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Wo die 1970er auf die 1920er Treffen. „Mephisto“ vom Neuen Globe Theater am Potsdamer T-Werk.

© Philipp Plum

Neues Globe Theater im T-Werk: Mephisto, der Komödiant

In „Mephisto“ untersuchte Klaus Mann den Typus des künstlerischen Opportunisten. Das Neue Globe Theater holt den Roman auf die Bühne: als Varietéshow.

Dieser Abend des Neuen Globe Theaters zeigt auf den ersten Blick, welche Stunde ihm geschlagen hat: Die des Kabaretts. Genauer: des „Cabarets“. Der Film, der Liza Minnelli 1972 berühmt gemacht hat, stand hier deutlich Pate. Ein mal befrackter, mal in schwarzer Spitzenwäsche angetaner Conférencier (Martin Radecke) begrüßt mit „Willkommen, Bienvenue“ und wirft die Szenentitel in den Raum, Klavier und Schlagwerk peitschen das Geschehen voran, sogar die Kostüme bewegen sich irgendwo zwischen den 1970ern, als der Film acht Oscars einheimste, und den späten 1920ern. Der Zeit, in der Klaus Manns „Mephisto“ beginnt.

Der Roman von 1936 gilt als Schlüsselroman und wenig verklausuliertes Porträt des Schauspielers Gustaf Gründgens (1899-1963). Ein Mann, der als genialer Darsteller galt (Paraderolle: Mephisto) und zu einer Zeit, als viele Künstler:innen Deutschland verließen den umgekehrten Weg ging: Er wurde 1934 Intendant des Berliner Schauspielhauses. Bei Klaus Mann, der selbst mit Gründgens Kabarett gemacht hatte, heißt er Hendrik Höfgen. Und auch sonst wollte Mann das Ganze nicht als Porträt verstanden wissen, sondern symbolisch. „Der Mime triumphiert im Staat der Lügner und Versteller“, heißt es bei Mann. Und: Höfgen sei „kein Mensch, nur ein Komödiant.“

Das nimmt die Regie von Kai Frederic Schrickel beim Wort. Höfgen/Gründgens wird hier gespielt von Laurenz Wiegand, mit hingebungsvoller Lust an der Überzeichnung. Den Hamlet oder Mephisto glaubt man ihm nicht, aber das ist nicht schlimm. Dieser Höfgen ist kein Genie, kein Bösewicht, sondern ein Junge, der gefallen will. Er hat kein Rückgrat, aber Talent. Die schauspielerische Bandbreite von ernst bis verführerisch illustriert er behände, grimassiert, grinst ein Gründgens-Grinsen, schmettert ein Lied („Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“), tänzelt umher, wechselt im Stakkato die Kostüme, die Schminke, und findet bald auch, man müsse nicht politisch kämpfen, sondern Geduld haben. Alles ist Spiel und Gesang.

Erika Mann, Hans Otto und Hermann Göring standen Modell

Die ganze Bühne ist eine Bühne, oder ein Vorraum dafür: Schminktisch, Kantinentisch, Couch. Die Welt des Theaters. Es wird varietégerecht viel gesungen. Marlene Dietrich, Zarah Leander, Heinz Rühmann. Für so etwas wie den Anflug von Fallhöhe ist hier der Conférencier zuständig. Martin Radecke spielt ihn als Doppelrolle mit Juliette, Höfgens Geliebte. Im Roman ist das eine schwarze Varieté-Künstlerin, die Liaison daher als „Rassenschande“ verfemt und von Höfgen geheimgehalten. Das Neue Globe Theater macht aus Juliette in Anspielung auf Gründgens tatsächliche Homosexualität einen Mann: eine spöttische, zärtliche, zickige Diva, die als einzige den selbstüberhobenen Höfgen (ihr „haariges Schweinchen“) in die Schranken weist.

Weiterhin treten auf: Barbara Bruckner, nach dem Vorbild von Klaus Manns Schwester Erika modelliert und von Jessica von Wehner gradlinig gespielt, grazil getanzt und großartig gesungen („Nur nicht aus Liebe weinen“). Außerdem die mondäne, karrierebewusste Schauspielerin Nicoletta von Niebuhr (Nora Backhaus), die allen den Kopf verdreht und einen wunderbar exzentrisch persiflierten Theatertod sterben darf.

Marco Litta gibt in einer Doppelrolle Nazi und Kommunist (alias Hans Otto). Und Andreas Erfurth ist mal sächselnder Intendant, mal genialischer Wirrkopf Theophil Marder (alias Carl Sternheim). Und ganz am Ende auch der, der einem an diesem lustigen Abend tatsächlich kurz einen Schauer über den Rücken jagt: „Der Dicke“, alias Hermann Göring, der Höfgen den Posten als Intendant besorgt und sagt: „Wer schwul ist, bestimme ich.“

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