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DasWAR’S: Hagebutten im Treppenhaus

Was Peter Könnicke auf dem Weg zur Arbeit entdeckte

Der Weg in unsere Redaktion führt über den Treppenflur der Wilhelmgalerie. Man kann auch den Fahrstuhl benutzen, aber das Treppensteigen ist spannender. Regelmäßig finden sich zwischen den Stockwerken irgendwelche Hinterlassenschaften und Botschaften,

Neulich hat jemand seinen Einkaufszettel verloren. So ein kleiner Zettel verrät einiges über einen Menschen. Der da zwischen der Gefäßchirurgie-Praxis und PNN-Redaktion seinen Zettel verloren hatte, scheint gute Küche zu mögen. Immerhin hatte er Lammkeule, Sahne und Klöße notiert. Und Sekt, Suppengrün und Sellerie. Außerdem achtet der Zettelverlierer auf Mülltrennung, denn er wollte nur kleine Müllbeutel kaufen. Wer seinen Abfall nicht trennt, haut alles in einen großen Eimer und braucht große Tüten.

Neben zufälligen Fundsachen wie diesem Einkaufszettel gibt es jemanden, der in regelmäßigen Abständen politische Statements im PNN-Treppenhaus hinterlässt. Aufkleber von der Linkspartei, Parolen der DKP, Anti-Hartz-Thesen, Bilder von Che, Karl und Rosa. Diesen Menschen zeichnet eine eindeutig politische Motivation aus. Ich versuche mir vorzustellen, wie er durch den Flur huscht, aufgeregt nach links und rechts späht, unauffällig seine Botschaften ans Geländer klebt und flugs wieder verschwindet. Ein spleeniges Männchen, das allerdings einen Gegenspieler hat. Der kritzelt auf den Rand der PNN Hasstiraden auf die Kommunisten und „andere Arlöcher“. „Alte SED-Kader“ und „rote Socken“ werden beschimpft, „alte Seilschaften“ und die „neue Mafia“ beklagt, über „scheiß Bonzen“ und „korrupte Verbrecher“ geflucht. Ich sehe so eine Alfred-Tetzlaff-Type vor mir: zuhause in Jogginghose und Feinripphemd, der die Kinder im Hof zusammenscheißt, wenn die zu laut sind. So ein Guck-Mensch, der ständig auf dem Fensterbrett gestützt die Abläufe in seiner Straße verfolgt und der seinen Fernseher anschreit, weil da drin alle bekloppt sind.

Irritiert hat mich, als kurz vor Weihnachten auf der Treppe eine Packung Hagebuttentee lag. Ich dachte, jemand hätte sie verloren, doch ein Stockwerk höher klemmte eine zweite Packung, Hibiskustee, direkt im Geländer. Ich überlegte, ob ich die Päckchen mitnehmen sollte, aber irgendwie war mir die Sache zu heiß. „Roter Tee und Che“, reimte ich, „Kommunismus und Hibiskus.“ Wie passt das zusammen? Sollte ich besser Fahrstuhl fahren? Eher nicht. Ich bin neugierig auf weitere Botschaften und verlorene Notizzettel – jetzt, im Jahr der Ideen.

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