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Wunden auf dem Platz. Zwei mexikanische Polizisten beim Spiel im Oktober gegen Venezuela.

© AFP

Mexiko: Wenn Fußball ein todernstes Spiel wird

Schüsse auf Spieler, randalierende Fans: In Mexiko hat die Gewalt den Fußball fest im Griff. Seit Jahren tobt in dem Land ein blutiger Drogenkrieg. Dieser erklärt aber nicht alle Fälle von Gewalt im Fußballmilieu.

Berlin - Salvador Cabañas trainiert wieder. Jeden Tag, sagt sein Vater, würde der paraguayische Stürmer auf dem Platz stehen. Mit einem Ball am Fuß und einer Kugel im Hinterkopf. Dem Nationalspieler wurde vor einem Jahr auf der Toilette eines Nachtclubs in Mexiko-Stadt von einem Fan in den Kopf geschossen. Der Mann hatte mit Cabañas gestritten, weil dieser seiner Meinung nach nicht genügend Tore schoss. Damit ist der Stürmer, der beim mexikanischen Erstligisten Club América unter Vertrag stand, eines der prominentesten Beispiele dafür, wie die Gewalt in Lateinamerika den Fußballsport beeinflusst. Kurz nach dem Schuss auf Cabaña streifte seinen Teamkollegen, den mexikanischen Mittelfeldspieler Juan Carlos Silva, bei einem vermeintlichen Raubüberfall ein Geschoss am Gesäß. Im Mai 2010 wurde der Nachwuchsfußballer und Zweitligist Guillermo Ademir Meza in Mexiko mit seiner Freundin erschossen.

Seit Jahren tobt in Mexiko ein blutiger Drogenkrieg, der allein im abgelaufenen Jahr etwa 12 000 Menschenleben kostete. Dieser erklärt aber nicht alle Fälle von Gewalt im Fußballmilieu. „Gewalt ist ein Phänomen, das den lateinamerikanischen Fußball eigentlich von Anfang an kennzeichnet“, sagt Stefan Rinke. Der Historiker arbeitet am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin und hat unter anderem zum Thema Fußball geforscht. Für Rinke liegt die Vermutung nahe, dass die Wett- und Drogenmafia starken Einfluss im lateinamerikanischen Fußball hat. Denn dort ist viel Geld zu verdienen. Dadurch komme auch der professionelle Fußball bis in die höchsten Ligen in Berührung mit dem organisierten Verbrechen. Gewaltverbrechen gegen einzelne Spieler seien eine Folge davon.

Nicht nur in Mexiko, in Lateinamerika allgemein hat Fußball die Eigenschaft, ein zuweilen todernstes Spiel zu sein. 1994 wurde der kolumbianische Abwehrspieler Andrés Escobar erschossen, nachdem Kolumbien durch sein Eigentor bei der Weltmeisterschaft ausschied. Und 2009 erschoss der kolumbianische Mittelfeldspieler Javier Florez nach einem verlorenen Spiel für seinen Klub Atletico Junior de Barranquilla einen Fan. Argentinien hat immer aufs Neue mit einer gewaltbereiten Hooliganszene zu kämpfen, in der Morde begangen werden. Für den Historiker Rinke ist das auch dem Umstand geschuldet, dass die Klubs, teils aus Geldmangel für Fanbeauftragte, teils aus mangelndem Bewusstsein für das Phänomen, die Gewalt billigend in Kauf nehmen.

In Mexiko versuchen die Behörden zumindest, etwas gegen die Gewalt zu unternehmen. So eskortieren Polizei und Soldaten im nördlichen Staat Monterrey zum Ende der Erstligasaison kurz vor Weihnachten unter großem Aufwand Fans der Gastmannschaft Santos Laguna von der Grenze zum Stadion und zurück – beim Hinspiel gegen Rayados Monterrey im Finale hatte es nach dem Spiel Straßenschlachten gegeben. Ein anderer Versuch, mit Fußball ein Zeichen gegen die Gewalt zu setzen, gelang mehr schlecht als recht: Die Nationalmannschaft trat zuletzt zu einem Freundschaftsspiel in der Gewalthochburg Ciudad Juarez gegen Venezuela an. Das Spiel endete im Chaos, weil Zuschauer mit Sicherheitsleuten kämpften und mehrere Fans auf das Spielfeld rannten. „Die Ausschreitungen von Fans bei Spielen sind auch ein Zeichen für die fehlende Macht des Staates“, sagt Rinke, „dann ist keine Hürde mehr da, die einen daran hindert, gegen die Polizei auszuteilen.“

Offiziell ist keine Stimme zu dem Thema einzuholen. Weder die nordamerikanische Fußballvereinigung Concacaf noch der mexikanische Fußballverband Femexfut reagierten auf mehrfache Anfragen. Aus der Kommunikationsabteilung von Femexfut hieß es nur, es gebe keine Gewalt im mexikanischen Fußball.

Für den Spieler Cabañas hat sein Kopfschuss nun ein juristisches Nachspiel. Der paraguayische Stürmer hat mit seiner Klage auf Auszahlung von Gehaltskosten in erster Instanz gegen seinen Verein América verloren. Nun will Cabañas vor dem Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne klagen. Dass Cabañas jemals wieder ein Punktspiel bestreitet, gilt in Mexiko als unwahrscheinlich.

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