zum Hauptinhalt

Kultur: Die Vielgesichtigkeit Kubas

Kuba hält sich. Seit über 40 Jahren unter der mittlerweile zittrigen Hand Fidel Castros.

Kuba hält sich. Seit über 40 Jahren unter der mittlerweile zittrigen Hand Fidel Castros. Hartnäckig romantisiert in den Köpfen vieler Mitteleuropäer. Wim Wenders sei Dank hat sich der Blick auf das karibische Eiland „Chan Chan“-mäßig verklärt. Kuba hat Charme, wo immer man ihn auch entdecken will. Der überstrapazierte Buena Vista Social Club blieb außen vor, als Carsten Wist am Dienstag zu einem kubanischen Abend in seinen Laden lud. Rum, Zigarren und viel Literatur waren versprochen. Ein Versuch also, die Vielgesichtigkeit der Insel wenigstens anzudeuten. Mit einem Schwergewicht kubanischer Literatur begann dann die Lesung im gut besuchten Obergeschoss: Jose Lezama Lima (1910-1976). Der Theaterschauspieler Martin Kautz las ein Kapitel aus dessen Roman „Paradiso“. Eine Wortwucht auf über 600 Seiten, verstrickt in die Familiengeschichte von Jose Cemi. Ein fast schon barocker Blick auf das vorrevolutionäre Kuba, in dem sich zu Geld gekommene Bauern zu Opernkennern aufschwingen und Familienzwistigkeiten mit lateinamerikanischer Leidenschaft und den üblichen Gemeinheiten ausgetragen werden. Limas Sprache braucht Zeit, ob lesend oder hörend, ihren Rhythmus muss man sich erarbeiten. Dann aber hat sie einen unverwechselbaren, eigenen Klang, der die üblichen Vergleiche mit Joyce und Proust mehr als nur hinken lässt und die Kautz mit leicht rauer Stimmer bestens traf. Die kurze Pause danach war nötig und Frank Bock vom Potsdamer Zigarrenladen „Rauchzeichen“ nutzte sie, um in die Kunst des Zigarrenrauchens einzuführen. Fast schon unausweichlich, dass er sich in dem Literaturladen für Zigarren der Marke Romeo y Julitea entschied. Eine Zigarre zu rauchen, das habe viel mit Ruhe zu tun, erklärte Bock und ließ sich entsprechend Zeit bei den zeremoniellen Vorbereitungen. Dann durfte jeder und nach kurzem schon war die Bude blau. Auf Zigarrendunst und Eiswürfelgeplänkel im Cuba Libre Glas folgte eine Episode aus Alejo Carpentiers (1904-1980) „Mein Havanna“. Burleske Skizzen von Streifzügen durch seine Heimatstadt, denen hier der Synchronsprecher Charles Rettinghaus Stimme lieh. Carpentier folgte der 1941 geborene Jesu Diaz mit einem Auszug aus seinem Roman „Die verlorenen Worte“: Drei junge Schriftsteller, der Lange, der Dicke und der Rote, die auf ihre Art mit der Revolution und den Folgen in Kuba versuchen umzugehen. Der Schluss gehörte der 45jährigen Zoé Valdés. In einem rasanten Monolog lässt sie eine Großstadtgöre am Arm eines Touristen durch Havanna lästern. Laut, schnell, mit losem Mundwerk, aber immer auf der Hut vor der Obrigkeit, erklärt sie, dass Kuba mehr sein kann als die typischen, romantisierende Fotografien. An diesem Abend war Kuba auf einmal gar nicht soweit weg. Es lag gleich um die Ecke. Dirk Becker

Dirk Becker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false