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Der Großteil der Fans des SV Babelsberg ist friedlich, doch einige nutzen die Fußballbühne für Krawalle. 

© Sebastian Gabsch

Diskussion des SV Babelsberg 03: „Gefühlte Ungerechtigkeit“

Lange stritten sie heftig. Jetzt diskutierte der Fußball-Regionalligist SV Babelsberg 03 mit den obersten Verbandsfunktionären über die Grenzen der Sportgerichtsbarkeit. Mit erstaunlichen Erkenntnissen.

Potsdam - Es waren verbissene Duelle, die der SV Babelsberg 03 bestritten hat – jenseits des grünen Rasens und weitaus länger als 90 Minuten. Die Gefechte, die der Fußball-Regionalligist in der jüngeren Vergangenheit gegen die Instanzen des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) und des Fußball-Landesverbandes Brandenburg (FLB) führte, haben bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt

Zum einen wegen der strittigen Urteile, gegen die der SVB ankämpfte: gegen den Ausschluss aus dem Landespokal und gegen eine zweifelhafte Begründung einer – als Skandalurteil bekannt gewordenen – NOFV-Strafe wegen „Nazis-raus“-Rufen. Zum anderen, weil der SVB sowie zahlreiche kritische Beobachter und Fachleute die Sportgerichtsbarkeit an ihre Grenzen gekommen sahen. Denn: In den Sportgerichten sind Ankläger auch gleich Richter, die klagenden und urteilenden Verbände sind zugleich Adressaten verhängter Geldstrafen und schließlich be- sowie verurteilen die Instanzen auch Vergehen, die nichts mit dem reinen Fußballspiel zu tun haben. Etwa Fehlverhalten von Fans. Die Gemengelage macht es schwierig, Strafen als angemessen, gerecht und frei von Willkür nachzuvollziehen. 

"Mussten uns verantworten, als hätten wir selbst die Fackeln auf den Platz geworfen"

All das hat der SVB im monatelangen Disput mit den Verbänden ausgefochten und diskutiert – nicht frei von harten Vorwürfen und heftigen verbalen Attacken. Umso bemerkenswerter, dass der Kiezklub nun zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion einlud, um gemeinsam mit dem obersten NOFV-Richter Stephan Oberholz und dem langjährigen Chefrichter und neu gewählten Präsidenten des FLB, Jens Kaden, über die Grenzen der Sportgerichtsbarkeit zu debattieren. Außerdem dabei: Sven Brux, Sicherheitsbeauftragter des Zweitligisten FC St. Pauli, und Daniel Lörcher, Leiter der Fanabteilung von Champions-League-Teilnehmer Borussia Dortmund.

Hand drauf. SVB-Präsident Archibald Horlitz (r.) mit dem neuen FLB-Präsidenten Jens Kaden bei der Podiumsdiskussion in Babelsberg.
Hand drauf. SVB-Präsident Archibald Horlitz (r.) mit dem neuen FLB-Präsidenten Jens Kaden bei der Podiumsdiskussion in Babelsberg.

© Peter Könnicke

Und Letzterer machte das Problem schnell deutlich: Wenn das Verhalten von Fans – Pyrotechnik, verfassungsfeindliche Parolen, Schmähgesänge, Prügeleien – bestraft wird, liegen diese Vergehen außerhalb des Kompetenzrahmens der Vereine. SVB-Sicherheitschef Christian Lippold kennt das: Beim letztjährigen Landespokalfinale wurde eine immense Palette an Sicherheitsvorkehrungen und -auflagen getroffen und erfüllt, was vom Fußball-Landesverband auch anerkannt und gewürdigt wurde. Dennoch bestrafte dessen Sportgericht den Regionalligisten zunächst mit dem Ausschluss vom Pokalwettbewerb, nachdem Chaoten Pyrotechnik abfeuerten. „Wir hatten uns nichts vorzuwerfen, haben für ausreichend Sicherheit gesorgt und waren von den Vorfällen ebenso schockiert wie viele andere“, so Lippold. Doch im Gerichtsverfahren „mussten wir uns verantworten, als hätten wir selbst die Fackeln auf den Platz geworfen“, beschrieb er das Dilemma. Und um die Strafe zu mildern, habe der Verein innerhalb des Prozesses zum Teil entgegen seiner eigenen Überzeugung und Ablehnung der Vorfälle argumentieren müssen.

Klubs dürfen nicht zu Strafermittlungsbehörden gemacht werden

„Vereine werden bestraft für Taten, die sie nicht zu verantworten haben“, kennt auch St.-Paulis Sicherheitschef Brux aus regelmäßiger Praxis. Doch bei aller Kritik und allen vermeintlichen Schwächen der Sportgerichtsbarkeit und der immer wieder bei Urteilsverkündungen „gefühlten Ungerechtigkeit“ warnte er, die Sportgerichte abzuschaffen und die Richtersprüche der staatlichen Straf- oder Ziviljustiz zu überlassen. Zum einen arbeiten diese viel zu lange, was einem Spielbetrieb im Wochenrhythmus kontraproduktiv entgegensteht. Zum anderen wäre die Gefahr riesig, dass „auf den Rücken der Vereine Politik gemacht wird“, so Brux. „Dann würden wir Verfahren bekommen, die viel schlimmer sind als das bisschen Sportgerichtsbarkeit.“

Wie schnell die Sportgerichtsbarkeit an ihre Grenzen kommt, wenn deren Richter argumentieren, dass Geldstrafen gegen Vereine an die eigentlichen Täter in den Fanblöcken weitergereicht werden können, zeigt die Praxis. „Kein Fan verpfeift den anderen“, weiß Dortmunds Fan-Beauftragter Lörcher. Er kann nur davor warnen, Vereine zu Strafermittlungsbehörden zu machen. „Das ist Aufgabe der Polizei“, bekräftigte er. Hinzu kommt, dass Fans – in den seltensten Fällen Mitglieder eines Fußballverbandes – in den Gerichtsverfahren bislang kein oder wenig Gehör finden. Folge: Auch wenn eine Strafe präventiv wirken soll, wie es NOFV-Richter Oberholz betonte, wird dieser Effekt verfehlt. Das Gegenteil tritt ein. 

"Es gibt keinen präventiven Effekt, je höher die Strafen sind"

Der SVB kennt das: Als der NOFV dem Kiezklub im vergangenen Jahr nach dem Skandal-Regionalligaderby gegen Energie Cottbus unter anderem wegen des Abbrennens von Pyrotechnik ein Geisterspiel androhte, zündeten Nulldrei-Ultras erst recht – begleitet mit entsprechenden plakativen Äußerungen, was sie vom NOFV halten. Egal welche Liga: „Es gibt keinen präventiven Effekt, je höher die Strafen sind“, meinte Lörcher. Vielmehr „kippt das Klima“. SVB-Sicherheitschef Lippold kann das bestätigen: Es sei „extrem schwierig“, den Gewinn von Berufungsverhandlungen und abgemilderte Urteile den Fans als Erfolge zu verkaufen. Jüngstes Beispiel: Nachdem es der SVB-Führung gelungen war, den Landespokal-Ausschluss seiner Mannschaft in zweiter Instanz zu verhindern, zeigten sich einige Fangruppen nicht etwa erfreut oder gar dankbar, sondern reagierten auf die Auflagen des FLB-Gerichtes mit Boykott des Pokal-Heimspiels gegen Union Fürstenwalde

Verbandsvertreter kündigen besseren Austausch mit Vereinen an

Doch es soll sich etwas ändern, was nicht zuletzt dem SV Babelsberg 03 zu verdanken ist, wie Brandenburgs neuer Fußballverbandspräsident Kaden versprach. Denn so hart die jüngsten Gerichtsverhandlungen mit den Filmstädtern auch waren, so sehr hätten sie deutlich gemacht, „wie wichtig es ist, in den Dialog und Austausch zu kommen“, sagte Kaden, der glaubhaft deutlich machte, dass er neue Wege gehen möchte. Auch NOFV-Chefjurist Oberholz zeigte sich offen für den Vorschlag der Vereinsvertreter Lörcher und Lippold, sich in Sportgerichtsverfahren auch mit den Betrachtungsweisen der Fans auseinanderzusetzen. „Wir kommen nur dann zu transparenten Entscheidungen, wenn alle Akteure, inklusive Fans, fair und offen miteinander umgehen.“ Er habe kein Problem damit, wenn in Stellungnahmen der Vereine im Rahmen von Verfahren auch Fanvertreter zu Wort kommen.

Wie wichtig eine klare Kommunikation ist, zeigt auch die Frage nach der Höhe von Geldstrafen. „Wir berücksichtigen die wirtschaftlichen Verhältnisse, insofern wir sie kennen“, versicherte Richter Oberholz. Doch würden Zahlen ungern von den Vereinen offengelegt. Hätte der SVB in der Vergangenheit nicht nur wütend gegen hohe Geldstrafen „wie in der Bundesliga“ protestiert, sondern auch in dieser Hinsicht das offene Gespräch gesucht, wäre laut Oberholz ein anderes Strafmaß gefunden worden. SVB-Präsident Archibald Horlitz nahm es interessiert zur Kenntnis: „Ein sehr spannender Lernprozess für alle Beteiligten.“

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