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Kaum zu glauben. Die Spieler von Hannover 96 bejubeln den Treffer von Christian Schulz (Zweiter von rechts) beim 3:0-Sieg über Eintracht Frankfurt.

© dpa

Überraschungsteam: Hannover 96: Jagen und stören

Hannover 96 ist inzwischen Zweiter in der Bundesliga – dank billiger, einsatzfreudiger Spieler, die auch noch gut harmonieren.

Von Christian Otto

Am Tag danach, dieses Spiel kennen die Profis von Hannover 96 nach mittlerweile elf Saisonsiegen zur Genüge, kommen die vielen skeptischen Fragen auf sie zu. Wie kommt es, dass eine lange Zeit mittelmäßige Mannschaft nun mühelos mit 3:0 in Frankfurt gewinnt? Muss sich Fußball-Deutschland wirklich damit anfreunden, dass Hannover für einen Startplatz in der Champions League infrage kommt? „Auf Platz zwei zu stehen, ist ein richtig schönes Gefühl“, sagt Trainer Mirko Slomka. Sein Team ist zum ersten Verfolger von Spitzenreiter Borussia Dortmund aufgestiegen. Über die Begründung, warum das alles möglich ist, müssen sogar die Protagonisten selbst lange nachdenken.

Einer der besten Kronzeugen, wenn es um die Erkundung des Erfolgsgeheimnisses geht, ist Steven Cherundolo. Der Amerikaner, mittlerweile seit elf Jahren bei den Niedersachsen beschäftigt, hat sich von einem auf kuriosen Wegen verpflichteten Neuzugang zu einem soliden Nationalspieler, Leistungsträger und Mannschaftskapitän entwickelt. „Wir wissen, was wir können“, sagt Cherundolo, der statt großer Worte lieber das Bodenständige seiner Mannschaft als besonderen Pluspunkt herausstellt. Profis wie Karim Haggui, Christian Schulz oder Jan Schlaudraff haben jeder auf ihre Art bei anderen Bundesligavereinen erfahren müssen, dass sie dort nicht mehr zu Höherem berufen waren. In Hannover aber, wo es bis auf Torjäger Didier Ya Konan keinen herausragenden Leistungsträger gibt, ordnen sich viele der Profis frei von Egoismus oder Selbstüberschätzung den Zielen eines Kollektivs unter. „Es ist einfach sehr schwer, uns zu schlagen“, sagt Mittelfeldspieler Moritz Stoppelkamp und verweist auf den besonderen Teamgeist, mit dem so manches technische oder taktische Defizit ausgeglichen wird.

Ein Mangel an Geld und Anziehungskraft für Stars hat dazu geführt, dass in Hannover aus der Not eine Tugend geworden ist. Weil am Ende des vergangenen Geschäftsjahrs ein Verlust in Höhe von sechs Millionen Euro stand, hat Präsident Martin Kind seiner Fußballfirma einen strikten Sparkurs verordnet. Große Buchungsposten für große Spielernamen werden nicht mehr angewiesen. Flinke, junge und einsatzfreudige Profis wie Lars Stindl, Manuel Schmiedebach oder eben Stoppelkamp, die wenig oder gar keine Ablösesumme gekostet haben, entsprechen genau dem neuen Beuteschema. „Wir suchen nach Spielern, wo andere gar nicht mehr hinsehen“, sagt Sportdirektor Jörg Schmadtke, der zum Beispiel Torjäger Ya Konan im fernen Norwegen entdeckt hat.

Der Aufstieg von Hannover 96 ist eng mit dem Fast-Abstieg vom Sommer 2010 verbunden. Nach einer völlig verkorksten Spielzeit, die von dem Selbstmord des früheren 96-Kapitäns Robert Enke überlagert war, blüht die Mannschaft regelrecht auf. „Die Enke-Tragödie hat viele Dinge bei uns durcheinandergebracht. In dieser Saison aber hat unsere Mannschaft einen unglaublichen Willen. Das spricht auch für den Charakter der Spieler“, sagt Klubchef Kind, der angesichts der überraschenden Erfolgsserie vor unangenehmen Gesprächen steht. Slomka ziert sich hartnäckig in der Frage, wann er denn wohl seinen in diesem Sommer auslaufenden Vertrag verlängern wird. Der 43-Jährige hat das richtige taktische Konzept für eine Mannschaft gefunden, die vor der Saison als Kandidat für den Sturz in Liga zwei gehandelt worden war.

Slomka lässt seine Mannschaft aus einer soliden Deckung heraus auf Fehler der Konkurrenz warten. Sie jagen und stören ihr Gegenüber so lange, bis sich die Gelegenheit zu einem überraschenden Angriff ergibt. Es ist nicht die Dominanz, sondern die Effektivität, die so viele Gegner von Hannover 96 staunen bis verzweifeln lässt. 28 geschossene, 27 kassierte Tore – das ist keine gewöhnliche Bewerbung für Auftritte im internationalen Fußball. „Auf dem Platz geht es darum, den längeren Atem zu haben“, meint Slomka. Seine Anordnung, möglichst unangenehm, sehr einsatzfreudig und damit einen Tick schneller als der Gegner zu sein, wird von den 96-Spielern perfekt umgesetzt.

Hannovers Spieler bewerben sich im Windschatten von Borussia Dortmund um einen besonderen Titel: Sie können in dieser Saison zumindest Meister des Minimalismus werden.

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