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Vor allem im Winter, wo Laufveranstaltungen wegen Schnee und Eis abgesagt worden wären, sind virtuelle Rennen eine Alternative, auf die sonst niemand gekommen wäre.

© dpa/ Sebastian Kahnert

Laufen in Zeiten der Pandemie: Virtuelle Rennen sind der neue Laufboom

Tausende Menschen registrieren sich für virtuelle Läufe. Diese bieten neue Möglichkeiten, aber bringen auch Probleme mit sich.

Statt Ergebnislisten gibt es jede Menge Bilder. Selfies von Läufern, die ihre Medaille in die Kamera halten oder ihre gelaufene Zeit ablichten. Der Frostwiesenlauf im brandenburgischen Spreewald Ende Januar zählt jedes Jahr zu den ersten größeren Laufevents in der Mark, das gewöhnlich über 1000 Teilnehmer lockt. Diese schätzen die liebevolle Organisation und schwärmen von der schönen Landschaft, die man auf der Königsstrecke 30 Kilometer lang genießen kann. Die Landschaft blieb in diesem Jahr von den Läufern unberührt, das Wettlaufen fand und findet nur virtuell statt.

Auch im Spreewald versuchen die Organisatoren, ihre Lauf-Kundschaft in Zeiten der Pandemie zu binden, indem sie Startnummern, Urkunden und Medaillen verschicken, ohne dass die Teilnehmer an die tatsächliche Startlinie gehen. „Frostwiesenlauf zu Hause“ nennen die Veranstalter vom Spreewald-Marathon e.V. ihre Alternative. Durchaus mit Erfolg: Fast 2000 Läufer und Walker haben sich bislang für den virtuellen Frostwiesenlauf registriert. Was sonst einen halben Tag dauert, streckt sich über vier Wochen: Bis zum 28. Februar können die registrierten Teilnehmer zwischen 10 und 30 Kilometer laufen – egal wo, aber mit einer per Post verschickten Startnummer und vielleicht mit der Fantasie, über frostige Spreewald-Wiesen zu laufen.

Virtuelle Rennen sind in Zeiten der Corona-Pandemie der neue Laufboom. Große Laufportale wie Runner’s World listen inzwischen bis Ende 2021 weltweit Läufe auf, die real nicht stattfinden werden und für die sich dennoch tausende Läufer registrieren. Die Plattform „Virtuell Runners“, die nach eigenen Angaben eine Laufcommunity von 40000 Läufern unterhält, zieht den alternativen Lauftrend recht professionell auf. In ihrer Vorstellung können Läufer weltweit bei Rennen an den Start gehen, ganz gezielt Distanzen zwischen 10 und 42 Kilometer auswählen und Teilnehmershirts und exotische Finishermedaillen sammeln für Wettkämpfe, an denen sie unter realen Umständen womöglich nie mitgemacht hätten. Für 29,95 Euro können sie am Mexiko Tarahumara oder Bali Dream Marathon teilnehmen – wer früh bucht, bekommt sogar Rabatt.

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Für Brandenburgs Volkslaufwart Thomas Lenk sind virtuelle Läufe indes keine wirkliche Alternative, zumindest nicht auf Dauer. „Sie können das Flair nicht ersetzen, gemeinsam mit anderen an der Startlinie zu stehen, gemeinsam auf der Strecke zu sein und freudig ins Ziel zu kommen“, sagt der Vize-Präsident des Leichtathletikverbandes Brandenburg. „Ich hoffe, dass wir im Sommer wieder erste kleine Läufe veranstalten können“, sagt der Cottbuser. Noch aber seien die märkischen Laufveranstalter zurückhaltend, ihre Events anzumelden. 100 bis 110 Läufe waren in den vergangenen Jahren beim märkischen Leichtathletikverband registriert, „bislang sind es für dieses Jahr etwa 50“, sagt Lenk. Laufevents in Brandenburg gibt es allerdings wesentlich mehr, etwa 300 im Jahr. Doch melden viele Veranstalter ihre Läufe nicht mehr beim Verband an, nachdem der Deutsche Leichtathletikverband seit sechs Jahren die so genannten Laufmaut von 50 Cent je Finisher erhebt. Viele Organisatoren verweigern die Zahlung, „sind dann aber nicht mehr so gut versichert“, sagt Lenk.

Was mit dem Spreewald-Marathon passiert, ist völlig unklar

Die Versicherungsfrage stellt sich bei virtuellen Läufen nicht, wer mitmacht, läuft auf eigenes Risiko. Und jetzt, wo ganz Brandenburg unter einer dicken Schneedecke liegt und Laufveranstaltungen nicht wegen Corona, aber wegen Schnee und Eis abgesagt worden wären, sind virtuelle Rennen sogar eine Alternative, auf die sonst niemand gekommen wäre, wenn schlechte Wetterverhältnisse einen Lauf nicht möglich gemacht hätten.

Aber dass Brandenburg ein virtuelles Läuferland wird, glaubt Thomas Lenk nicht. Für viele der kleinen Läufe mit ein paar hundert Teilnehmern sei der Aufwand zu groß, virtuelle Varianten zu organisieren. „Die machen ihre Läufe meist nur, um ihre Vereinskasse etwas aufzufüllen und ein paar Euro zusätzlich für ihre Kinder- und Jugendarbeit einzunehmen“, meint Lenk. Daher sieht er auch keinen nennenswerten wirtschaftlichen Schaden durch die Absage vieler kleiner Läufe im vergangenen Jahr. „Die Einnahmen waren für die veranstaltenden Vereine eher ein Zubrot“, meint Lenk.

Doch sieht er durchaus größere Probleme für Veranstalter der großen Laufevents in Brandenburg, etwa für den Spreewald-Marathon, der im April mit seinen vielfältigen Angeboten an Rad- und Laufwettbewerben über vier Tage in der Vergangenheit fast 15000 Teilnehmer anzog. Was in diesem Jahr passiert, ist noch völlig unklar. Verärgert informieren die Organisatoren, dass es von den Behörden der drei Spreewaldkreise bislang keine Reaktion auf das vorgelegte Hygienekonzept gibt.

Virtuelle Alternativen bieten auch neue Möglichkeiten

Daher planen sie verschiedene Optionen, um das größte Massensport-Event in Brandenburg in diesem Jahr durchzuführen: In virtueller Form über das ganze Jahr oder mit realen Wettbewerben, die jedoch über das Jahr von April bis Oktober auf verschiedene Orte verteilt werden. Oder aber man verdient sich die beliebte Medaille in Form einer Spreewaldgurke bei einem individuellen sportlichen Wochenend-Ausflug in den Spreewald und holt sich gegen Nachweis der absolvierten Lauf- oder Radstrecke bei Partner-Hotels oder Tourismusformationen die Plakette ab.

Ganz so viel Aufwand betreibt der Stadtsportbund Potsdam als Veranstalter für die beiden großen Laufevents in der Landeshauptstadt nicht. Für den rbb-Drittelmarathon im April und den Schlösserlauf im Juni öffnen die Anmeldungsportale erst wenn absehbar ist, dass die Läufe ohne große Einschränkungen durchgeführt werden können. Aufwendige Rückerstattungen von Startgebühren will sich der Stadtsportbund somit ersparen.

Derweil ist inzwischen das zweite virtuelle Rennen in der Mark im Gange. Nach dem Frostwiesenlauf ist am 1. Februar der Schneeglöckchenlauf gestartet. Von den 1350 Startplätzen sind nur noch 250 übrig. Bis 31. März können sechs verschiedene Distanzen absolviert werden. Wer das gesamte Sextett von 600 bis 110 Kilometer schafft, bekommt ein sechsteiliges Schneeglocken-Set nach Hause geschickt. In Wirklichkeit wäre das nicht zu machen, die virtuelle Alternative macht es möglich.

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