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Kein Getöse. Nina Gummich muss abschalten können. Sonst würde sie vielleicht durchbrennen vor lauter Energie. Fragt man sie, was sie macht, wenn sie mal nicht probt, kommt die Antwort blitzschnell: „Schlafen. Erschöpfungsschlaf!“ Oder putzen. Auf der Bühne aber strahlt sie.

© HL Böhme

„Die drei Schwestern“ am Hans Otto Theater: Die Unprätentiöse

Seit dieser Spielzeit ist Nina Gummich am Hans Otto Theater. Alles, was sie tut, tut sie mit Leib und Seele. Ab kommendem Freitag kann man sie in Tschechows „Die drei Schwestern“ erleben.

Nina Gummich ist die Anti-Diva. Auf den ersten Blick. Sie macht nicht viele Unterschiede zwischen den Menschen, jeder scheint ihr auf Augenhöhe zu sein. Mit ihr will man sofort ein Bier trinken gehen oder eine Runde Skat spielen. Eine Skatrunde hat sie jedenfalls am Hans Otto Theater schon gegründet, mit einer Regieassistentin und einer Ausstatterin zusammen. Sie hat sich, als sie im vergangenen Jahr zum Ensemble stieß, gegen Berlin und für Potsdam entschieden. „In Berlin geh ich ein bisschen verloren“, die vielen Möglichkeiten dort haben mich immer erschlagen, wenn ich dort geprobt habe“ sagt sie. Essen gehen, feiern oder in eines von Hunderten Kinos? „Am Ende saß ich wie erstarrt im Hotelzimmer vor dem Fernseher.“ In Potsdam, wo die Möglichkeiten beschränkter sind, sprüht sie. Leitet etwa den Refugees Welcome Club, wo sie und andere mit Geflüchteten zusammen Theater spielen.

Und dann, auch ein Grund für sie, in Potsdam zu wohnen, will sie ja Theater machen für die Leute, die hier leben. „Ich will wissen, was bewegt die Leute, welche Stücke funktionieren?“

Ab kommendem Freitag steht sie als jüngste der „drei Schwestern“ von Tschechow auf der Bühne, derzeit als Isa in der Adaption von Wolfgang Herrndorfs „Bilder deiner großen Liebe“, ein Stück, bei dem sie vor jeder Aufführung unfassbar müde wird. Magenschmerzen hat. „Als würde mein Körper sich noch einmal richtig herunterfahren, damit er dann die ganze Energie herausschleudern kann“, sagt Nina Gummich. Lampenfieber, weil ihr das Stück so am Herzen liegt.

Vor der Kamera drehen, Filme machen, ist dagegen richtig entspannend, sagt sie. Klar, für eine Perfektionistin wie sie. Vor der Kamera kann man im Zweifel alles noch mal wiederholen. Und noch mal. Bis es sitzt. Hinterher wird geschnitten. Trotzdem, so einfach, so schnell, so gut wie zuletzt bei den Dreharbeiten zu „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“, dem ersten einer dreiteiligen Spielfilmreihe zum NSU-Komplex, der am Mittwochabend in der ARD lief, läuft es nicht immer.

Die erste halbe Stunde des Films könnte man Nina Gummich übrigens für die Hauptfigur halten, hieße ihre beste Freundin nicht Beate und sie Sandra. Gummich ist die einzige wirklich hinzuerfundene Person, sie steht für den anderen Weg, den man im Jena der 90er-Jahre hätte gehen können. Gedreht haben sie teils an Originalschauplätzen, in Beate Zschäpes alter Schule. Ein bisschen Angst war da schon dabei, obwohl die Dreharbeiten, so gut es ging, geheim gehalten wurden.

Aber Nina Gummich ist keine, die sich von Angst treiben lässt. Eher scheint es, als navigiere sie ein großes Vertrauen in die Welt. In sich, aber auch in andere. Und mit dieser Selbstverständlichkeit hat sie als Sandra diese Gesten drauf, den Sound, den ganzen Habitus der 90er-Jahre. Dabei ist sie selbst erst 1991 geboren, in Leipzig, als Tochter der Schauspielerin und Regisseurin Anne-Kathrin Gummich. Auch ihr Adoptivvater ist Schauspieler, mit neun stand sie selbst zum ersten Mal für „Love Letters“ vor der Kamera. „Am letzten Tag bin ich komplett zusammengebrochen“, sagt Gummich. Sie wusste: Dieses Team kommt so nie wieder zusammen. Dieser spezielle Gemeinschaftsgeist verfliegt. Und ja, klar: „Alle waren nett zu mir gewesen, haben gesagt, toll, was du schon kannst, selbst, als ich einen Tag lang krank war, war das schön, ich bekam eine Wärmflasche geschenkt“, sagt Gummich. Hinterher musste sie wieder zur Schule – „da sollte ich die Tafel wischen und ich hab mich gefragt: Wie, das macht jetzt keiner für mich?“, sagt sie und lacht.

Vor diesem ersten Dreh hatte sie nur einmal bei einem Schulstück mitgespielt – und den anderen Kindern dabei laut ins Ohr geflüstert, was sie gerade falsch machen. „Ich hab einfach eine große Ungeduld, und ich will, wenn mir Dinge wichtig sind, dass sie gut werden.“ Sie sagt es, als wäre ihr das fast ein bisschen peinlich. Als würde sie sich gerade gern die graue Kapuze ihres Pullis noch ein bisschen tiefer ins Gesicht ziehen. Sie lässt sie dann aber doch, wo sie ist, sie mag bescheiden sein, aber schüchtern ist sie nicht.

Wäre auch blöd, als Schauspielerin, zumal in einer kleinen Stadt wie Potsdam, wo sie inzwischen – nach einem halben Jahr – auf der Straße erkannt und auch angesprochen wird. Wie neulich von der Frau, die ihr erzählte, dass sie „Bilder deiner großen Liebe“ irgendwie ziemlich unverständlich gefunden hätte. „Das klang erst wie ein Vorwurf, aber wir haben uns dann unterhalten, und ich hatte schnell das Gefühl, der Frau war es eher unangenehm. So, als hätte sie etwas verstehen müssen“, sagt Gummich. Dabei gehe es doch im Theater eher um diese ein, zwei Momente, wo man berührt wird. In denen man etwas fühlt. Darüber hat sie auch mit der Frau auf der Straße gesprochen und wünscht sich noch mehr Publikumsgespräche. Um den Leuten zu sagen: Ihr braucht keine Angst haben, die Kunst wirft euch keine intellektuellen Türen vor der Nase zu, sie öffnet ganz andere. „Aber ich habe das Gefühl, es gibt hier in der Stadt einen großen Wunsch nach Stücken, die man nachvollziehen kann.“

Für sie selbst wird es immer schwerer, berührt zu sein. „Vor allem, wenn jemand einen Heulkrampf auf der Bühne bekommt, und ich merke: Der verhandelt da gerade seine privaten Probleme. Zuletzt berührt? War sie im Refugees Club, als sie, bei einer Übung, einem jungen Mann gegenüberstand. Allein mit dem Körper sollten sie Traurigkeit ausdrücken. „Er hat sich nur bewegt und mich dabei angeguckt – und ich musste total weinen.“ Weil es Kunst war und dabei ehrlich. Man könnte, wenn man Nina Gummich schon auf der Bühne erlebt hat, sagen: wie sie.

Auch in „Die drei Schwestern“, für das sie gerade hier probt und das am kommenden Freitag Premiere hat, gibt es ein paar dieser Momente der Erschütterung, sagt Gummich. Weil da eine Menge Menschen unter einem Dach und in Erinnerungen feststecken und es einfach nicht schaffen, zueinanderzufinden und voneinander loszukommen. „Es gibt da etwa eine Szene, die ist so traurig und ich könnte mich gleichzeitig weghauen vor Lachen.“ Weil alles auf einmal passiert, jeder mit seinen Problemen kommt und keiner dem anderen zuhört. Darum geht es in „Die drei Schwestern“ überhaupt und das macht das Stück so aktuell, findet Gummich: Dass es so viele Möglichkeiten gibt – und man zugleich abhängig voneinander ist. „Ein bisschen wie mein Verhältnis zu Berlin.“

„Die drei Schwestern“ hat am Freitag, dem 8. April, um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater, Schiffbauergasse, Premiere.

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