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Wer tausend Kraniche faltet, dem erfüllen die Götter einen Wunsch, so der japanische Mythos. Künstlerin Mahela Rostek will es versuchen. 

© Andreas Klaer

Wenn die Kraniche glühen: Auf der Suche nach Licht

Potsdam erlebt einen doppelt dunklen Herbst und Winter. Künstlerin Mahela Rostek lässt dagegen ihre Kraniche leuchten - der Auftakt für die PNN-Serie zur Adventszeit, mit der wir Ihnen jeden Tag einen Lichtblick schenken.

Potsdam  Die Idee zum Licht kam Mahela Rostek in dunkler Stunde. 2013 war das, die Künstlerin lebte noch in Berlin und hatte gerade eine Arbeit zum Thema Entschleunigung gemacht. „Der süße Nektar Zeit“, eine Performance mit der japanischen Lyrikerin Minako Matsuishi. Ein Pianist spielte entschleunigt Bach, Mahela Rostek schenkte Tee aus, flüsterte den Anwesenden Sätze ins Ohr. Die Lyrikerin las Gedichte – und brachte Mahela Rostek das Falten von Kranichen bei, Symbol für Glück und ein langes Leben. Wer Tausend davon faltet, dem erfüllen die Götter einen Wunsch, so der japanische Mythos. Ein großer Kranich hing damals von der Decke, von innen erleuchtet.

„Der süße Nektar Zeit“ war eine gute Arbeit, sagt Mahela Rostek. Aber das Team zerstritt sich, Rosteks Lebenspartner trennte sich. Sie, die einige Jahre Bühnen- und Kostümbildnerin am Theater Bonn gewesen war und danach als freie Künstlerin in Berlin, London und Paris gearbeitet hatte, hatte die Nase voll von Kunst. Von einer Tätigkeit, die viel verlangt und wenig bringt. So dachte sie damals. Und sie dachte: Mache ich jetzt eben was anderes. Gründe ich ein Lampenlabel. Da hatte sie noch nie eine Lampe gebaut.

Hell und dunkel. Blick auf die festlich geschmückte Friedrich-Ebert-Straße und das Nauener Tor. 
Hell und dunkel. Blick auf die festlich geschmückte Friedrich-Ebert-Straße und das Nauener Tor. 

© Ottmar Winter

Den ersten Kranich hat sie heute noch

Das war die Geburtstunde von „Einer von tausend“. Das Ziel: Tausend Leucht-Kraniche, pro Kranich ein Wunsch – in Erfüllung gehen die aber erst, wenn die Tausend voll ist, so will es die Legende. 2014 baute Mahela Rostek den ersten Kranich dieser Reihe, sie hat ihn heute noch: Tief drinnen ihr eigener Wunsch, den sie nicht nennen will. Den zweiten Kranich verkaufte sie, wie auch die folgenden. Inzwischen sind es 104 Stück, ausgeliefert fast in alle Welt. Auf einer Webseite kann man nachvollziehen, wohin die Kranich-Lampen von Mahela Rostek ausflogen.

Spanien, Griechenland, die Schweiz, England. Ägypten, Bolivien, Thailand. Aber auch Berlin – und Potsdam. 41 Städte, zwölf Länder, fünf Kontinente umspannt das Netz der leuchtenden Kraniche. Und es sollen mehr werden. Darum sind sie ab heute im Schaufenster der Potsdamer Buchhandlung Viktoriagarten zu sehen. Und natürlich auch, um diesen doppelt dunklen Winter, den zweiten mit Corona, ein wenig heller zu machen.

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Die Kraniche bestehen aus Tyvek-Papier, einige hängen von der Decke, andere sind als Lampen mit Holzfüßen konzipiert. Ausschließlich Obsthölzer, am liebsten Zwetschge. Das Holz lässt sich Mahela Rostek in ihr Atelier nach Hause liefern. Sie schneidet die Klötze selbst zu, schmirgelt selbst, macht die Bohrungen für die Kabel selbst. „Ich arbeite einfach gerne mit meinen Händen“, sagt sie. An einem Leucht-Kranich arbeitet sie etwa zwei Tage. Was den Preis anbelangt, hat sie lange mit sich gehadert, inzwischen sind sie je nach Größe und Beschaffenheit für 185 bis 340 Euro zu haben.

Der Verkauf steht nicht im Vordergrund -sondern die Begegnung

Wenn Mahela Rostek heute von „Einer von tausend“ erzählt, nennt sie es nicht Label, sondern ausdrücklich Kunstprojekt. „Nicht der Verkauf steht im Vordergrund, sondern die Begegnung mit den Menschen, die sich für meine Kunst interessieren.“ Interessierte lädt in ihr Atelier ein, das sie seit 2018 in der Geschwister-Scholl-Straße hat. Die Abmachung, die Mahela Rostek mit Käufer:innen trifft, geht zudem über das Finanzielle hinaus. 

Wer einen Kranich erwirbt, soll einen eigenen Wunsch formulieren und der Künstlerin per Post schicken. Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich die Briefe. Auf der Webseite sind die Wünsche nachzulesen. Es ist ein Panorama aus Träumen und Hoffnungen. Frieden, steht da. Mehr Achtsamkeit und Muße. Ein glückliches Leben für den Sohn, die Kinder, die Enkel. Eine Medizin gegen Krebs. Liebe.

Manche Kraniche sind als Lampen konzipiert.
Manche Kraniche sind als Lampen konzipiert.

© Andreas Klaer

„Wenn man selbst daran glaubt, dass man etwas ändern kann, dann kann man auch etwas ändern“, sagt Mahela Rostek. „Wie sonst soll Veränderung möglich sein?“ Für sie hat „Einer von tausend“ auch eine politische Dimension, denn: „Was man sieht, wenn man genauer hinschaut, ist, dass sich eigentlich alle das Gleiche wünschen. Egal, woher die Menschen kommen.“ Und die Kraniche lebten auch selbst vor, wie ein Denken ohne Unterscheidungen funktioniere: „Sie kennen keine Grenzen.“

Auch als das Netzwerk KulturMachtPotsdam im März eine Nacht lang digital die Wiederauferstehung der Kultur feierte, saß Mahela Rostek an ihrem Schreibtisch und faltete Kraniche. In dem Festivalrauschen aus virtuellen Orten, Filmen, live gestreamter Musik und Acts von Menschen in bunter Verkleidung schien Mahela Rostek die Einzige zu sein, die als Mahela Rostek da war. Nebenan flirrte, witzelte und vibrierte es, bei ihr herrschte beinahe absolute Stille. Nur das Rascheln von dünnem Papier, und ihre Fragen. Die wichtigste, auch hier: Was wünschst Du Dir?

Entschleunigung, Wahrhaftigkeit, Begegnung, Austausch

„Wunschformat 15 x 15“ hieß die Veranstaltung im März. Angekündigt als interaktive Begegnung. Eine Viertelstunde lang ging es um Wünsche, Sehnsüchte. Währenddessen entstand ein Kranich aus blauem Papier. Eine Viertelstunde lang ließ Mahela Rostek die Menschen an ihrem eigenen Glück falten. Lud sie ein, eigene Ziele in den Kranich zu legen und ihn gut sichtbar aufzubewahren. Als Erinnerung an das, was sein soll. Was sein kann.

Im „Wunschformat“ kamen die wesentlichen Zutaten zusammen, die in allen ihren Arbeiten Grundpfeiler sind. Entschleunigung. Wahrhaftigkeit. Begegnung. Austausch. Und auch: Die Suche nach Licht, nach dem Glück für andere. Im Januar soll es eine Neuauflage geben, nur das Papierformat hat sie auf 20 mal 20 erhöht, Interessierte können sich ab sofort melden. „Kunst ist für mich die Möglichkeit, Menschen spielerisch in Kontakt mit sich selbst zu bringen“, sagt sie. Kunst als Therapie? Ja und nein. Wo Therapien zeitlich offen sind, haben die Projekte von Mahela Rostek immer einen festen Rahmen, Anfang und Ende sind vorher gesetzt. Aber: Ja, sie glaubt fest daran, dass Kunst glücklich machen kann.

www.einervontausend.com. „Einer von tausend“, in der Buchhandlung Viktoriagarten, Geschwister-Scholl-Str. 10

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