zum Hauptinhalt
Beeindruckende Erfolgsserie.

© dpa

PNN-Olympiaserie "Rio ruft": Sebastian Brendel: Das Label „Top-Favorit“

Sebastian Brendel gilt als große deutsche Goldhoffnung in Rio. Wie der 28 Jahre alte Potsdamer Kanu-Rennsportler mit dem hohen Erwartungsdruck umgeht und warum er nach der Saison 2014 in ein kleines Motivationsloch fiel.

Von Tobias Gutsche

Er ist der Dominator, der Seriensieger, der Gejagte. Seit Saisonbeginn 2014 hat Sebastian Brendel in seiner Paradedisziplin – dem Canadier-Einer über 1000 Meter – alle großen internationalen Finalrennen, bei denen er antrat, für sich entschieden. Egal, ob Welt- und Europameisterschaft, Europaspiele oder Weltcup: An dem Kanu-Rennsportler des KC Potsdam führte kein Weg vorbei.

Daher liegt es in der Natur der Sache, dass er bei den nun anstehenden Olympischen Spielen mit dem Label „Top-Favorit“ an den Start gehen wird. Viele sehen in ihm nahezu eine deutsche Goldgarantie. „Es ist klar, dass die Erwartungen von außen an mich hoch sind. Meine eigenen sind es ebenfalls“, meint der Olympiasieger von London, der natürlich auch gerne wieder in Rio ganz oben auf dem Podest stehen möchte. Doch vor dieser Mission macht er sich nicht verrückt. Entspannt sitzt der 28-Jährige an einem verregneten Nachmittag unter einem Pavillon im Bundesleistungszentrum Kienbaum und erklärt, warum er sehr gut mit dem auferlegten Druck umgehen kann: Der fünffache Welt- sowie zehnfache Europameister ist schlichtweg mit sich im Reinen. „Ich brauche keinem Triumph mehr hinterher zu rennen, denn ich habe alles gewonnen, was man in meinem Sport gewinnen kann. Deshalb könnte ich am Ende, wenn ich mich voll ausbelastet und keine Reserven mehr gelassen habe, auch mit Silber oder Bronze zufrieden sein“, sagt Brendel.

"Die anderen sind mir inzwischen ziemlich auf die Pelle gerückt"

Diese Einstellung zeugt von großer Reife – und von gesundem Respekt gegenüber der Konkurrenz. Er achtet und wertschätzt die Gegner, kann nur den Kopf schütteln, wenn Leute vollmundig behaupten, dass sein Sieg doch ein Selbstläufer sei. „Das wird es auf keinen Fall. Die anderen sind mir inzwischen ziemlich auf die Pelle gerückt.“ Zum Beispiel lieferte sich Sebastian Brendel, der die Tendenz verspüre, auch nach Rio dem Leistungssport treu zu bleiben, in der jüngeren Vergangenheit packende Auseinandersetzungen mit dem Tschechen Martin Fuksa und Isaquias Queiroz dos Santos aus Brasilien. Deren Angriffe konnte er bislang abwehren. Vor allem dank seines berüchtigten Schlussspurts. Kein anderer beherrscht es besser, auf den letzten Metern noch mal das Tempo dermaßen anzuziehen. Wie bei einem getunten Auto zündet er stets den Turbo, wenn es in die entscheidende Rennphase geht, und fliegt regelrecht über das Wasser dem Ziel entgegen.

Eine Fähigkeit, die sich das 1,92 Meter große und 92 Kilogramm schwere Kraftpaket über viele Jahre hinweg hart erarbeitet hat. Für seine vorbildliche, fleißige, zielstrebige Art beim Training ist Brendel bekannt. Mit unbändigem Willen schindet er sich, um erfolgreich zu sein. Allerdings gab es zuletzt auf dem Weg zu den Olympischen Spielen in Rio auch eine kurze Phase, in der der sonst so mental starke Typ etwas schwächelte. Der Canadierfahrer berichtet: „Nach 2014 bin ich in ein kleines Loch gefallen.“ Da hatte er gerade zum ersten Mal den Weltmeistertitel im olympischen Einer über 1000 Meter gewonnen und zugleich eine neue Weltbestzeit aufgestellt. „Das waren die beiden Sachen, die ich eigentlich noch in meiner Karriere vorhatte. Und die waren plötzlich auf einen Schlag erledigt. Da habe ich mich schon gefragt: Okay, was kommt jetzt? Wofür trainiere ich jetzt weiter? Gerade in der Winterzeit war es dann für mich nicht so einfach, sich bei Dunkelheit aufzuraffen und im Schneeregen aufs Wasser zu gehen“, erzählt der gebürtige Schwedter, der aber schließlich, als die Wettkämpfe näherkamen, wie eh und je motiviert war. „Ich hatte wieder diese Lust, zu beweisen, dass ich in der Lage bin, alle zu schlagen.“

Freude über olympischen Zweier-Start mit bitterem Beigeschmack

Er hat es bewiesen. Immerzu. Und in Rio möchte Sebastian Brendel es erneut machen. Vorab sendete er schon mal ein beachtliches Signal an seine Herausforderer. Beim Weltcup Mitte Mai in Duisburg toppte der Ausnahmeathlet, der nach der vergangenen Saison von der Stiftung Deutsche Sporthilfe als „Champion des Jahres“ ausgezeichnet wurde und zudem einen „World Paddle Award“ – auch „Oscar des Kanusports“ genannt – erhielt, seine eigene Weltbestzeit. Die Form stimmt also im Jahr der Spiele am Zuckerhut.

Dort wird der Bundespolizist nicht nur im Solo sein Können zeigen, sondern auch im Duett. Diese Gewissheit hat er seit wenigen Tagen. Aufgrund der Dopingsperren für die Kanu-Teams aus Weißrussland und Rumänien bekam Deutschland nunmehr nachträglich einen Startplatz im Canadier-Zweier über 1000 Meter, den Brendel zusammen mit seinem KCP-Kollegen Jan Vandrey einnimmt. „Wir freuen uns, dass wir das Boot bei Olympia fahren dürfen. Allerdings ist der Umstand, wie es dazu kommt, nicht erfreulich. Es ist traurig. Die Betrüger schaden dem Sport und gehören, so wie es jetzt gemacht wurde, rausgezogen“, sagt er im scharfen Ton.

Bessere Abstimmung finden und für Überraschung sorgen

Deutlich zurückhaltender spricht der Linkspaddler, der dieses Jahr erstmalig auch Zweier fährt und dies als „wertvollen neuen Impuls“ bezeichnet, über die Erfolgsaussichten des Gespanns aus der brandenburgischen Landeshauptstadt: „Uns fehlt ein bisschen die Rennpraxis. Deshalb ist es schwer vorherzusagen, was herauskommt.“ Erst einen Wettkampf haben Brendel/Vandrey bestritten – den Weltcup in Racice, wo sie Zweite wurden. „Wir werden alles versuchen, bis Rio eine noch bessere Abstimmung zu finden. Und vielleicht sind wir ja dann sogar für eine Überraschung gut.“ Mal was anderes: Sebastian Brendel – der Neuling, der Nicht-Top-Favorit, der Jäger.

Zur Startseite