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Unsere Stadt soll schöner werden.

© dpa

Rio de Janeiro: Platz da für Olympia!

Für Olympia und Fußball-WM will Rio sein Bild verändern – auch zulasten der Bewohner. Die UN rügen erstmals Zwangsumsiedlungen für die Sommerspiele 2016.

Wie ein hässlicher Flickenteppich ziehen sich die Favelas durch den Stadtdschungel von Rio de Janeiro. Manchmal trennt in der Olympiastadt von 2016 die wohlhabenden Viertel gerade mal eine Straßenbreite von den Armensiedlungen. Genau das aber ist das Problem für das Internationale Olympische Komitee (IOC). IOC-Präsident Jacques Rogge sprach das Thema unlängst bei einem Mittagessen mit Rios Bürgermeister Eduardo Paes an. „Er hat uns gebeten, dass wir diese Viertel urbanisieren“, so Paes. „Rogge sagte mir, es wäre für die Olympische Bewegung ein außerordentlich positives Bild, wenn es gelänge, all diese Zonen in Viertel zu verwandeln, wo die Menschen mit Würde wohnen können.“

So weit der fromme Wunsch des IOC-Präsidenten. Die Wirklichkeit in Rio der Janeiro sieht anders aus. Etwa in Rios Stadtteil Barra da Tijuca, wo laut Plan ein riesiges Olympisches Dorf und zahlreiche Wettkampfstätten entstehen. Dafür müssen Favelas weichen. Die unwürdige Umsiedlungspolitik haben nun auch die Vereinten Nationen gerügt: Brasilien verstoße gegen Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte. Damit haben die UN eine Debatte in der Öffentlichkeit entfacht, die andere Ausrichterländer von sportlichen Großereignissen zuvor im Keim ersticken konnten.

Sowohl in Peking für die Sommerspiele 2008 als auch in Sotschi für die Winterspiele 2014 hatten die chinesischen als auch russischen Behörden in der Vergangenheit ihre Bauarbeiten rücksichtslos durchgezogen. Zwangsumsiedlungen wurden auch wegen mangelnder Pressefreiheit in China und Russland nicht öffentlich diskutiert. Brasiliens linksgerichtete Regierung um Staatspräsidentin Dilma Rousseff aber wird mit ihrer Stammwählerschaft so einfach nicht umspringen können. Erst recht nicht nach der Rüge der Vereinten Nationen.

„Wird eine Wohnung zwangsgeräumt, darf die betroffene Person zwischen einer finanziellen Entschädigung oder einer Alternativwohnung an einem anderen Ort wählen“, erklärt UN-Berichterstatterin Raquel Rolnik. Doch daran halten sich die brasilianischen Behörden offenbar nicht. Tausende Beschwerden – nicht nur aus Rio de Janeiro – flatterten auf den Tisch der UN-Mitarbeiterin.

Denn die Entschädigungen reichten eben teilweise nicht aus, um eine vergleichbare Wohnung zu beziehen. Die Ausweichquartiere lägen zudem oft „30 bis 40 Kilometer außerhalb der Städte, wo es weder Schulen, Krankenhäuser, öffentlichen Transport oder die Chance auf Arbeit“ gebe. So droht manchen Familien sogar die Obdachlosigkeit.

Die öffentliche Rüge der UN hat die Regierung bislang noch nicht kommentiert, doch in den brasilianischen Medien häufen sich die Berichte über die Begleiterscheinungen der Stadtteilkosmetik. Der Druck auf die brasilianische Regierung wächst, für eine sozialverträgliche Lösung zu sorgen. „Menschen kann man nicht einfach so wegräumen wie Müll“, kommentierte unlängst eine wütende Leserbriefschreiberin in Rio de Janeiro. Ihr Eintrag wurde an einem Tag von mehr als 300 Menschen kommentiert.

Mal lässt die Stadtverwaltung auch riesige Mauern um die Favelas errichten, damit diese nicht weiter in den angrenzenden Regenwald hineinwuchern, oder sie funktioniert ein ganzes Armenviertel wie die Favela Santa Marta flugs zum Vorzeigeobjekt für Sozial-Touristen um. Die erleben dann für 30 Dollar eine speziell organisierte Favela-Tour, die zeigt, wie Brasiliens Unterschicht so zu leben pflegt.

Immer häufiger lassen Rios mächtige Stadtfunktionäre aber auch die Bagger rollen, obwohl noch nicht ganz geklärt ist, wo und wie die Bewohner der Favelas künftig untergebracht werden. Die Berichte über Zwangsräumungen häufen sich, denn die Zeit drängt. Erst vor wenigen Wochen zeigte Joseph Blatter, der Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa, den Organisatoren der WM 2014 in Brasilien die Gelbe Karte. Die Bauarbeiten – auch in Rio de Janeiro – kommen nur schleppend voran. Zeit für mühsame Verhandlungen mit den Favela-Bewohnern bleibt da nicht, denn die Pläne für WM und Olympia brauchen vor allem eines: viel Platz. Und manchmal besetzen die fast immer illegal errichteten Bauten der Armensiedlungen strategisch ebenso wichtige wie schöne Plätze mit Blick aufs Meer. Ein würdiges Modell für den Umbau der Favelas ist in Rio de Janeiro bisher nicht zu sehen.

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