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Sport: Ein Mann für schwere Tanker

Stefan Hermanns gratuliert dem FC Bayern zur Trainerwahl

Vermutlich gibt es im deutschen Fußball niemanden, über den mehr Halbwahrheiten und Vermutungen kursieren, als Jürgen Klinsmann. Er selbst trägt wenig dazu bei, der Öffentlichkeit ein klares Bild von sich zu vermitteln. Im Gegenteil. Immer wenn man glaubte, sein Wesen endlich entschlüsselt zu haben, hat er mit ziemlicher Sicherheit genau das gemacht, was man ihm gerade nicht zugetraut hatte. Seit seinem Rücktritt als Bundestrainer haben alle Indizien dafür gesprochen, dass eines für Klinsmann ganz sicher nicht infrage kommen würde: ein Trainerjob in der Fußball-Bundesliga. Genau das war das sicherste Indiz, dass Jürgen Klinsmann bald in der Bundesliga auftauchen würde.

Auf den ersten Blick mag es eine überraschende Idee des FC Bayern München sein, Klinsmann als Trainer zu engagieren. Auf den zweiten erkennt man eine Lösung, die geradezu auf der Hand liegt: Jürgen Klinsmann kann in der Bundesliga beweisen, dass er ein richtiger Trainer ist, der nicht nur in einem geschützten Biotop wie dem Deutschen Fußball-Bund funktioniert. Und der FC Bayern bekommt das, was ihm bisher am meisten gefehlt hat: einen Vordenker mit klaren Prinzipien.

Nur vordergründig reiht sich Klinsmanns Verpflichtung in die bisherige Geschäftspolitik des Klubs, die viel zu selten von strategischen Überlegungen geleitet war, sondern stets den Möglichkeiten des Augenblicks gefolgt ist: Klinsmann? Großer Name, wollen alle haben. Nehmen wir! Doch die Bayern haben Klinsmann nicht verpflichtet, weil er auf dem Markt ist. Sie wollten Klinsmann, weil Klinsmann Klinsmann ist. Mit sämtlichen Risiken und Nebenwirkungen.

Seinem Selbstverständnis nach ist der FC Bayern die Institution des deutschen Fußballs, jetzt wird aus ihm erst einmal ein Projekt. Klinsmann soll in München das Reformwerk fortsetzen, das er 2004 mit der Nationalmannschaft begonnen hat. Auch die Bayern haben sich viel zu lange von alten Erfolgen blenden lassen und einen Hang zur Selbstgefälligkeit entwickelt. Für die Bundesliga reicht es – meistens – noch, international aber sind sie inzwischen genauso wenig konkurrenzfähig, wie es die Nationalmannschaft vor Klinsmanns Wirken war.

Deren aktuelle Erfolge unter Joachim Löw sind ohne Klinsmann nicht denkbar. Klinsmann hat dem DFB eine Philosophie verpasst, aus der sich bis heute und darüber hinaus alles Weitere ergibt. Genau diese Basis fehlt den Bayern, eine identitätsstiftende fußballerische Idee, die auch nach einer Niederlage nicht gleich über den Haufen geworfen wird. Klinsmann steht für eine solche Idee und für ihre Durchsetzung gegen größte Widerstände. Beim DFB hat Jürgen Klinsmann bewiesen, dass er den schwersten Tanker des deutschen Fußballs lenken kann. Warum sollte er mit dem zweitschwersten absaufen?

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