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Kultur: Zwischen Predigt und Zeigefinger

„Demokratischer Früherziehung“ in Ost und West

„Demokratischer Früherziehung“ in Ost und West „Und wenn“s nur einer wär“.“ Der Schlusssatz und zugleich Filmtitel verfehlt seine pathetische Wirkung nicht, wie auch der gesamte Film durch seinen sehr klaren Hinweis auf den Zusammenhang von autoritärer Erziehung und Faschismus aufmerken lässt. Freilich trägt er an vielen Stellen zu dick auf, um wirklich künstlerisch zu sein. Natürlich zeigt die DEFA-Produktion bereits 1949 mit dem Finger auf die andere Seite der Sektorengrenze, um auf die Wiederkehr von Altnazis und Faschismus hinzuweisen, wobei ihr Regisseur Wolfgang Schleif selbst Regieassistent bei Veit Harlans NS-Propagandafilmen „Jud Süß“ (1940) und „Kolberg“ (1945) war. Der Film aber zeigt, wie jugendliche Straftäter in einem Erziehungslager durch gelebte Demokratie zu verantwortungsvollen Staatsbürgern gemacht werden. Als der liberale Leiter von den Behörden abgelöst und durch einen Kriegsverbrecher ersetzt wird, ziehen Methoden ein, wie man sie aus den Konzentrationslagern kennt: Strammstehen, Stacheldraht und Schäferhunde. Also beschließen einige Jugendliche, über die Sektorengrenze in die Arme ihres geschassten Lagerleiters zu fliehen. Trotz der Zwischentöne drückt der Film vor allem eines aus: Hoffnung in die Jugend. Diese Hoffnung ist auch den Filmen gemein, die in halbdokumentarischer Form der amerikanischen Besatzungszone die Demokratie näher bringen sollten. Die Aufklärungsfilme ähneln sich, wie Heiner Roß von der Kinemathek Hamburg einführend erläuterte, oft verblüffend. Zwar unterscheide sich die Machart, inhaltlich gebe es jedoch erhebliche Schnittmengen zwischen den Filmen aus Ost und West. Offenbar waren Zweifel die „demokratische Kompetenz“ betreffend bei allen die Produktionen überwachenden Besatzern ähnlich hoch. Während im Rahmen von „Ernstfall Demokratie“ im Filmmuseum am vergangenen Mittwoch die Filme der sowjetisch besetzten Zone betrachtet wurden, standen am Donnerstag die der amerikanischen zur Diskussion. Ekkehart Krippendorff, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, hielt die in westdeutscher Eigenproduktion entstandenen Zeitfilme für den Beweis, dass die Deutschen „nichts gelernt“ hatten. Wie stets zuvor hätten die Deutschen die ihnen übertragene Regierungsform geschluckt, nun eben die Demokratie. Dietrich Benner, Erziehungswissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin, fand dagegen diese Filme glaubwürdiger als die rein amerikanischen Produktionen, die zu sehr das Sendungsbewusstsein ihrer Macher transportierten. Womit Benner auf den Punkt kam, inwieweit Demokratie von außen an ein Volk herangetragen werden kann, vor allem wenn sie nicht nur Regierungs-, sondern auch Lebensform sein soll. Für den Potsdamer Zeithistoriker Christoph Kleßmannn sind die Filme eine Mischung aus „betulicher Predigt und penetrantem Zeigefinger“, die jedoch einen sinnvollen Weg beschritten, indem sie den autoritären Charakter des deutschen Schulsystems angegangen hätten. Benner stellte in Frage, ob ein Staat die Jugend mit ähnlichen Mitteln zur Demokratie erziehen könne, wie ein anderer zur Diktatur. Filmhistoriker Roß sah in solchen Filmen jedoch das Potenzial zum Widerspruch angelegt, wie er sich dann 1968 geäußert habe. Grund also zur Dankbarkeit den Besatzern gegenüber? Krippendorff plädierte hier für die Unterscheidung zwischen den einfachen Soldaten, die voller Überzeugung für Demokratie und Frieden gekämpft hätten, und der offiziellen Politik, die durchaus ihre Geschäfte mit Nazideutschland gemacht habe. Christoph Kleßmann zeigte sich in diesem Punkt weniger differenzierend: „Man könnte auch sagen: Wir haben einfach Glück gehabt“. Moritz Reininghaus

Moritz Reininghaus

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