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Kultur: Wer wollen wir sein?

Im HOT beginnt am Freitag eine bundesweite Debattenreihe zum Umgang mit Flüchtlingen

Es ist die eine Frage, auf die sich derzeit alles zurückführen lässt: Wie wollen wir leben? Oder auch: Welches Land wollen wir sein? Nachrichten über Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken, an den Grenzen Europas frieren und für die es, wenn sie endlich hier angekommen sind, keine Infrastruktur gibt, wechseln sich gerade ab mit denen über den islamistischen Terror des IS – insbesondere seit den Anschläge von Paris. Die Debatten über beides – die humanitäre Katastrophe hier, die Sicherheit im Inland dort – vermischen sich.

Aber egal, wer gerade mit wem debattiert, zitiert werden die Werte der Aufklärung: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Nur werden sie unterschiedlich ausgelegt. Die einen meinen, diese Werte gegen die Einwanderer – die anderen sie gegen Pegida und Co. verteidigen zu müssen.

Auch am Hans Otto Theater stellt man sich die Frage: Welche Gesellschaft wollen wir sein? Eine offene, geleitet von Freiheits- und Menschenrechtsidealen, oder eine exklusive, die ihre Identität vor gefühlten äußeren Bedrohungen sichert? Für den Dramaturgen am Haus, Christopher Hanf ist klar: „Wenn das gesellschaftliche Klima sich zuzuspitzen scheint, müssen wir als Theater unserer Verantwortung nachkommen und ein Ort für solche Debatten sein.

Mit der Idee war das Potsdamer Stadttheater nicht alleine, auch der hier lebende Soziologe Harald Welzer, der die Stiftung „FuturZwei“ mitgegründet hat, die sich mit – wie der Name schon sagt – Zukunftsfragen beschäftigt. „Das hat sich gut gefunden: Das Hans Otto Theater fragte an, wir hatten gerade die bundesweite Aktion ausgekocht“, sagt Welzer. Die bundesweite Aktion heißt: Das Konzept, das an diesem Freitagabend im Hans Otto Theater Premiere hat – drei Referenten geben einen kleinen Impuls zum Thema, dann wird in großer Runde diskutiert –, wird danach auf Tour gehen. Nach Hamburg, München, Saarbrücken, Mannheim, Flensburg. Ein bisschen schade, dass die Pegida-Hochburg Dresden nicht auf der Route liegt.

Neben Welzer werden am Freitag die Potsdamer Philosophin und Direktorin des Einstein Forums, Susan Neimann, und der Schriftsteller Ingo Schulze Statements abgeben. Diskutiert werden kann über Teilaspekte, etwa die Überforderung der städtischen und kommunalen Verwaltungen, so Welzer. Ihm ist es aber wichtig, mit dem Kern des Ganzen anzufangen, eben die allem zugrunde liegende implizite zu einer expliziten Frage zu machen: Welches Land wollen wir sein? So heißt deshalb auch die Veranstaltung.

Überhaupt, findet Welzer, herrsche eine Fixierung auf das Problematische. Er fürchtet eher, dass hier einiges kaputtgeredet wird. „Mich hat es unheimlich fasziniert, wie groß die Bereitschaft in der Bevölkerung war, direkt zu helfen, mit Geld, durchs Mitanpacken, aber auch mit klaren Positionierungen wie Merkels Satz: Wir schaffen das.“

Unkenrufe aus Medien und Politik, nach denen die Kanzlerin an Zustimmung verliert – das findet er nicht angemessen. „Seriöser finde ich da Merkel, die sagt, Wählerstimmen interessieren mich gerade nicht, ich muss mit dem Problem jetzt umgehen.“ Ein Alleingang gegen den Willen von Parteikollegen? In Wahrheit, so Welzer, erlebe Deutschland gerade eine „Sternstunde der Demokratie“. Weil die Menschen sich selbst organisieren, um zu helfen.

Was aber, wenn sich in Deutschland lebende Juden um eine Zunahme des Antisemitismus fürchten und Josef Schuster vom Zentralrat der Juden eine Obergrenze für die Aufnahme fordert? „Die Besorgnisse gerade auf Seiten jüdischer Menschen, die hier wohnen, sind da und mehr als berechtigt, die Übergriffe haben ja zugenommen, auch in Paris waren – bei allen Anschlägen dieses Jahr – jüdische Einrichtungen betroffen“, sagt Welzer. Aus Fehlern der Vergangenheit müsse man eben lernen, trotzdem sei die Einwanderung nach Deutschland eine Erfolgsgeschichte.

Daneben, sagt Christopher Hanf vom Hans Otto Theater, herrsche einfach viel Unwissen, es kursierten teils abenteuerliche Gerüchte – „auch in der Mitte der Gesellschaft“, so Hanf. „Ein Freund erzählte mir von einer Frauenärztin, die ihm gesagt hätte, in einer Flüchtlingsunterkunft würden jede Nacht 40 Frauen vergewaltigt.“ Hanf konnte sich das nicht vorstellen, rief bei der Frauenärztin dort an – und fand heraus: Es gibt überhaupt keine validen Zahlen dazu. „Sowas schürt Ängste – die geflüchteten Männer, die ich aber kennengelernt habe, waren in keinster Weise frauenfeindlich, ich kann davon nichts bestätigen.“ Hanf kann sich bei dem Thema in Rage reden. Weil es ihm um ein paar grundsätzliche Dinge geht. Um Solidarität nämlich, und Humanität. „Wenn wir sagen, das sind unsere Werte – dann muss uns das auch etwas kosten, dann müssen wir finanzielle Mittel in die Hand nehmen – wenn wir nicht Tausende Menschen an den Grenzen erfrieren und krepieren lassen wollen.“

Klar, sagt Hanf, empfinde man jetzt tiefe Trauer und teile den Schmerz mit Frankreich. Wenn man aber Menschen nicht in zwei Klassen unterteilen wolle, müsse man dieselbe Trauer aufbringen für die Tausenden, die im Mittelmeer ertrinken. Oder eben versuchen, diesen Verzweifelten zu helfen. Zudem dürfe man nicht vergessen, dass diese Menschen schon in ihren Heimatländern eben deshalb in Konflikt mit den Diktaturen gekommen seien, weil sie von Demokratie und Freiheit träumen, weil sie eben dieselben Werte teilen.

Die Debatte „Welches Land wollen wir sein? findet am Freitagabend ab 19 Uhr in der Reithalle des Hans Otto Theaters, Schiffbauergasse, statt.

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