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Der Spielfilm „Stille Post“ integriert dokumentarisches Material aus der kurdischen Stadt Cizre.

© Nina Reichmann / Nina Reichmann

„Stille Post“ in Potsdam: Ein Filmdebüt, das unter die Haut geht

Das Dokudrama „Stille Post“ beruht auf authentischen Handyvideos aus der kurdischen Stadt Cizre. Regisseur Florian Hoffmann stellt es im Thalia-Kino vor.

Von Alicia Rust

Eine Gruppe von singenden und klatschenden Frauen am Lagerfeuer. Was zunächst wie Pfandfinder-Romantik anmutet, ist in Wirklichkeit Teil eines Kriegsgeschehens. Irgendwo im Hintergrund rattert ein Hubschrauber, in der Ferne Detonationen. Man hört den schweren Atem eines Menschen, meint, den Herzschlag zu hören.

„Stille Post“, der Debutfilm von Florian Hoffmann, ist ein Film, der unter die Haut geht. Das bewegende Dokudrama beruht auf wahren Begebenheiten in der türkischen Stadt Cizre in Südanatolien, an der türkisch-syrischen Grenze. Rund 85 Prozent der dortigen Bevölkerung sind Kurden.

Florian Hoffmann, Regisseur von „Stille Post“.

© Ivan Alusevski

Aufgewachsen in Berlin-Kreuzberg

Wie ist Regisseur Florian Hoffmann auf die Idee zu diesem Thema gekommen? „Ich bin am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen“, sagt der 35-jährige, der auch das Drehbuch für sein Spielfilm-Debut schrieb. „In unserer Klasse – heute würde man sagen im Brennpunktviertel – gab’s damals zahlreiche Mitschüler kurdischer Abstammung“. So habe er von früh an auch einiges von diesem Krieg mitbekommen. „Einer meiner besten Freunde war Kurde.“ Er habe häufig bei der Familie übernachtet, wenn seine Eltern, beide Dokumentarfilmer, auf Reisen waren.

Immer auf der Jagd nach einer guten Story

Nächste Szene: Ein Lehrer kurdischer Abstammung namens Khalil in seiner Grundschulklasse in Berlin. Unter den Schülern ist er beliebt. Noch weiß er nicht, dass er schon bald mit dem Krieg in seinem Herkunftsland konfrontiert wird.

Khalils Freundin Leyla, gespielt von Kristin Suckow, ist Journalistin und soll über die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken berichten. „Was weißt du über diesen Krieg?“, fragt sie ihn. „Nichts“, antwortet Khalil. „Ich war noch zu klein.“ Genau wie der Schauspieler selbst. Hadi Khanjanpour war fünf Jahre alt, als seiner Familie die Flucht aus dem Iran gelang.  

In unserer Klasse gab es zahlreiche Mitschüler kurdischer Abstammung. So habe ich von früh an viel von diesem Konflikt mitbekommen.

Florian Hoffmann, Filmemacher

Gemeinsam mit Leyla schaut sich Khalil im Film Mitschnitte aus dem Krieg an. Es handelt sich um heimlich gedrehtes dokumentarisches Material aus den Jahren 2015/16, das Filmemacher Florian Hoffmann eigens für den Spielfilm zusammengetragen hat. „Diese Handyvideos sind mir damals von den Bewohnern der kurdischen Stadt Cizre überspielt worden. Es gab verschiedene Ausgangsperren, die erste dauerte 79 Tage.“ Er sei später vor Ort gewesen und habe die Filmclips eingesammelt. „Damals gab es Störsender, die die Mobilfunksignale stören sollten, das Internet wurde einfach abgestellt.“

Wenn Realität Fiktion eingeholt

Methoden, die daran erinnern, was gegenwärtig im Iran geschieht. In Russland oder in China. „Obwohl der Film an etwas Zurückliegendes erinnert, ist er gerade hochaktuell“, sagt Hoffmann. Viele Schulklassen kommen in seinen Film. Die Menschen haben Diskussionsbedarf. „Manchmal holt uns die die Realität eben ein“, sagt der studierte Politikwissenschaftler.

Neben dem Studium in Basel sammelte er praktische Filmerfahrungen als Tonmann bei dem Projekt „24h Berlin“. Bei dem Film „Das Schiff des Torjägers“ seiner Mutter Heidi Specogna jobbte er als Kameraassistent. Ein Grund, um nach dem Studienabschluss 2011 zurück nach Berlin zu ziehen, wo er sich für ein Regiestudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) einschrieb. Während des Studiums realisierte er mehrere kurze Dokumentarfilme.

Nochmal zurück zum Film: Khalil glaubt seine tot geglaubte Schwester unter den Freiheitskämpfern erkannt zu haben. Im Schutz der Dunkelheit lädt er gemeinsam mit seiner Freundin Leyla die geheim gedrehten Videos hoch. „Das muss noch spektakulärer werden“, fordert sie. Sie legen Tonspuren mit Kriegs-Atmo unter die Clips, spitzen zu. Erst, wenn es richtig knallt, werden die Sender auf das Material aufmerksam. „Eine Re-Inszenierung, eine Bildmanipulation, die damals – Anfang 2016 – tatsächlich stattgefunden hat“, sagt Filmemacher Hoffmann.

Im Film überschlagen sich an den kommenden Tagen die Nachrichten. Politiker machen sich plötzlich stark. Menschen gehen auf die Straße. Am Ende erfährt Khalil, dass er einem Verwirrspiel aufgesessen ist. Seine Schwester ist – wie die Eltern – schon lange tot. Er wurde von kurdischen Freiheitskämpfern als Sprachrohr in die Medien benutzt. Trotz alledem lässt „Stille Post“ den Betrachter nicht verstört zurück. Der Film ist vielmehr als Einladung zum Hinterfragen verschiedener Positionen zu verstehen.

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