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Kultur: Maskenmann

Silvesterkonzert mit dem Filmorchester Babelsberg

Seit fast 100 Jahren geistert „Das Phantom der Oper“ weltweit auf Bühnen und Leinwänden herum. Am Silvesterabend erlebte das je nach Version unterschiedlich abscheuliche, teuflische oder tragische Monster seine Wiedergeburt im Nikolaisaal. Gezeigt wurde eine frühe Hollywood-Fassung der Schauergeschichte in Schwarz-Weiß mit nachträglich eingefügten farbigen Passagen. Dazu erklang der opulente, erst vor 15 Jahren erstellte Soundtrack von Carl Davies. Mit den vielen Anklängen an Charles Gounods Oper „Faust“ erweist er sich als besonderer Leckerbissen für das Deutsche Filmorchester Babelsberg. Unter der bewährten Leitung von Helmut Imig kann es die ganze Klangmagie seines großen Instrumentariums entfalten. Effektgenau verleihen die Babelsberger dem Film die rechten Noten zwischen Schrecken und Melodram. Für das gruselige Phantom sprudelt entfesselte Orgelmusik, sei es beim vermeintlichen Triumph des Entführers oder beim Showdown. Geige und Cello zeichnen sentimentale Linien in das bewegte Geschehen, auch Walzer und Can-Can schäumen spritzig auf. Kontrafagott, tiefes Saxophon und Tuba führen in die Katakomben des Phantoms hinunter.

Ohne diese Musik wäre der Film nur halb so wirkungsvoll. Schon seinem Regisseur Rupert Julian verschaffte er keinen bleibenden Ruhm, zumal er vom Hauptdarsteller Lon Chaney vollendet werden musste. Dieser, der sogenannte „Mann mit den 1000 Gesichtern“, ist als begnadeter Horrordarsteller der Stummfilmepoche in die Annalen der Filmgeschichte eingegangen. Als Sohn von taubstummen Eltern hatte er schon früh gelernt, sich gestisch und pantomimisch zu verständigen.

In Rupert Julians Film erscheint Lon Chaney in wechselnden Masken und Gesichtern. Als ihm die die neugierige Christine die Maske herunterreißt, gibt es den ersten dramaturgischen Wendepunkt des Films, natürlich innerhalb des harmlosen Rahmens von 1925. Anders als in moderneren Versionen, wo das „wahre Gesicht“ des Phantoms nicht gezeigt wird, ist der Zuschauer hier der erste, dem es plakativ, frontal und in Großaufnahme gezeigt wird. Man sieht einen recht abstoßenden Schädel mit tiefliegenden Augenhöhlen wie bei einem Totenkopf, aus heutiger Sicht fast eine Art Schießbudenfigur. Zugleich erlebt man eine von den vielen Geburten des Fantasyfilms aus der Nähe mit. Fortan gehört das Sichtbarmachen des Fantastischen und des Traumhaften zu den wesentlichen Gestaltungselementen des Genres.

Eine besonders eindrucksvolle Szene zeigt das Phantom verkleidet als roter Tod mit wehendem Umhang auf dem Dach der Pariser Oper sitzend zwischen einer riesigen geflügelten Statue, wo es den Fluchtplan von Christine und ihrem Freund Raoul belauscht. Auf weite Sicht changiert der Film zwischen Horror, Melodram und Verfolgungsjagd. Wie bereits in der französischen Romanvorlage von Gaston Leroux bestimmen viele literarische Motive die Handlung. Doch anders als in ihrer Opernrolle des unschuldigen Gretchen am Spinnrad geht hier Sängerin Christine den faustischen Pakt mit dem Bösen ein. Aus Karrieregründen verzichtet sie auf die Liebe und begibt sich in die Macht des Phantoms. Glücklicherweise erweist sich ihr Freund Raoul als Held und Retter, sodass dem Happy End nichts mehr entgegensteht.

Einziger Wermutstropfen waren diesmal wohl die zahlreichen englischen Zwischentitel, die für den größeren Teil des überwiegend älteren Publikums unverständlich blieben. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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