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Hau-Ruck. Markus Lücker probiert sich an der Leichtathletik-Disziplin Hammerwerfen.

© Thilo Rückeis

Unser Zehnkampf vor der Leichtathletik-EM: Hammerwurf: Wie ein Hündchen an der Leine

Die schwierigste Disziplin zum Schluss: Beim letzten Teil unserer Serie zur Leichtathletik-EM hat sich unser Autor um die eigene Achse gedreht.

Von Markus Lücker

Laufen, springen, werfen – die Disziplinen der Leichtathletik sind Sport in seiner klassischsten Form. Doch sie sind schwieriger auszuüben, als sie aussehen. Bis zur Europameisterschaft vom 7. bis 12. August in Berlin probieren wir in unserer Serie „Tagesspiegel-Zehnkampf“ zehn Disziplinen unter professioneller Anleitung aus und beschreiben, worauf es dabei ankommt.

Persönliches Ziel für den Tag: nicht von einer Metallkugel erschlagen werden. „Es tut mir leid, aber Sie haben sich die schwerstmögliche Sportart ausgesucht“, sagt Steffen Reumann, Trainer für Hammerwurf am Berliner Olympiastützpunkt. Doch ich habe mich zumindest mental auf meine erste Begegnung mit der Disziplin vorbereitet. Als Fan von Cartoons habe ich mir am Vorabend „Goofys lustige Olympiade“ angesehen. Im Disney-Kurzfilm von 1942 quält sich der Titelheld durch verschiedene Disziplinen wie Stabhochsprung und Speerwurf. Beim Hammerwurf räumt er mit der an einem Draht befestigten Kugel erst die Hürden von der Laufstrecke ab und wirbelt so lange umher, bis er sich in den Boden bohrt und auf Öl stößt. Mir scheint das wie eine realistische Erwartung für den Tag.

Trainer Reumann erzählt von den Routinen der Athleten, die am Stützpunkt trainieren: Laufen, Hochsprung, Radfahren für die Beinkraft und Geschwindigkeit bei den Drehungen vor dem Wurf. Gewichtheben, um die dabei entstehenden Kräfte auszuhalten. Je schneller sich der Sportler dreht, desto weiter fliegt der Hammer, desto mehr reißt er aber auch am Körper. Um auf die in internationalen Wettbewerben notwendige Distanz von 80 Metern zu kommen, muss der Sportler 3 g aushalten – vergleichbare Kräfte wirken auf Astronauten beim Start mit einem Spaceshuttle.

Nicht mal eine Sporthose im Schrank

Ich dagegen habe nicht mal eine richtige Sporthose im Schrank. Seit dem Schulabschluss vor elf Jahren habe ich keine Turnhalle mehr von innen gesehen. Als Ersatzequipment ziehe ich eine Schlafanzughose an und kremple die Stoffbeine bis zu den Knien hoch – für den athletischen Look. Anders als Reumann, Statur eines alt gewordenen Bären, hänge ich mit meinem Body-Mass-Index an der Grenze zur Untergewichtigkeit. Statt der Sieben- Kilo-Variante für Männer oder der Vier-Kilo-Version für Frauen bekomme ich deshalb auch einen roten Gummihammer. Gewicht: Drei Kilo, für gewöhnlich im Einsatz bei Kindern. Damit kann ich leben. Meinem Ziel, heute nicht erschlagen zu werden, bin ich damit schon deutlich näher.

„Im Hammerwurf steckt ganz viel Philosophie drin“, sagt Reumann, und zunächst ist nicht ganz klar, worauf er hinauswill. Es wirkt wie eine von diesen aufgesetzten Ehrungen, mit der banale Dinge künstlich aufgewertet werden sollen. Staubsaugen, Pommes frittieren, Blumen gießen – da steckt ganz viel Philosophie drin, quasi der Platon des kleinen Mannes. Dann beginnt Reumann mit einer ersten Vorführung und alles wird klar. Wieder und wieder schwingt er die Kugel über seinen Kopf, während er gemächlich in einer Linie voranschreitet. Kein bisschen Anstrengung ist in dem Gesicht des Trainers zu sehen, keine Kräfte, die an ihm zerren, nur eine meditativ anmutende Entspannung.

Hammerwerfen wie Gassi-Gehen

Alles wirkt im Gleichgewicht, wie ein Planet, der einen Mond um sich kreisen lässt. Als hätte er in den vergangenen vier Milliarden Jahren nichts anderes getan. Reumann und die Kugel, die Kugel und Reumann. Jetzt ich. Während ich den letzten Anweisungen lausche, sehe ich aus, als würde ich gleich Gassi gehen. Der rote Gummiball hängt links von mir herab wie ein Hündchen an seiner Leine. Und so fühlt sich dann auch der erste Versuch an, Reumanns Bewegungen zu imitieren. Als würde ich ein garstiges Biest um mich herumschleudern, das mich am liebsten auffressen würde. Die geraden Schritte des Trainers sind bei mir ein Torkeln, einmal schrappt die Kugel nach einem missglückten Schwung so nahe an meinem Kopf vorbei, dass ich laut „Oh Gott“ rufe.

Trainer Steffen Reumann gibt auf der Wurfanlage vom Sportforum Berlin-Hohenschönhausen alles, um unseren Autor anzuleiten.

© Thilo Rückeis

„Wir gehen mal einen Schritt weiter“, sagt Reumann und geht die Bestandteile des Hammerwerfens durch: Wie man sich mit kleinen Trippelschritten um die eigene Achse dreht, wie die Knie zu stellen sind und wie man den Moment erspürt, den Hammer loszulassen, damit er aus der Drehung heraus auch in die richtige Richtung fliegt. An den Augen könne man sich nicht orientieren, durch die g-Kräfte werde sowieso alles schwarz. „Sie müssen den Zeitpunkt von innen spüren.“ Reumann selbst könnte sich eine Augenbinde aufsetzen und würde die Kugel trotzdem immer geradeaus abfeuern. Bei mir hingegen will das nicht so ganz klappen.

Als wir zum Wettbewerbsring gehen und ich mich an den ersten Würfen versuche, landet der Gummiball entweder im Sicherheitsnetz oder außerhalb des auf dem Boden markierten Wurfareals. In einem Wettkampf wäre der Versuch in beiden Fällen ungültig. „Nicht einfach nur im Kreis schleudern, sondern gezielt zum richtigen Zeitpunkt Schwung holen“, kommt der Hinweis. „Sie müssen den Fuß anders stellen.“ Der Trainer macht die Bewegung vor: Nach jeder vollständigen Drehung ist der rechte Fuß im rechten Winkel zum linken Fuß zu stellen.

Athlet und Mond als gleichberechtigte Partner

Anscheinend verspricht er sich Großes von dieser minimalen Änderung. Während er es vorher nicht für nötig hielt, hinter dem Sicherheitsnetz Schutz vor meinem Können zu suchen, geht er jetzt auf Abstand. Ich fange an: Drehung, Schritt im Winkel, zum Schwung anholen und plötzlich ist das kein bissiger Hund mehr an meiner Leine, sondern ein Mond wie bei Reumann. Naja. Ein Möndchen. Ich spüre seine Wucht, seine Masse, wie er an mir zieht und ich an ihm. Wie wir gemeinsam versuchen, diese Sache durchzuziehen. Als gleichberechtigte Partner.

Dann fliegt er. Am Netz vorbei, raus aus dem Käfig, geradeaus, hoch, keine 80 Meter, aber weit genug, um mich vergessen zu lassen, dass ich hier in meiner Schlafanzughose stehe. „Und da haben Sie den Grund, warum wir in den internationalen Wettbewerben nichts mehr reißen“, sagt Reumann. Der Sport habe in den vergangenen Jahren seinen Fokus verlagert, vom Schwung zur Drehung. Die Ausbildung sei da schon mal weiter gewesen, aber der Glaube an die Drehung sei gewissermaßen systemtragend: „Dieses System anzuzweifeln, heißt an allem zu graben, was wir aktuell im Hammerwurf machen.“ Er selbst versuche es besser zu machen, vor allem bei der Ausbildung von Nachwuchstalenten. „Der Schwung ist das Geheimnis“, sagt er. Das sei, na klar, der Kern seiner Philosophie.

Bisher erschienen: Dreisprung (20. Juli), Hürdenlauf (24. Juli), Kugelstoßen (26. Juli), Gehen (28. Juli), 100-Meter-Lauf (30. Juli), Staffellauf (31. Juli), Diskuswurf (1. August), Speerwurf (2. August), Hochsprung (3. August)

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