zum Hauptinhalt
Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase ist am 5. Oktober 2022 verstorben.

© Manfred Thomas

Zum Tod von Wolfgang Kohlhaase: Der mit dem Blick der Liebe

Wolfgang Kohlhaase war einer der wichtigsten Drehbuchautoren Deutschlands, vielleicht der beste. Nachruf auf einen, der mit Humor in menschliche Abgründe sah.

Vor knapp einem Jahr war Wolfgang Kohlhaase im Filmmuseum Potsdam zu Gast. Eine coronabedingt verschobene Veranstaltung zum 90. Geburtstag, den er im März gefeiert hatte. Kohlhaases letzter Film wurde gezeigt, „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von 2017, davor berichtete er aus seinem langen Leben. Von Krieg und Defa und Film als „geselliger Kunst“. „Man muss Lust am Film haben, nicht Furcht davor.“

Kohlhaase sprach im Filmmuseum so, wie sich auch seine Drehbücher anhören. Pointiert und nebenbei, leichtfüßig und melancholisch. Kein Wort zu viel, auch wenn es, wie an diesem Abend, mal viele Worte sind. Danach standen sie alle auf der Treppe im Foyer des Filmmuseums: Gratulanten und Mitstreiter der letzten Jahrzehnte posierten fürs Foto. Volker Schlöndorff, mit dem Kohlhaase „Die Stille nach dem Schuss“ machte, Eugen Ruge, nach dessen Romanvorlage „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ entstand, Matti Geschonneck, der dabei Regie führte, Sylvester Groth, einer der Hauptdarsteller. Ganz rechts steht Andreas Dresen, mit dem Kohlhaase seit „Sommer vorm Balkon“ aus dem Jahr 2005 eine enge Freundschaft verband. Mittendrin der Jubilar. Lässig, elegant, ein Glas in der Hand. Film, eine gesellige Kunst.

Präzise im Entwerfen von ganzen Lebenswelten in wenigen Worten

„Du bist für mich der beste deutschsprachige Drehbuchautor“, sagte damals einer, der Kohlhaases Texte nicht konsumieren, sondern artikulieren durfte: der Schauspieler Sylvester Groth. Er könnte Recht haben. Niemand sonst war so genau, so nahe an der Widersprüchlichkeit der Menschen, so präzise im Entwerfen von ganzen Lebenswelten in wenigen Worten.

„Is ohne Frühstück.“ Renate Krößner als „Solo Sunny“ 1980.

© mauritius images / Alamy / Archi

„Man meint, es schon immer gewusst zu haben, und hätte es doch nie so formulieren können“, schrieb Andreas Dresen über Kohlhaases Kunst im Nachwort des Erzählungsbandes „Erfindung einer Sprache“, der 2021 anlässlich des 90. Geburtstages erschien. Eine Neuauflage: Alle darin erfassten Texte waren bereits 1977 erschienen, in einem anderen Land, der DDR. Dass alles Beschriebene auch 40 Jahre später ungebrochen gültig ist, macht die Kraft dieser Texte deutlich. Ideologien altern, die Nöte, Sehnsüchte, Träume der Menschen nicht. Kohlhaase interessierte sich für Letzteres.

In „Erfindung einer Sprache“ begegnete man in belletristischer Form den Themen, Stimmungen, Figuren seiner wichtigsten Filme wieder. Den Halbstarken im Ostberlin der Nachkriegszeit („Berlin Ecke Schönhauser“), der Sprachlosigkeit über die Gräuel im Krieg („Ich war neunzehn“), dem Lebenshunger einer „Solo Sunny“. Und natürlich immer wieder auch der Liebe - von den mannigfaltigen Realitäten und Banalitäten des Lebens, die sie verkomplizieren, ist sie bei Kohlhaase nicht zu trennen. Selten komischer, tragischer als in der Erzählung „Inge, April und Mai“. Eine erste, im ausgehenden Krieg unbeholfen aufblühende Liebe geht kaputt, weil der pubertierende Ich-Erzähler seiner Angebeteten den später bitter bereuten Satz sagt: „Heut Nachmittag habe ich keine Zeit.“

Immer lauert irgendwo der Krieg

Geboren wurde Wolfgang Kohlhaase 1931 in Berlin. Er wuchs in Adlershof auf. Der Krieg endete, als er 14 war. Er lauert in Kohlhaases Werk immer irgendwo. In den Erzählungen und frühen Filmen oft als Mitspieler im Vordergrund. Später in den von Einschusslöchern durchzogenen Fassaden des Prenzlauer Bergs. Kohlhaases Figuren sind trotzdem nicht in erster Linie Überlebende, sondern ausdrücklich Lebende. Beim Leben hilft, ganz wesentlich auch in den Filmen Wolfgangs Kohlhaases, der Humor. „Ich hab mich durch Lesen auf der Toilette gebildet“, sagt Henry Hübchen als alternder Schauspieler Otto in „Whisky mit Wodka“. „Aber leider konnte ich nicht so viel scheißen wie ich hätte lesen sollen.“

Gefühle verstecken sich bei Wolfgang Kohlhaase scheu zwischen den Zeilen, hat Andreas Dresen geschrieben. „Die Figuren verstecken sich hinter einer robusten, rauen Schale, die sie unverwundbar scheinen lässt.“ Nichts ist Kohlhaases Drehbüchern ferner als Schwulst oder Gefühlsduselei. „Is ohne Frühstück“, das ist einer der wohl bekanntesten Sätze, die Kohlhaase je geschrieben hat. Renate Krößner sagt ihn als „Solo Sunny“ 1980 zu einem Mann, mit dem sie gerade die Nacht verbracht hat. In dem ganzen Film geht es um die Sehnsucht dieser Sunny nach Nähe - und Kohlhaase lässt sie Sätze wie diesen sagen. Sätze, die bewusst wegstoßen, Sätze, die die Figur schützen. Was Sunny noch sagt: „Is auch ohne Diskussion.“

Die Figuren sind oft lustig, lächerlich sind sie nie

Mehr als 20 Filme entstanden für die Defa, wo Kohlhaase nach Volontariat und Redakteursdasein bei der Jugendzeitschrift „Start“ sowie späterer Tätigkeit für die „Junge Welt“ kurzzeitig als Dramaturgie-Assistent angestellt war. Schon 1952 war er freischaffend. Mit Konrad Wolf machte er auch 1968 „Ich war neunzehn“, jenen heute ikonischen Antikriegsfilm, der vom Ende des Zweiten Weltkriegs erzählt ohne die Sowjetarmee heldisch zu überhöhen - und 1978, weniger bekannt, aber nicht weniger klug und sehenswert, „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ mit Kurt Böwe in der Hauptrolle als bulliger, zweifelnder Künstler. „Jede Sache hat etwas, was man gleich sieht und was man nicht gleich sieht“, sagt Böwe darin einmal. „Aber es muss erstmal da stehen und Licht drauf scheinen.“ 

Nach 1989 folgten Arbeiten, die ihn auch im gesamtdeutschen Gedächtnis zu einem der wichtigsten Drehbuchautoren machen: Volker Schlöndorffs „Die Stille nach dem Schuss“, Matti Geschonnecks „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, Andreas Kleinerts „Haus und Kind“. Mit dem Regisseur Andreas Dresen teilte Wolfgang Kohlhaase nicht nur den Humor, sondern den Blick auf die Welt, auf die Menschen. Kohlhaases Blick auf seine Figuren war immer einer „mit den Augen der Liebe“, sagt Andreas Dresen. So schafft er es, dass man mit seinen Figuren lacht, sie aber nie auslacht. Sie sind oft lustig, lächerlich sind sie nie. Dieser Blick tat dem Defa-Film in der DDR so gut wie dem bundesrepublikanischen Film nach 1989. Er wird fehlen. Am 5. Oktober ist Wolfgang Kohlhaase gestorben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false