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Kultur: Neben der Spur

Katharina Thalbach mit „Domino“ im Filmmuseum

Katharina Thalbach mit „Domino“ im Filmmuseum Es ist Weihnacht. Weiße Weihnacht. Vom Regisseur herbeigesehnt und für die Dreharbeiten von „Domino“ tatsächlich eingetroffen. Doch es ist kein Zuckerbäckerschnee, der sich tröstlich über die Straßen Berlins legt. Eher ein Schnee, der frösteln lässt. Mitten drin steht Lisa, die Schauspielerin, die von einer tiefen Identitätskrise erfasst ist. Für sie sind die Festtage eine Last, die das Gefühl des Alleinseins schmerzlich nach oben spülen, zumal die Tochter das erste Mal von zu Hause weg ist. Lisa ist innerlich zerrissen, gefangen in der eigenen Biografie, der Härte einer verkrusteten Gesellschaft sowie der unbändigen Lust, alle Verlogenheit ungeschminkt herauszuschreien und hinter sich zu lassen. Gespielt wird diese so kraftvolle und sensible Frau von Katharina Thalbach. Es sind gut 20 Jahre her, als sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Thomas Brasch diesen Schwarz-Weiß-Film als poetisch dicht gewebte Collage drehte. Damals lebten sie bereits sechs Jahre in Westberlin, hatten die Enge des Ostens nach der Biermann-Ausbürgerung hinter sich gelassen. Katharina Thalbach zeigt sich am Dienstag Abend überrascht und erfreut, dass es gerade „Domino“ ist, der in Potsdam über die Leinwand flimmert und die Kooperation vom Filmmuseum und Hans Otto Theater erneut besiegelt. Zwischen den Endproben zu „Frau Jenny Treibel“ ist sie mit dem Intendanten des Theaters, Uwe Eric Laufenberg, auf die Schnelle zur Aufführung gekommen. Vor dem halb gefüllten Saal erzählt die kleine Frau mit den großen wachen Augen, dass dieser Film mit nur 550000 Mark zustande kam, „Geld, mit dem man nicht mal eine Kamera kaufen kann.“ Dafür sei umso mehr Herzblut hinein geflossen, was Kritiker euphorisch feierten und die Jury auf dem Filmfest von Locarno dazu bewog, sie als „Beste Schauspielerin“ zu ehren. „Lisa ist Katharina Thalbach“, war damals im „Spiegel“ zu lesen. Und fürwahr, Thomas Brasch verwob in seinem Film biografische Motive der Thalbach und schrieb ihr die Rolle förmlich auf den Leib. Die großartige Schauspielerin, die an Regisseuren wie Volker Schlöndorff, Egon Günther, Ari Kaurismäki oder Margarethe von Trotta reifte, füllte ihre Lisa mit größter Authentizität und Wärme. Der Film nimmt sich Zeit: für Großaufnahmen, die fast den Atem hören lassen, für aufrüttelnde Träume, für den Blick auf den „kleinen Mann“ von der Straße. Lisa hat ein großes Herz. Sie schenkt dem Kohlenträger ein Lächeln, nimmt sich des armen Poeten an, lässt Nutten in ihrem warmen Bett nächtigen. Doch sie kann auch anders: Fühlt sie Neid, Heuchelei, Verlogenheit wirft sie sich dazwischen. Dann bekommt ihr weiches mädchenhaftes Gesicht sehr erwachsene Züge. Sie selbst fühlt sich hin- und hergeworfen. Soll sie das Angebot des großen Regisseurs Lehrter (Bernhard Wicky) annehmen und Goethes „Stella“ spielen? Lehrter, der schon mit ihrer Mutter arbeitete und durchaus ihr leiblicher Vater sein könnte – sollte sie sich auf diese Festung einlassen? Lisa entscheidet sich dagegen, verlässt die sichere Spur und gerät ins Straucheln. Während sie im Begriff ist, ihre mit großem Ernst betriebene Schauspielerei hinzuwerfen, blüht ringsherum die Arbeitslosigkeit. Thomas Braschs Film scheint für den heutigen Tag gemacht. Wenn sich am Schluss von „Domino“ ein Heer arbeitsloser Menschen mit Koffern versammelt, um zu einem Lager in der Südsee aufzubrechen, kommen ganz andere Assoziationen hoch. „Was sollen sie denn noch hier?“, fragt der Mann am Sammelpunkt. Doch Lisa schließt sich dem Tross nicht an. Sie kauert mit einem leisen, weisen Lächeln unter ihrer Budjonny-Mütze im Schnee. Was am Ende bleibt, ist ein liegen gebliebener Dominostein. Heidi Jäger „Domino“ läuft noch einmal am Sonnabend um 20 Uhr im Filmmuseum.

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