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Verwundete Frauen nach einem Bombenangriff in Frankfurt am Main. Filmstill aus dem Dokumentarfilm „Luftkrieg - Die Naturgeschichte der Zerstörung“.

© BUNDESARCHIV/PROGRESS Filmverleih

Sergei Loznitsas „Luftkrieg“ : Ein Dokumentarfilm, der ohne Worte auskommt

In seinem Dokumentarfilm zeigt der ukrainische Regisseur die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. Am 17. März feiert er Potsdam-Premiere.

Von Alicia Rust

Es gibt nur wenige Filme, die derart unter die Haut gehen, dass man sie noch lange danach nicht mehr aus dem Kopf bekommt. „Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung“ von Sergei Loznitsa hat das Potenzial dazu. Der jüngste Dokumentarfilm des ukrainischen Filmemachers, der ausschließlich aus unkommentierten Archivaufnahmen besteht, thematisiert den Krieg.

 Obwohl der Zweite Weltkrieg 80 Jahre zurück liegt, gibt es keinen Lernprozess. Wir werden wieder mit den gleichen Mechanismen konfrontiert.

Der Dokumentarfilmer Sergei Loznitsa

Konkret geht es um die Bombardierungen deutscher Städte während des Zweiten Weltkriegs und um die Opfer unter der Zivilbevölkerung. Inspiriert wurde Loznitsa durch W. G. Sebalds Buch „Luftkrieg und Literatur“. Denn schlussendlich seien es auch die ethischen Themen, mit denen wir uns als Zivilgesellschaft auseinandersetzen müssten, sagt Loznitsa: Ist es moralisch vertretbar, die Zivilbevölkerung als Mittel innerhalb eines Kriegs einzusetzen? Und ist eine Massenvernichtung mit höheren „moralischen“ Idealen zu rechtfertigen?

Fragen der Menschlichkeit

Jene Fragen seien heute noch genauso aktuell, wie vor acht Jahrzehnten, sagt der Regisseur. Ihre Dringlichkeit zeige sich auf tragische Weise wieder im aktuellen politischen Geschehen. „Obwohl der Zweite Weltkrieg nun über 80 Jahre zurück liegt, gibt es keinen Lernprozess, wir werden wieder mit den gleichen Mechanismen konfrontiert“, so Loznitsa.

„Luftkrieg“ zeigt Luftaufnahmen von intakten Städten, aus einem Zeppelin gefilmt. Die Geometrie verschiedener Städte, Menschen beim Tanztee, im Café. Alltagszenen, heile Vorkriegsidylle. Ab etwa der Halbzeit des Films: Bombardierungen aus der Luft aus nächster Nähe. Die zum großen Teil noch nie zuvor veröffentlichten historischen Aufnahmen wurden aus bombenabwerfenden Flugzeugen heraus gefilmt.

Der ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa, Regisseur von „Luftkrieg“.

© Atoms & Void/Atoms & Void

Zu sehen sind Brände, die Zerstörung von ganzen Straßenzügen. Berge von Schutt, skelettierte Fassaden. Viele Tote, darunter auch Kinder. Endlose Flüchtlingstrecks. Das Wenige, was ihnen noch geblieben ist, führen sie in Leiterwagen mit. Die Montage des hervorragend restaurierten Filmmaterials folgt einer klar strukturierten Dramaturgie, Loznitsa hat bewusst auf Dialoge verzichtet. „Vor 27 Jahren habe ich meinen ersten Film gemacht, seither versuche ich, so wenige Dialoge wie möglich zu verwenden. Die Bilder sollen für sich sprechen“, sagt der Filmemacher. Das mache den Reiz von Dokumentarfilmen für ihn aus.

Von der Realität eingeholt

Die Idee zu „Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung“ entstand bereits 2017. „Vier Jahre hat es gedauert, bis wir die Finanzierung zusammenhatten“, sagt er. 2021, unmittelbar vor Ausbruch des Ukrainekriegs, war es so weit. „Dann wurden wir von der Realität eingeholt.“

Wenn es gelingt, die Architektur einer Stadt zu verändern, dann verändert man auch die Mentalität und die Identität einer Gesellschaft.

 Sergei Loznitsa, ukrainischer Filmemacher

Sergei Loznitsa ist ein vielfach prämierter Regisseur. Mit „Die Sanfte“ war er sogar im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes vertreten. Er wurde 1964 in Belarus geboren, ist in Kiew aufgewachsen, hat in Moskau studiert. Er gilt als einer der bedeutendsten seiner Zunft in der Ukraine.

Das Ausmaß der in seinem Film gezeigten Zerstörung ist derart verheerend, dass es beim Zuschauen schwerfällt, sie auszuhalten. „Von der Struktur her ähneln sich alle Kriege“, sagt Loznitsa. Ganz gleich, ob es sich um dem Zweiten Weltkrieg handelt, um Syrien oder um den Krieg in der Ukraine. „Das ist das Prinzip, über das ich durch meine Filme sprechen möchte.“

Je länger der Krieg andauert, desto größer wird die Zerstörung ausfallen.

Sergei Loznitsa über den Krieg in der Ukraine

Meist wurde in Schwarz-Weiß gedreht, erste Farbfilme befinden sich auch darunter. Dem Zuschauer bleibt überlassen, ob der ungewöhnliche Dokumentarfilm als zeithistorisches Dokument zu betrachten ist, als kunstvoll zusammengesetztes filmisches Puzzle aus unterschiedlichsten Streifen oder als visuelles Mahnmal gegen den Krieg.

Architektur als Teil der Identität

Die Flächenbombardements haben im Zweiten Weltkrieg Millionen von Menschen das Leben gekostet, und auch das Erscheinungsbild vieler Städte für immer verändert. Wie mag es in sich mit der Ukraine verhalten, wenn der Krieg eines Tages vorbei sein sollte? „Wir scheinen zu vergessen, dass die Architektur ein mächtiges Instrument zur Stiftung der Identität ist“, sagt Loznitsa. „Wenn es gelingt, die Architektur einer Stadt zu verändern, dann verändert man auch die Mentalität und die Identität einer Gesellschaft.“

Bei den wenigen Sequenzen, in denen im Film gesprochen wird, handelt es sich um politische Statements zum Bombenkrieg. Darunter Ansprachen von Montgomery, Luftmarschall Arthur Harris, alias „Bomber-Harris“, Goebbels sowie Churchill. Loznitsa hat sie behutsam in seine Chronik einer Zerstörung eingewoben.

Eine Figur wie Winston Churchill, berühmt geworden durch seine am 4. Juni 1940 vor dem britischen Unterhaus gehaltene Rede „We shall never surrender“, fehle in der Gegenwart, so Loznitsa. „Trotz aller Absichtserklärungen sehe ich nicht, dass die Alliierten von heute total entschieden sind, diesen Krieg zu gewinnen.“ Es fehle die klare Haltung. „Je länger der Krieg andauert, desto größer wird die Zerstörung ausfallen!“

Neben der Zerstörung der Architektur und der Infrastruktur sei die Veränderung der demografischen Struktur eine weitere Tragödie, sagt Loznitsa. Die Welt scheine unfähig, diesen Krieg zu beenden, so sein Fazit. Über acht Millionen Menschen haben die Ukraine bereits verlassen. „Ich bin mir nicht sicher, ob sie jemals wieder zurückkehren werden.“

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