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Bild der Zerstörung: Die Unfallstelle auf der A10 bei Glindow.

© dpa

Tragödie auf der A10: Geisterfahrer reißt Familienvater mit in den Tod

Bei einem Unfall auf dem Berliner Ring bei Glindow sterben zwei Autofahrer aus Mittelmark.

Werder (Havel) - Ein Geisterfahrer hat auf dem Berliner Ring bei Werder (Havel) am Dienstagabend bei einem Verkehrsunfall einen weiteren Autofahrer mit in den Tod gerissen. Nach Angaben der Polizei war der 49-jährige Unfallverursacher gegen 21 Uhr in entgegengesetzter Richtung bei Glindow auf die Autobahn 10 in Richtung Dreieck Potsdam gefahren. Eine Frau in einem anderen Wagen konnte ihm mit Glück noch in letzter Sekunde ausweichen. Zwei Kilometer später prallte der Beelitzer mit seinem Opel dann frontal in den Ford Mondeo eines 57-jährigen Familienvaters aus Borkheide. Beide Männer starben in völlig zerstörten Autos.

Die Polizei schließt einen Selbstmord des Beelitzers nicht aus, so Sprecherin Jana Birnbaum gegenüber den PNN. Es gebe sogar mehrere Faktoren die für einen Suizid sprechen. „Er hatte Probleme im privaten Umfeld“, sagte Birnbaum. So lebte der Mann geschieden von seiner Frau und seinem zehnjährigen Sohn. In seinem zerfetzten Wagen fanden sich zudem Gerichtsunterlagen. Unklar sei, ob ihn auch finanzielle Sorgen plagten. Ein Abschiedsbrief fanden die Ermittler noch nicht. Untersucht wird, ob andere von dem Selbstmord wussten oder davon ahnten.

Der Suizidforscher Günter Esser, Leiter der Klinischen Psychologie an der Uni Potsdam, hält einen Selbstmord, bei dem auch Unbeteiligte zu Schaden kommen, nicht für ausgeschlossen. Nicht selten seien Geisterfahrer mit Suizidabsichten versucht, ein starkes Zeichen zu setzen, sagte Esser: „Seht, wohin ihr mich getrieben habt.“ Die Menschen wollen Schuldgefühle bei Angehörigen hinterlassen. Ohnehin präge sie oft ein Hass auf die Umgebung, was zu solch aggressiven Handlungen wie einer Geisterfahrt führen könne. Zudem seien es häufig Männer, die zu solchen Mitteln greifen – wenn sie in für sie augenscheinlich ausweglosen Krisensituationen stecken.

Viele der Taten seien länger geplant und hätten eine Vorgeschichte, so Esser. Warnsignale für einen Selbstmord hält er deshalb für möglich. Zum Beispiel eine plötzliche gute Laune nach langer Depression. Ob es sich aber tatsächlich um einen Selbstmord handelt oder um einen tragischen Unfall, könne mitunter nie aufgeklärt werden, so der Wissenschaftler.

Indes haben sich noch am Dienstagabend Betreuer der Notfallseelsorge Brandenburg um die Ehefrau des vom Geisterfahrer getöteten Ford-Fahrers gekümmert. Die Frau stand unter Schock und musste von Rettungskräften behandelt werden. Der Mann hinterlässt auch einen erwachsenen Sohn.

Der Landesbeauftragte der Seelsorge, der evangelische Pfarrer Stefan Baier, weiß, wie schwierig solch eine Situation für die Hinterbliebenen ist, wenn ihre Lebenspläne aus den Fugen geraten. „Derjenige vergisst plötzlich, wo oben, unten, rechts oder links ist“, so Baier. Seit zwölf Jahren betreut er Unfallopfer und Hinterbliebene im Land. Ein Schock sei immer eine Schutzreaktion der Seele. „Sich der neuen, schrecklichen Wirklichkeit anzunähern, dauert.“ In erste Linie ginge es für die Seelsorger deshalb darum, für den Menschen da zu sein. „Wir müssen Schweigen, aber auch große Emotionen wie Wut aushalten“, sagt der Pfarrer.

Die Seelsorger bleiben einige Stunden vor Ort, bis Verwandte oder Freunde helfen können. Darüber hinaus wird Opfern die Hilfe eines Notfallnetzwerks von Psychologen und Psychotherapeuten angeboten. Hilfe hätten zudem am gestrigen Mittwoch auch die Angehörigen des Beelitzer Geisterfahrers erhalten, sagte Baier. „Die Familie des Unfallverursachers ist mitunter doppelt betroffen.“ Eben weil auch ein Unbeteiligter zu Schaden kam.

Die Potsdamer Kriminalpolizei prüft indes weiter die genauen Hintergründe des Dramas. Der Unglücksort wurde bereits am Dienstagabend im Auftrag der Staatsanwaltschaft von einem unabhängigen Gutachter der Dekra untersucht. Für die Aufräumarbeiten wurde der Berliner Ring in Richtung Dreieck Werder für etwa 45 Minuten voll gesperrt.

HINTERGRUND

Immer wieder meldet der Verkehrsfunk Falschfahrer. Laut ADAC gab es 2013 etwa 2200 Meldungen in Deutschland. Die Zahl ist mit denen der Vorjahre vergleichbar. Nach den Aufzeichnungen des Automobilclubs kam es 2013 zu 16 Unfällen, 22 Menschen starben. Wir listen einige Vorfälle der vergangenen Jahre aus Brandenburg auf:

24. Mai 2014: Ein 65-jähriger Geisterfahrer verursacht auf dem südlichen Berliner Ring (A 10) drei Unfälle. Fünf Menschen werden verletzt, drei von ihnen schwer. Laut Polizei war der Mann aus Stendal an der Auffahrt Michendorf vor dem Autobahndreieck Nuthetal offenbar falsch abgebogen und in den Gegenverkehr geraten.

5. Februar 2014: Auf der Autobahn 12 rammt ein Geisterfahrer zwischen Fürstenwalde und Frankfurt (Oder) ein Polizeiauto und flüchtet. Die Beamten stellen den 71-Jährigen später in seiner Wohnung.

29. Dezember 2012: Wegen eines betrunkenen Geisterfahrers sperrt die Polizei die Autobahn 11 zwischen den Anschlussstellen Bernau-Nord und Bernau-Süd. Der 44-Jährige ignoriert sämtliche Versuche von Beamten, ihn zu stoppen. Er verursacht zwei Unfälle mit einem Gesamtschaden von etwa 15 000 Euro.

10. April 2010: Ein 82-jähriger Geisterfahrer verursacht auf dem östlichen Berliner Ring A10 einen Unfall. Er selbst und eine 54-Jährige, die ihm in ihrem Auto entgegenkommt, werden getötet. (dpa)

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