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Sport: Früher war alles besser

Unzufriedene Fans, flaue Atmosphäre – selbst beim Heim-Grand-Prix von Ferrari in Monza ist die Formel -1-Krise zu spüren

Monza. Als er nicht mehr weiter wusste, begann Emilio mit beiden Händen zu reden. Zuvor hatte er nur geschrien. Aber alle Lautstärke und Gestik nützten Emilio nichts. Der Ordner, der sich ihm in den Weg stellte, blieb hart. Er behauptete weiterhin, dass Emilio am falschen Einlass sei und sein Ticket nicht für diesen Bereich der Haupttribüne gelte. Nach zehn Minuten ging Emilio, der Autoverkäufer aus Mailand, dann doch. Wichtig ist nicht dieser kleine Streit, wichtig sind die zehn Minuten. So lange konnte ein Fan im königlichen Park von Monza am Samstagvormittag beim Freien Training zum großen Formel-1-Preis von Italien (Sonntag, 14 Uhr, live bei RTL und Premiere) streiten, ohne dass sich andere in der Schlange über die Verzögerung aufregen. Es gab nämlich keine Schlange, es gab kaum Fans bei diesem Freien Training. Auch beim Qualifying war die Stimmung nicht so, wie man es eigentlich in Monza gewohnt ist. Erst als Michael Schumacher die Pole–Position herausfuhr, war auf den Rängen etwas los.

Trotzdem: Dieses Jahr stimmt etwas nicht. In Monza herrscht kein Ferrari-Fieber. Monza ist ein Ferrari-Grand-Prix, seit vielen Jahren. Hier konnte man am Jubel der Fans schon aus einem Kilometer Entfernung hören, wenn ein Ferrari an der Haupttribüne vorbeiraste, hier überfluteten Ferrari-Fans 2002 die Zielgerade, um den Doppelsieg von Barrichello und Schumacher zu feiern, hier stürmten vor zehn Jahren noch Fans die Strecke, sobald die Zielflagge gewedelt wurde. Minardis, die mit Rückstand ins Ziel kamen, mussten mit abenteuerlichen Manövern enthusiastischen Fans ausweichen.

Und 2003? Eine seltsam sterile Atmosphäre hat sich über die Rennstrecke gelegt. 90 000 Zuschauer erwartet der Veranstalter, vor drei Jahren waren es noch 165 000. Im Vorverkauf gingen ein Drittel weniger Tickets weg als ein Jahr zuvor. Enrico, der Schwarzhändler mit der schicken Lederjacke, steht am Eingang des Parks, in dem der Kurs liegt, er hat vier Tickets, für jedes hat er 300 Euro bezahlt, für jedes will er jetzt 900 Euro. Aber Enrico schüttelt nur den Kopf: „Ich werde sie vielleicht sogar mit Verlust verkaufen müssen.“ Warum nur? Weil auch italienische Fans nicht mehr einen Monatslohn ausgeben wollen, um mit ihrer Familie zu einem Formel-1-Rennen zu fahren.

Schon in Imola, beim Großen Preis von San Marino, gingen die Zuschauerzahlen drastisch zurück. Das Fernsehen klagt über Quoteneinbußen, und Pino Allievi, der Formel-1-Reporter der „Gazzetta dello Sport“, musste erschüttert feststellen, dass sein eigener Sohn nur abwinkt. Der Journalist bot dem 16-Jährigen und dessen Freunden Tickets für Imola an. „Kein Interesse“, sagte Allievi junior. „Vor 30 Jahren wäre ich zu Fuß nach Imola gelaufen“, stöhnt der Vater.

Aber Monza kann nicht bloß Opfer einer allgemeinen Entwicklung sein. Monza ist Kult für Ferraristi. Wenn sich diese Fans rar machen, muss etwas mit Monza oder mit Ferrari passiert sein. Ist es ja auch. Das Theater um die Reifen zum Beispiel. Ferrari hat BMW-Williams und McLaren-Mercedes vorgeworfen, deren Michelin-Reifen seien nicht regelgerecht. Ein zunehmend bizarrer Streit, einer, der Ferrari als schlechten Verlierer dastehen lässt. Alberto Antonini, Formel-1-Experte der Zeitung „Autosprint“, bekommt jede Menge Leserbriefe und E-Mails, in denen Ferrari vorgeworfen wird, es habe nicht gut genug gearbeitet und könne nicht verlieren. „Das Theater geht inzwischen vielen Menschen auf die Nerven“, sagt Antonini. Und der „Corriere dello Sport“ höhnte: „Ferrari zieht vor Monza alle Asse: neuer Motor, neue Aerodynamik, und aus dem Ärmel noch ein Protest gegen die Michelin-Reifen.“ In diesen Mix aus überhöhten Preisen und Ferraris Imageschaden drängt sich ein dritter Punkt. Viele Ferrari-Fans fühlen sich in Monza nicht mehr wohl. Zu steril, zu nüchtern ist ihnen der Kurs. Vor acht Jahren noch drangen die Fans problemlos bis zum Fahrerlager vor. Sie ließen sich im Innenraum des Kurses von der Volksfest-Atmosphäre einfangen. Jahrzehntealte Gebäude standen dort, ein Restaurant, Verkaufsläden, Symbole der Tradition. 1922 wurde der Kurs in den Park asphaltiert, es gab einen Rundkurs mit Steilkurven und unvergessliche Duelle. Die alten Gebäude wurden vor wenigen Jahren abgerissen, jetzt sollen sogar die arg ramponierten Steilkurven verschwinden.

Zum Fahrerlager können die Fans längst nicht mehr, und als sie es noch durften, 1996, hingen schon Sichtblenden an den Zäunen des Fahrerlagers. Die Piloten sollten nicht gestört werden. Camper wurden aus dem Innenraum geworfen, Parkplätze in den Außenring verlegt. „Monza hat in den letzten zehn Jahren seine Seele verloren“, sagt Antonini. Es gibt unzählige Ferraristi, die seit 20, 30 Jahren in den königlichen Park pilgern. Sie haben die Wandlung zur High-Tech-Maschinerie lange mitgemacht, als die Tickets noch billiger waren und das Qualfiying nicht zur Solofahrt der Piloten verkommen war. Aber viele spüren, dass dies nicht mehr der Sport ist, den sie lieben.

Michael Schumacher hat in Monza den Fans versprochen, dass „ich ihnen mit einer guten Show das zurückgeben möchte, was ich von ihnen bekam“. Er muss sich verdammt anstrengen.

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