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Kultur: Feldpost „Zurück. Unzustellbar!“

Die Ausstellung „Kohldampf und Bombentrichter“ erinnert sehr lebendig an das Jahr 1945

Die Ausstellung „Kohldampf und Bombentrichter“ erinnert sehr lebendig an das Jahr 1945 Das Fenster ist mit dichtem, grünem Filz abgedunkelt. Ein großes Plakat mahnt eindringlich: „Der Feind sieht dein Licht“ und zeigt einen Kampfbomber – gesteuert vom Tod in Gestalt eines Skeletts. Aus dem Volksempfänger schnarrt zwischen Fetzen russischer und deutscher Agitationsreden das Lied: „Hört Ihr Leut“ und lasst euch sagen: die letzte Stund“ im Jahr hat g“schlagen.“ Man kann sie ahnen, die Angst und Verzweiflung, die die Potsdamer im Jahr 1945 beherrschte. Die Ausstellung „Kohldampf und Bombentrichter“, die derzeit im Potsdam-Museum gezeigt wird, setzt auf sinnliche „Vereinnahmung“. Dank zahlreicher Spenden Potsdamer Bürger konnte eine Schau geformt werden, die durch Alltagsgegenstände und persönliche Erinnerungsstücke sehr greifbar wird und auch Nachgeborene bei der Reise in die finstere Vergangenheit an die Hand zu nehmen weiß. Da gibt es in einer der übersichtlich gestalteten Vitrinen diverses Blechgeschirr, das Potsdamer den Flüchtlingen schenkten, die auf den schmerzlichen Weg ins Ungewisse auch ihren Hausrat verloren hatten. Daneben liegen in einem Wäschekorb Kleiderspenden, die die Havelstädter für die „Volksopfersammlung“ aus ihren Schränken holten: Schließlich wurden Anfang 1945 die letzten Kräfte mobilisiert, um dem drohenden Untergang zu entrinnen. Und da zählte jede Reserve, auch die textile. Filme wiederum umschnürten den finsteren Alltag mit einer rosaroten Schleife und schürten den letzten Funken Kampfgeist. So liefen im April 1945 in den Potsdamer Kinos neben der „Liebeskomödie“ und dem Harry-Piel-Film „Artisten“ auch das Durchhalteepos „Kolberg“. Inhaltlich zusammengeführt werden die Exponate durch einen in der Mitte jedes Raumes aufragenden „Weg- und Zeitweiser“. An ihm kann sich der Besucher genauer über die Ereignisse jener Kriegs- und Nachkriegstage – global und lokal – informieren. Diese aufklärenden „Fahnenmasten“ bestehen sehr sinnträchtig aus Balken eines Potsdamer Abrisshauses. Erzählt der erste Raum „Von Agonie und Terror“, von der all“ beherrschenden Angst, Angehörige zu verlieren und vor der näher kommenden Front, wird aus dieser Angst sehr bald reales Leid. Im zweiten Raum spiegelt sich die Nacht über Potsdam, in der 500 britische Bomber die Altstadt in Schutt und Asche legten. Eine an Hedwig Klusak adressierte Feldpost trägt den Vermerk „Zurück. Unzustellbar!“. Die Potsdamerin kam am 14. April im Städtischen Krankenhaus ums Leben. Sie teilte ihr Schicksal mit über 1500 anderen Potsdamern, die ebenfalls bei dem Angriff den Tod fanden. Aber auch den Hakenkreuz geschmückten „Hoheitsadler“ am Rathaus brachte dieser Bombenhagel zu Fall. Kopfüber liegt er in der Ausstellung. Mit dem 8. Mai kam das Kriegsende und es folgten „Aufbau, Neuordnung, Demontage“. Notunterkünfte wurden errichtet. Unter den Fahnen der vier Mächte, die in Potsdam die Welt neu ordneten, liegen nun aus Stoffresten und Uniformen gefertigte Kleider, aus Holz geschnitzte Schiffchen, aus alten Metallkisten bei Orenstein und Koppel gefertigte Kuchenformen. Hand- und Kinderwagen erinnern an die damals wichtigsten Transportmittel, die sich auch für Hamsterfahrten trefflich eigneten. Am 14. Oktober 1945 fand die erste Sitzung des Internationales Militärgerichtshofes zur Aburteilung der Hauptkriegsverbrecher statt. Die Entnazifizierung begann, auch in Potsdam. Die Zeit des Improvisierens war indes noch lange nicht vorbei: Aus einer Granate wurde ein Weihnachtsbaumständer, eine Angelpose mutierte zu einer dekorativen Figur am Christbaum. Die Potsdamer wussten sich zu helfen. Besonders dachten sie dabei an ihre Kinder, schickten sie ab 1. Oktober wieder in die Schulen und sorgten dort alsbald auch für warmes Essen. Das Konzert „Rettet unsere Kinder“ im Dezember “45 im Volkstheater Zimmerstraße war besonders verheißungsvoll. Es warb auf einem Plakat mit dem Vermerk: „Das Theater ist geheizt“. Während sich mit diesem Kapitel über „Tribunal und Demokratie“ die überschaubare, sehr lebendige Ausstellung in den Innenräumen schließt, geht es im Museumshof mit den Flüchtlingstrecks aus den Ostgebieten weiter. Man sieht auf einem Foto, wie Menschen im Wald bei Potsdam Bucheckern sammeln. Koffer und Handwagen assoziieren bekannte Bilder von ausgemergelten, verzweifelten Familien. Und auch in den „öffentlichen Luftschutzraum“ wird geladen. Am Ende der Schau steht man vor einem „Bombentrichter“, ausgehoben von Ein-Euro-Jobbern, und einem frisch bestellten Kartoffelfeld. Sollten die Knollen wegen der Kälte nicht keimen, wäre es schade. Damals aber hätte es den Hungertod bedeuten können. Heidi Jäger Bis 4. September, Benkertstraße 3.

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