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Und am Ende gewinnen doch die Favoriten. Cameron Meyer (vorn) und sein Partner Leigh Howard sicherten sich den Sieg beim Berliner Sechstagerennen.

© dpa

Australier gewinnen in Berlin: Veranstalter zufrieden mit Sechstagerennen

Für die Veranstalter war das am Dienstag zu Ende gegangene 101. Sechstagerennen ein Erfolg - auch wenn die Sieger am Ende nicht aus Berlin kamen.

Berlin - Die Indizien sind eindeutig: Oberfan Didi Senft jagt im Teufelskostüm durch die Menge, als hätte er auf seinem Dreizack gesessen, die Besucher erheben sich applaudierend von ihren Plätzen und trällern mit ihren Pfeifen, auf dass auch der Letzte einen Tages-Tinnitus mit nach Hause nimmt – die finalen Runden beim 101. Sechstagerennen stehen an. Den Schlusspunkt nach sechs Tagen anspruchsvollem Sport, guter Stimmung und im Wesentlichen vollen Rängen bietet an diesem späten Dienstagabend die Große Jagd. Das fachkundige Berliner Publikum weiß, wie es zu reagieren hat.

Eine Stunde später recken Leigh Howard und Cameron Meyer die Fäuste in die Luft. Zusammen können die Australier beinahe 100 Siege bei Bahn- und Straßenrennen sowie 16 Weltmeistertitel nachweisen, ein Erfolg allerdings hatte dem Gespann bis zu diesem Zeitpunkt noch gefehlt: jener beim Berliner Sechstagerennen. Insofern ist das Statement von Leigh Howard mehr als ein nettes Lippenbekenntnis. „Dieser Sieg ist nach Platz zwei im Vorjahr etwas Besonderes, ein großartiger Moment für uns“, sagte der 22-Jährige. „Wir mussten bis zum letzten Sprint kämpfen. Es war so knapp.“

Sportlich hätte es tatsächlich kaum spannender sein können. Vor dem Startschuss zum letzten Rennen besaßen fünf Teams realistische Chancen auf den Gesamtsieg: Neben den späteren Gewinnern waren da noch das belgische Gespann Kenny de Ketele/Iljo Keisse, die Schweizer Franco Marvulli und Silvan Dillier sowie die deutschen Duos Roger Kluge/Leif Lampater und Robert Bengsch/Marcel Kalz. Entsprechend angriffslustig gingen die Mannschaften in das Rennen, die Teams taktierten an den Pedalen. Ausschlaggebend für den Sieg der Australier war ihre Attacke kurz vor Beginn des Wertungssprints, die zwar erst nach etwa 25 Runden zum Erfolg führte, aber 20 zusätzliche Punkte einbrachte. Der Sieg im letzten Spurt sicherte schließlich den Gesamtsieg. Publikumsliebling Franco Marvulli, der mit Silvan Dillier den zweiten Platz belegte, fasste den Wahnsinn des letzten Rennens treffend zusammen: „Es war das ausgeglichenste Berliner Sechstagerennen, an das ich mich erinnern kann. Wir haben uns die ganze Zeit mit den führenden Belgiern bekriegt – und am Ende sind es die Aussies, die auf dem Treppchen in der Mitte stehen.“ Allerdings waren diese Geschehnisse auch bezeichnend für die Finaljagd, in der die Zwischenstände mehrfach durcheinandergewirbelt wurden – sehr zum Nachteil für das Duo Robert Bengsch und Marcel Kalz.

Völlig überraschend waren die Berliner vom ersten Tag an in der Spitzengruppe mitgefahren, am Ende belegten sie den fünften Platz. „Wir können trotzdem zufrieden sein“, sagte Kalz. „Ein bisschen Pech hatten wir ja auch.“ Kalz war am Sonnabend nach einem Zusammenstoß mit Silvan Dillier gestürzt, dadurch verloren die Berliner eine Runde. „Damit war fast klar, dass es für ganz vorn nicht mehr reichen würde“, sagte der 24-Jährige. „Ich habe trotzdem viel von Robert gelernt, mit dem ich ja zum ersten Mal zusammen gefahren bin. 2013 kommen wir in derselben Konstellation wieder, das ist sicher.“

Ebenso verbürgt ist, dass die Organisatoren im nächsten Jahr am gewohnten Konzept festhalten werden. Das Gerücht, die Veranstaltung werde wegen fehlenden Interesses der Zuschauer auf vier Tage verkürzt, dementierte Heinz Seesing vehement. „Von solchen Märchen kann ich mich nur distanzieren. Das steht überhaupt nicht zur Diskussion“, sagte der Veranstalter dem Tagesspiegel. Zwar räumte Seesing ein, dass vor allem die Resonanz am Freitagabend, als zahlreiche Plätze freigeblieben waren, nicht mit den Erwartungen korrespondierte. „Andererseits gab es in jedem Jahr einen schwächeren Tag. Auch wenn wir diesen Umstand kritisch hinterfragen müssen, stellen wir nicht plötzlich alles infrage“, sagte Seesing.

Zumal die offiziellen Zahlen für sich sprechen. Laut Veranstalter wollten 70 000 Besucher die Sprinter, Steher, Frauen und Mannschaftswettbewerbe, aber eben auch das bunte Rahmenprogramm sehen – bei einem Fassungsvermögen des Velodroms von gut 12 000 Besuchern und einer Veranstaltungsdauer von sechs Tagen allemal gut. „Die Zahlen aus dem Vorjahr haben wir zwar nicht erreicht“, sagte Seesing. „Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass wir 2011 unsere 100. Auflage gefeiert haben – da lief der Kartenverkauf praktisch von allein.“ Ob die finanziell bedingte Absage von Vorjahressieger Robert Bartko möglicherweise eine Rolle beim Ticketverkauf gespielt hat, will Seesing derweil nicht einschätzen. „Das ist spekulativ.“

Publikumsliebling Franco Marvulli, mit 33 Jahren einer der erfahrensten Fahrer im Starterfeld, sieht das anders. „Wenn man einen Lokalmatador hat, dann sollte man ihn im Regelfall auch einsetzen – erst recht, wenn er im Vorjahr gewonnen hat“, sagte der Schweizer. Andererseits hatte Bartkos Abwesenheit einen positiven Effekt auf die Wahrnehmung der Berliner Marcel Kalz und Robert Bengsch. „Es war ein unglaubliches Gefühl, die Fans im Rücken zu haben. Das habe ich in dem Ausmaß nicht gekannt“, sagte Kalz, für den es nach sechs Tagen im Sattel ohne Pause weitergeht. Bereits heute beginnt in Kopenhagen das nächste Sechstagerennen, die meisten Teilnehmer der Berliner Veranstaltung werden dort vertreten sein. Zum Auftakt steht eine Verfolgungsjagd über 100 Kilometer auf dem Programm.

„Wenn ich daran denke“, sagte Franco Marvulli und nahm einen großen Schluck aus seinem Bierglas, „dann kommt nicht gerade Freude auf.“

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