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Landeshauptstadt: Zwei Tage später war der Oberst tot

Nach Selbstmordversuch wurde Siegfried Wagner ins KZ gebracht

Am 22. Juli 1944, zwei Tage nach Stauffenbergs missglücktem Attentat auf Hitler, stürzte sich Siegfried Wagner aus seiner Wohnung im dritten Stock des Hauses Kurfürstenstraße 19 auf das Straßenpflaster. Der Oberst, der dem Kreis der Verschwörer angehörte, wollte durch Selbstmord der Verhaftung entgehen. Er überlebte jedoch mit Becken-, Lendenwirbel- und Rippenbrüchen. Der Schwerverletzte wurde in ein Potsdamer Krankenhaus gebracht. Tags darauf holte ihn die Gestapo ab und überführte ihn in das Konzentrationslager Sachsenhausen.

Dort beobachtete der im Laboratorium des Krankenbaus eingesetzte politische Häftling Bruno Meyer in der Nacht zum 24. Juli seine Einlieferung. Wagner war bis zum Kopf mit einem weißen Laken zugedeckt und lag völlig nackt und regungslos auf dem Rücken auf der Trage , schreibt er in seinem 1961 veröffentlichten Erinnerungsbericht. An der Stirn war eine Platzwunde zu erkennen. Ein Gestapobeamter wies das Personal der Ambulanz an, den Kranken vorsichtig zu behandeln, da er ein „wichtiger Mann“ sei. Der Verletzte wurde geröntgt und sein Unterleib eingegipst, eine wirksame medizinische Behandlung erfuhr er nicht.

Vielmehr beobachtete Meyer, dass er ohne Rücksicht auf seinen kritischen Zustand fast ununterbrochen im Verbandszimmer der Krankenbaracke R I vernommen wurde. Dazu soll auch ein Gestapospitzel unter den Häftlingen eingesetzt worden sein, der ehemalige Mitarbeiter der NSDAP-Reichsjugendführung Werner Rosner, der sich als Widerstandskämpfer ausgab und Wagner Informationen über die Verschwörer entlocken sollte.

Zwei Tage später war der Oberst tot. Auf der am 26. Juli 1944 vom SS-Standesamt Oranienburg II ausgestellten Sterbeurkunde werden die Sturzverletzungen als Todesursache angegeben; die Häftlinge im Krankenrevier waren jedoch der Meinung, dass sie nicht zum Tode führen mussten. Bruno Meyer sah Wagners Leiche im Keller der Pathologie in einem braunen Eichensarg. Wie er erfuhr, sollte sie den Angehörigen in Potsdam übergeben werden. Bald danach wurde der Sarg abgeholt. Siegfried Wagner wurde auf dem Neuen Friedhof auf der heute noch bestehenden Familiengrabstätte beigesetzt. Dies war ungewöhnlich, denn in der Regel verweigerte das Naziregime den Verschwörern die Bestattung und ließ ihre Asche in alle Winde verstreuen. Der Witwe Carla-Luise Wagner übersandte die Verwaltung des KZ Sachsenhausen am 3. August 1944 in einer rosafarbenen Büchse per Einschreiben den persönlichen Nachlass des Verstorbenen: eine Armbanduhr, einen Ring, das Eiserne Kreuz Erster Klasse und das Eiserne Kreuz mit Band und Schwertern.

Bei der Aufarbeitung des Offizierswiderstandes hatten die DDR-Historiker Siegfried Wagner zwar nicht übergangen, ihm aber eine Nebenrolle zugewiesen. Dies mag darin begründet sein, dass der 1881 in Graudenz Geborene politisch konservativ eingestellt und ab 1930 Bundeskanzler des monarchistisch ausgerichteten Frontkämpferbundes Stahlhelm war. Zudem übernahm er 1931 den Vorsitz des Deutschen Ostmarken-Vereins.

Die wahre Bedeutung Wagners im Widerstand gegen Hitler hat erst 1998 Anne-Katrin Ziesak in ihrem Beitrag für den von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten herausgegebenen Band „Verschwörer im KZ“ klargestellt. Der Generalstabsoffizier des Ersten Weltkriegs, der dann Oberzoll- und Grenzkommissar und Chef der Bürgerwehr in Danzig wurde, freundete sich mit dem dortigen Bürgermeister Carl Goerdeler an, der später zum zivilen Kopf des Widerstandes aufstieg. In den 30er Jahren übersiedelte Wagner nach Potsdam, wo er im Heeresarchiv tätig war. Später trat er wieder in den Militärdienst ein, wurde 1941 zum Oberst befördert und Abteilungschef der Truppenabteilung im Oberkommando der Wehrmacht.

Wie er zum Kreis um Stauffenberg fand, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Für Wagners herausragende Rolle spricht jedoch, dass er nach Gelingen des Staatsstreichs als militärischer Verantwortlicher für den Wehrkreis IX (Hannover) vorgesehen war.

Im Vorjahr wurde in der Gedenkstätte Sachsenhausen ein Gedenkstein enthüllt, der auch Siegfried Wagners Namen trägt. In Potsdam scheint er nahezu vergessen. An oder in seinem Wohnhaus Kurfürstenstraße 19 eine Informationstafel anzubringen, hatte bereits vor Jahren Pfarrer Gottfried Kunzendorf angeregt. Bei den Medizinern, die das Gebäude als Ärztehaus nutzen, hat dies offensichtlich keine Resonanz gefunden. Sein Grab auf dem Neuen Friedhof wurde nicht zum Ehrengrab erklärt und auch nicht unter Denkmalschutz gestellt. E. Hohenstein

E. Hohenstein

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