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"Freie Wahl" im Hans Otto Theater 
Pressefoto

© Thomas M. Jauk

Kluge Fragen statt Antworten: „Freie Wahl“ feiert Premiere am Hans Otto Theater in Potsdam

„Freie Wahl“ des Hans Otto Theater stellt kluge Fragen statt absolute Antworten zu liefern. Ein Jugendtheaterstück nicht nur für Jugendliche.

Drei Porzellan-Affen liegen auf einem Schreibtisch, angeblich gehen sie auf Konfuzius zurück: einer hält sich die Augen zu, der zweite die Ohren und der dritte den Mund.

In dem Zweipersonenstück „Freie Wahl“ von Esther Rölz werden sie zum Angelpunkt für dessen zentrale Frage: „Jeder Mensch hat die Wahl: Verschließt er die Augen und Ohren und hält den Mund oder sieht er zu und handelt?“ Inszeniert von Caro Thum feierte das Jugendtheaterstück am Freitag in der Reithalle des Hans Otto Theaters Premiere.

Dystopisches Szenario

In einem Klassenzimmer treffen Geschichtslehrer Bruno (Arne Lenk) und Schulabbrecherin Denise (Sophia Hahn), seine ehemalige Schülerin, aufeinander. Im Hintergrund tobt eine Demonstration. Auf der Flucht vor der Polizei rettet sich die 16-Jährige in ihre alte Schule, wo ihr früherer Lieblingslehrer Hefte korrigiert. Schon bald entbrennt zwischen ihnen eine heftige Debatte über Klimaschutz, Demokratie und (Wahl-)Freiheit. Die Themen scheinen vertraut, doch Esther Rölz hat das Stück schon 2019 geschrieben: Ihr dystopisches Szenario hat erst über die Jahre an Aktualität gewonnen. Die Gegenwart dreht sie darin noch weiter.

Gewalt provoziert Gegengewalt

Seit drei Jahren regiert eine Koalition aus „Ökos“ und „Nationalen“, die hart durchgreift, um ihre Klimaziele zu halten. Fleisch ist kaum noch bezahlbar, Inlandsflüge sind verboten, Kohlekraftwerke abgestellt. Die Wirtschaft schwächelt und die Arbeitslosenzahlen steigen. In der Bevölkerung formiert sich Widerstand. Mit täglichen Protesten fordert sie den Rücktritt der Regierung. Gewalt provoziert Gegengewalt. Bei einem Selbstmordanschlag auf einer Feier der „Jungen Ökos“ sterben zehn Menschen. Der von der Regierung ausgerufene Notstand verschärft die Situation. Auch die Begegnung zwischen Bruno und Denise schaukelt sich langsam hoch, denn hier treffen nicht nur politische Ideologien aufeinander; die 16-Jährige hat darüber hinaus ein sehr persönliches Anliegen, nachdem ihre Mutter in Zusammenhang mit dem Attentat verhaften worden ist.

Freiheit oder Planetenrettung?

Oberflächlich gelesen steht hier ein gesetzter Lehrer, dessen Frau als Sprecherin des Innenministers arbeitet, einer jungen Frau gegenüber, deren Welt aus den Fugen geraten ist. Doch statt Denise als Aktivistin für die Rettung des Planeten kämpfen zu lassen, schreibt Rölz ihr Positionen zu, die in Teilen an spätere Corona- und Klimakrisenleugner erinnert. Für Denise ist klar: Die Regierung hat eine Diktatur aufgezogen, beschneidet die Freiheiten aller und muss weg. Bruno dagegen rechtfertigt die „radikalen“ Klimaschutzmaßnahmen mit dem großen Ganzen, nachdem die Gesellschaft viel zu lange untätig gewesen ist. Sophie Hahn spielt Denise als Teenagerin, die permanent zwischen Wut und Verzweiflung schwankt und in ihrer Emotionalität oft zu leichte Antworten findet. Arne Lenks Bruno ist deutlich differenzierter gezeichnet, doch auch er wird nicht ohne Widersprüche gezeigt.

Das Bindeglied zwischen ihren Überzeugungen sind die drei weisen Affen: ein Vermächtnis von Brunos Großvater, der mit 18 in den Widerstand gegen die Nazis gegangen war und ihm mitgegeben hat, Augen, Ohren und Mund vor dem Unrecht der Welt nicht zu verschließen. Denise kennt die Maxime von Bruno aus ihrer Grundschulzeit. Beide beziehen sich immer wieder darauf und kommen doch zu völlig anderen Schlüssen. Handeln: ja. Aber wofür und wogegen?

Handeln wofür oder wogegen?

„Freie Wahl“ ist ein inhaltlich dichtes Stück nicht nur für Jugendliche. Sehr gelungen stellt das Stück entgegengesetzte Meinungen gleichwertig einander gegenüber, zeigt deren Ambivalenzen und schafft eine Grundlage für spätere Diskussionen. Kostüm- und Bühnenbildnerin Dorit Lievenbrück stützt das auf anderer Ebene, indem sie beide mit ähnlicher weißer Arbeitskleidung ausstattet, die von der Plexiglaswand zwischen Bühne und Publikum grünlich angeleuchtet wird. Ein lebensgroßer Pinguin auf Seite der Zuschauer trägt mit zarter Kinderstimme Hintergründe zur Diskussion bei, die dabei helfen, die ideologisch gefärbten Ansichten von Bruno und Denise neutraler einzuordnen.

Die größte Stärke des Stückes ist, dass es kluge Fragen stellt statt absolute Antworten zu liefern: Wie weit darf Demokratie sich von ihrem Kern entfernen, wenn sie unter Druck gerät? Wie groß ist das Problem, subjektive Meinungen mit Fakten zu verwechseln? Kann man Freiheit wirklich einfordern ohne selber Verantwortung zu übernehmen? Regisseurin Caro Thum sagt dazu im Programmheft „Ich glaube, dass wir alle zunehmend Gefahr laufen, unsere Diskursfähigkeit zu verlieren und den Willen, Ambivalenzen auszuhalten. [...] Ich glaube, dass wir als Gesellschaft dringend wieder miteinander sprechen müssen“.

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