zum Hauptinhalt

Kultur: Herrenwunder

Wist vergibt Kleinen Hei an Tilman Rammstedt

Der „Kleine Hei“, den Carsten Wist vom Literaturladen Wist morgen im dritten Jahr vergibt, ist sicher einer der subjektivsten Literaturpreise überhaupt. Die Jury besteht einzig aus Wist selbst und seinem Bauchgefühl, das ihm jedes Jahr den aussichtsreichen Nachwuchsautor nennt. Nach den Katja Oskamp („Halbschwimmer“) und Juli Zeh („Spieltrieb“) endet nun auch für den Literaturladen das in Deutschland grassierende „literarische Fräuleinwunder“. Die Plexiglasfigur in Form eines Haifischs und benannt nach Wists kleinem Sohn Heinrich geht diesmal an Tilman Rammstedt und seinen Roman „Wir bleiben in der Nähe“.

Der in Berlin lebende Schriftsteller hat schon einige Preise gewonnen. Unter anderem den Rheinischen Kulturförderpreis, das New-York-Stipendium der Kulturstiftung der Länder und den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor 2005. Überhaupt begann seine noch relativ junge literarische Karriere mit einem Preis: Im Jahr 2001 gewann er den „Open Mike“, mit dem unveröffentlichte Talente gefördert werden. 800 Bewerber, nur 20 davon in der Endrunde. Im Publikum „Klassentreffen: Lektoren, Verleger und Scouts“ , erzählt der 1975 in Bielefeld Geborene. Da dauerte es nicht lange, bis er seinen ersten Vertrag hatte. Für die Erzählsammlung „Erledigung vor der Feier“, die 2003 erschien.

Wie ist der Autor zum Schreiben gekommen? Zwei Umstände macht er verantwortlich. Mit einer befreundeten Zeichnerin gestaltete er eine Bildergeschichte, zu der er die Texte lieferte. Und irgendwann begann er, regelmäßig auf den für Berlin typischen Lesebühnen aufzutreten. Was er auch heute noch tut. Rammstedt und zwei weitere „veröffentlichte Autoren“, Michael Erbmeyer und Florian Werner, sind zusammen mit dem Musiker Bruno Franceschini das „FÖN“-Kollektiv. Im Münz Club wird an jedem ersten Sonntag im Monat vorgelesen und musiziert.

„Wir bleiben in der Nähe“, der Roman, aus dem Rammstedt bei Wist lesen wird, erhielt von den wichtigsten Feuilletons überaus positive Kritiken, besonders für seinen souveränen, leichten Ton, der die Geschichte von den Freunden Felix, Konrad und Katharina durchweg trägt. Carsten Wist wählte Rammstedt zum Preisträger, weil ihn die radikale Fragestellung beeindruckte. Wann geht es endlich los, das Leben? Warum gründet man nicht gemeinsam eine Partei, warum zieht man nicht einfach mit einem Wanderzirkus durch das Land? Der Konflikt erinnert an den Film „Die Fetten Jahre sind vorbei“. Als Rammstedt Ende 2004 aus dem Kino kam, dachte er zunächst: „Mist, jetzt kann ich mein Buch nicht mehr schreiben.“ Denn auch in Hans Weingärtners Erfolgsfilm geht es um eine Dreierbeziehung, um den Wunsch, dem Leben einen Sinn zu verpassen. Bei Rammstedt jedoch sind die Helden ein wenig älter, das Leben ist komplizierter und Möglichkeiten zum Handeln sind rarer. Rammstedt beendete natürlich seinen Roman. Mittlerweile glaubt er, vielleicht einen Nerv des Zeitgeistes getroffen zu haben. Nach der Untersuchung des Ichs in den 90er Jahren, nach Familiengeschichten, so meinte ein Experte, stände jetzt die „kleine Gruppe“ im Fokus der Literatur. „Freundschaft wird über Partnerschaft gestellt“, so Rammstedt. Etwas hätte in der Luft gelegen, als er gerade sein Buch schrieb. Wenn er morgen für seine Wahrnehmung den „Kleinen Hei“ entgegen nimmt, wird er schon ein dickes Lob kassiert haben. Von seiner Kollegin Juli Zeh, die über den Preisträger kurz und prägnant sagte: „Netter Typ, tolles Buch.“ Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false