. Eine Maßnahme wie ein CO2-Preis wirkt sich ganz unterschiedlich auf die Menschen aus. Das Argument, um des Klimaschutzes Willen müsste man das in Kauf nehmen, das finde ich gefährlich und abgehoben. Ich wünsche mir, die Politik würde auch Fantasie entwickeln, wie sie das Nettoeinkommen derjenigen vergrößern will, bei denen sie die Absicht hat, die Alltagsausgaben zu verteuern.

(Das Gespräch führten Jakob Schlandt, Antje Sirleschtov und Nora Marie Zaremba)

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