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Goldfischbecken. Turbine (hier mit Nally Meaghan, vorne links) werden regelmäßig die Talente weggeangelt.

© Uli Scherbaum/Imago

Turbines Trainer Sofian Chahed im Interview: „Beim Frauenfußball ist weniger Theatralik“

Turbines Trainer Sofian Chahed über seine Umgewöhnung, generelle Defizite bei Fußballerinnen und Goldfische in Potsdam.

Herr Chahed, was ist nach einem guten halben Jahr als Cheftrainer von Turbine Potsdam die interessanteste Erkenntnis für Sie?

Rein taktisch sind die Frauen genauso weit wie die Profis im Männer-Fußball. Aber auch da kann man noch viel arbeiten und rausholen. Doch ein bisschen enttäuscht bin ich, dass die Grundausbildung bei weitem nicht so gut ist wie bei den Jungs. Man muss bei den Frauen noch ganz viel individuell an Schlag- und Passtechniken trainieren, weil in der Jugend viel versäumt und in den letzten Jahren anscheinend nicht so gut gearbeitet wurde. Ich komme ja aus einem Nachwuchsleistungszentrum, wo junge Spieler ausgebildet werden. Wenn die hochkommen in den Männerbereich, sind die technisch fertig, da geht es dann nur noch um die taktische Einstellung. Bei den Frauen sind die Grundfähigkeiten noch sehr ausbaufähig.

Ist das Ihre Einschätzung für Turbine und machen Sie diese Beobachtung generell?

Das ist schon generell. Ich sehe das bei vielen Spielerinnen in der Bundesliga.

In den vergangenen Tagen wurde viel über 50 Jahre Frauenfußball in Deutschland geschrieben und geredet. Wie hat sich in den vergangenen Monaten Ihre Wahrnehmung vom Frauenfußball geändert?

Für viele Trainer ist es nach wie vor ein großer Anreiz, im Männerfußball zu arbeiten. Mit war das aber egal, weil ich einfach nur arbeiten und mit meiner Mannschaft erfolgreich sein möchte. Die öffentliche Wahrnehmung der Frauen-Fußballbundesliga ist nach wie vor nicht die, die man sich im Profibereich vorstellt. Das ist sehr ausbaufähig. Die Überlegungen, die Bundesliga in die Deutsche Fußball-Liga einzugliedern, gehen in die richtige Richtung. Ich halte das für einen sehr wichtigen Schritt.

Es heißt, der Frauenfußball sei ehrlicher als der Männerfußball, dass Frauen nicht so theatralisch seien. Stimmt das?

Jein. Bei den meisten Spielerinnen stimmt das. Aber gerade, wenn man gegen die Top-Mannschaften spielt, wissen dort die Spielerinnen auch, wenn sie fallen und schreien müssen. Aber im Großen und Ganzen ja: Beim Frauenfußball ist weniger Theatralik.

Hat die Arbeit mit Fußballerinnen eine neue Seite an Ihnen hervorgerufen?

Eigentlich nicht. Das Spiel ist das gleiche, es geht elf gegen elf, ums Gewinnen, um die gleiche Taktik. Ab und zu muss man mal mehr sprechen als bei Männern und das eine oder andere erklären. Aber das hat nichts Neues in mir hervorgerufen. Ich kann ganz gut erklären, was ich vorhabe und was mein Plan ist.

Ihre Spielerin Merle Barth meinte jüngst in einem Interview, dass Sie noch ein bisschen mehr reden könnten.

Ja, ich weiß. Man kann aber nicht immer alles erklären und ich denke, ich habe die richtige Mischung gefunden.

Von Turbine Potsdam heißt es, es wäre eine Mannschaft mit viel Potenzial. Worin sehen Sie das?

Das Potenzial sind die jungen Spielerinnen, die entwicklungsfähig sind. Doch geht das nicht von heute auf morgen, das ist ein Prozess. Wenn man diese Mannschaft zusammenhalten und die nächsten drei, vier Jahre an allem mit ihr arbeiten könnte wie an der Individualtaktik oder an der Schlagtechnik, dann ließe sich viel aus dem Potenzial machen. Aber leider ist es oftmals so, dass Turbine die Spielerinnen ausbildet und wenn sie fertig und gut sind, Vereine wie Bayern kommen und uns unsere Spielerinnen klauen. Damit müssen wir leben. Wir sehen uns derzeit als Ausbildungsverein, um junge Talente an Land zu ziehen. Uns muss dann aber auch klar sein, dass die großen Klubs kommen und sich unsere Goldfische angeln.

Was müsste passieren, dass die Goldfische bleiben?

Da müssten wir zum einen in der Champions League spielen und zum anderen müsste der eine oder andere neue Sponsor generiert werden, um ein, zwei oder drei Leistungsträgerinnen länger halten zu können. Anderenfalls werden wir mit den Topklubs nicht mithalten können.

Lizenzvereine wie München, Wolfsburg und Frankfurt entwickeln sich sportlich und wirtschaftlich stetig weiter. Wie kann ein reiner Frauenfußballverein wie Turbine da mithalten?

Man kann das in unserer jetzigen Situation gut sehen. Wir holen gerade das Maximum raus und hoffen, dies bis zum Ende der Saison halten zu können. Man kann schon im oberen Drittel mitmischen, aber mit der Meister- oder Vizemeisterschaft werden wir nichts zu tun haben. Bei den Anschlussplätzen können wir mithalten, wollen wir ja auch: Wir haben ja gesagt, dass wir Dritter werden wollen.

Bei der herben 0:5-Niederlage gegen Wolfsburg waren die Unterschiede in Sachen Spieleröffnung, Ruhe am Ball, Tempo ein Klassenunterschied. Wie ging es Ihnen nach dem Spiel?

Die drei Punkte waren nicht eingeplant. Aber die Art und Weise, wie wir verloren haben, waren schon etwas ernüchternd für mich. Das habe ich der Mannschaft auch gesagt, aber auch, dass eine Woche später mit Frankfurt ein Gegner kommt, mit dem wir uns eher auf einer Wellenlänge sehen. Das hat sich ja dann in dem Spiel mit dem 1:0-Sieg gezeigt.

In 2020 stehen nun die beiden letzten Partien an. An diesem Freitag geht es nach Essen und das Wochenende drauf nach Hoffenheim (20.12. Zwei Mannschaften, gegen die sich Turbine keinen Ausrutscher leisten kann.

Die Duelle gegen die direkte Konkurrenz dürfen wir nicht verlieren. Gegen alle, die hinter uns stehen, müssen wir punkten, was nicht einfach wird. Vor allem Hoffenheim ist aktuell auf einem sehr guten Weg mit zuletzt fünf Siegen in Folge. Gegen Essen und Hoffenheim müssen wir mit vier Punkten rechnen. In der Rückrunde sind Wolfsburg und Bayern Bonusspiele, aber gegen alle anderen Mannschaften müssen wir unsere Hausaufgaben machen.

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