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Wladislava Urazowa holte bei Olympia Gold für Russlands Team, das damals unter neutraler Flagge antreten durfte.

© Imago/Itar-Tass

Turnen im Zeichen des Ukraine-Krieges: Die russischen Kaderathleten stehen bereit für Olympia

Auch bei der Turn-EM in der Türkei gibt es einmal mehr Debatten über die Zulassung russischer Sportler. Der Weltverband hat dabei schon eine Präferenz.

Von Katja Sturm

Eigentlich sollte seit Mittwochabend alles klar sein. Je 13 Männer- und Frauenteams haben sich bei den Kunstturn-Europameisterschaften im türkischen Antalya für die Welttitelkämpfe im Herbst in Antwerpen qualifiziert. Dort allein werden die restlichen Teamtickets für die Olympischen Spiele 2024 in Paris vergeben, nachdem je drei von zwölf bereits verteilt sind.

Bei den historischen EM-Siegen der italienischen Turner und der britischen Turnerinnen in der Sport-Arena der Stadt am Mittelmeer schoben sich Israel und Tschechien gerade noch in das Teilnehmerfeld für Belgien hinein; auch die beiden Riegen des Deutschen Turner-Bundes (DTB) sind als Fünfte und Neunte darin vertreten.

Nicht dabei sind Formationen aus Russland und Weißrussland. Noch immer liegt wegen des Angriffskrieges auf die Ukraine ein Bann über diesen beiden Nationen, und sie dürfen nach einem Beschluss des Weltturnverbandes FIG, dem auch die Europäische Union Folge leistet, nicht an internationalen Turnwettkämpfen teilnehmen.

In Tokio holten die Russen Gold in beiden Teamwettbewerben

Im Falle Russlands bedeutet dies, dass eine Macht außen vor bleibt, die immer wieder die kontinentale Szene beherrschte. Zwar ist die Spitze in dieser hochkomplizierten Sportart längst breiter und vielfältiger geworden, Bewegungskünstler unterschiedlichster Herkunft beeindrucken mit Topleistungen und verdienen sich Medaillen, so wie jetzt gerade die mit Silber bei den Männern dekorierten EM-Gastgeber, die am Donnerstag in Adem Asil auch erstmals den kontinentalen Mehrkampfmeister stellten.

Doch bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio verdeutlichten die Russen, die damals wegen Doping-Sanktionen gegen ihr Heimatland nur unter der Flagge ihres nationalen olympischen Komitees starten durften, mit Gold in beiden Mannschaftswettbewerben ihre wiedererlangte Stärke.

„Ich schütze alle Turner der Welt wie meine Familie“

Morinari Watanabe, FIG-Präsident, der damit auch russische und belarussische Turner meint.

Sie nicht dabei zu haben bei den Großereignissen, das hatte FIG-Präsident Morinari Watanabe bereits bei der WM 2022 in Liverpool bedauert. Jetzt lässt der Japaner durch ein Statement den Verdacht aufkommen, den Vermissten könnte vielleicht doch noch ein Hintertürchen für einen Auftritt bei der WM und den Spielen in Frankreich geöffnet werden. „Ich schütze alle Turner der Welt wie meine Familie“, ließ Watanabe kürzlich wissen.

Deshalb verteidige er das Recht der russischen und belarussischen Turner, die nicht in den Krieg involviert sind, an Wettbewerben teilzunehmen. „Sport ist unabhängig von Politik“, so Watanabe. Bei einer im Mai anstehenden Sitzung des Exekutivkomitees könnte es demnach eine Wende geben, nachdem schon das Internationale Olympische Komitee (IOC) und sein deutscher Präsident Thomas Bach empfahlen, die Sperre unter bestimmten Bedingungen aufzuheben.

Einzelne Turner können sich noch über die Weltcup-Serie oder ihre kontinentalen Meisterschaften im nächsten Jahr für Paris einen Platz erkämpfen; das wäre der einzige noch regelkonforme Weg bei einer baldigen Öffnung für die gesperrten Nationen. Die russische Teamchefin Walentina Rodionenko versucht derweil gerade, mit ihren Sportlern bei den Asienmeisterschaften Anfang Juni in Singapur unterzukommen, wo es noch je fünf Team-Tickets zu gewinnen gibt. Ihre Kader hätten sich seit Jahresbeginn gründlich vorbereitet und seien einsatzbereit, betonte die Cheftrainerin.

Der deutsche Verband ist klar gegen eine Wiederzulassung

DTB-Präsident Alfons Hölzl spricht sich klar gegen eine Zulassung der Russen und Weißrussen für internationale Wettkämpfe aus und erntete dafür jüngst bei der Feier zum 175-jährigen Bestehen des Verbandes in der Frankfurter Paulskirche viel Lob von Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Der Chef der Europäischen Turnunion, Farid Gayibov, machte derweil am Freitag deutlich, dass er sich nicht unbedingt gegen einen anders lautenden Beschluss der FIG stellen würde. Für European Gymnastics, wie sich der Verband seit einiger Zeit griffig nennt, „ist es wichtig, unsere Mitgliedsverbände zu vertreten”. Im März 2022 habe das Exekutivkomitee entschieden, „dass russische und weißrussische Athleten und Offizielle bis auf Weiteres nicht an unseren Events teilnehmen dürfen. Das wurde im Dezember von der Generalversammlung ratifiziert.“

Sollte die FIG ihre Entscheidung ändern, werde EG seine Mitgliedsorganisationen konsultieren. Bezüglich einer möglichen Olympia-Qualifikation wollte Gayibov kein Statement abgeben; dafür seien das IOC und die FIG verantwortlich, sagte der aserbaidschanische Sportminister, der auch selbst IOC-Mitglied ist.

Vor den Kopf gestoßen würden in erster Linie die Ukrainer, die bei den Männern als EM-Neunter das WM-Ticket lösten, im Falle einer Zulassung der Russen und Weißrussen aber nach aktuellem Stand weitere Wettkämpfe boykottieren würden. Zudem erwiesen sich gerade die Topstars bei den russischen Männern weniger als Kriegsgegner denn als -unterstützer. Welche Auswirkungen das hat, liegt auch im Turnen in den Händen der Funktionäre.

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