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"fabrik" Potsdam: Der Widerstand kann tanzen

An der „fabrik“ zeigen eine ivorische, französische und bulgarische Choreographen ihre Positionen.

Etwas aus einem Guss. Etwas Unumstößliches, das dennoch geschützt werden muss, das in etwa stellen sich viele unter Identität vor. Wenn es um die eigene geht ohnehin, leider aber auch oft, wenn von kultureller Identität gesprochen wird. Das ist natürlich Unsinn, im Grunde ist Identität ein offener Prozess, ein Hybrid. Was nicht heißt, dass es keine Fixpunkte gibt. Die Frage ist nur: Auf welche davon will ich mich beziehen? Die Choreografin Nadia Beugré etwa hat sich für ihr Stück „Legacy“, das sie in der vergangenen Woche an der „fabrik“ mit zwölf Frauen aus Berlin und Brandenburg im Rahmen des deutsch-französischen Austauschprogramms „étape danse“ neu einstudiert hat, bewusst keine aktuellen Bezüge gesucht.

Sie erzählt von Frauen der Vergangenheit, Heldinnen aus der Elfenbeinküste, woher sie stammt, die nie als solche wahrgenommen wurden. Kämpferinnen. Beeindruckt von den Demonstrationen in Abidjan im Jahr 1949, als ivorische Frauen friedlich für die Freilassung ihrer – aus politischen Gründen – inhaftierten Ehemänner auf die Straßen gingen. Wobei gehen nicht das richtige Wort ist: Weil ihnen die französischen Kolonialherren den Weg zum Gefängnis von Bassam nicht einfach gestatteten, schlugen sie sich – tanzend und singend – in einer Art Fünf-Finger-System über 30 Meilen durch – bis die französischen Truppen den Aufstand niederschlugen. Bis heute ist wenig darüber bekannt, „auch in Elfenbeinküste erinnert man sich kaum an sie“, sagt Nadia Beugré. Selbst der spezielle, rituelle Tanz – Adjanou genannt –  letztes Mittel des Protestes, bei dem sich die Frauen auszogen, ist kaum bekannt, er sei noch immer tabuisiert. Trotzdem wird er heute immer noch gelegentlich bei Demonstrationen benutzt – „in Paris, etwa als es vor einigen Jahren gegen Sarkozys Politik ging – einige sagen, deswegen hat er die Wahl dann nicht mehr gewonnen“, sagt Nadia Beugré und lacht. Eine Reminiszenz daran werden die mehr als dreitausend BHs sein, aus denen die Frauen in „Legacy“ eine Skulptur bauen. Aus dem Einengenden etwas Neues, Besseres schaffen. Ein sich immer wieder wandelndes Denkmal für die kämpferischen Frauen.

Und Frauen in Bewegung, „women in motion“, das will Nadia Beuré auf die Bühne bringen. Während sie spricht, ist sie selbst ständig in Bewegung, sie boxt mit der rechten Faust in ihre linke Handfläche, immer wieder, breitet die Arme aus und ihr Oberkörper schwingt mit – es wirkt, als wäre viel zu viel Kraft in ihr für ihren kleinen Körper.

In „Legacy“, sagt sie, geht es – im weitesten Sinne – um Frauen, die laufen, „Frauen bewegen sich in einer ständigen Schleife, es ist ein ständiges Drehen.“ Frauen fühlten sich ständig beurteilt, sie kreisen in Gedanken um diese Urteile – und Nadia Beugré will herausfinden, wie sich aus dieser Hürde ein Antrieb machen lässt, etwas, das sie nach vorne marschieren lässt. Dabei ist es ihr eher egal, wie unterschiedlich die Hindernisse etwa für französische und ivorische Frauen sind. Es gebe da schon Differenzen, was sie aber meint, ist eine universelle Barrikade: „Die bekommen nicht nur Frauen, sondern auch Männer zu spüren, etwa die von den Kolonialherren Inhaftierten.“ Grundsätzlich sei es aber an der Elfenbeinküste so, dass man sich an die Männer und ihre Taten erinnert. Fast vergessen hingegen ist die ghanaische Königin Poku, die ihren eigenen Sohn geopfert haben soll, um ihr unterdrücktes Volk wieder in die Freiheit zu führen.

Auch mit Amazonen hat sie sich beschäftigt. Es gab Kämpferinnen, die sich eine Brust abschnnitten, um besser schießen zu können – deshalb aber gesellschaftlich in einem Zwiespalt gerieten, sobald sie Kinder bekamen, weil das Stillen eben auch einen enormen gesellschaftlichen Stellenwert habe. Im Prinzip wurde beides von ihnen erwartet und nichts davon konnten sie vollkommen erfüllen. „Oft, wenn ich stolz bin auf Frauen aus der afrikanischen Geschichte – wie eben diese Amazonen – denke ich zugleich, dass sie eben auch manipuliert, in diesem Fall als Schutzschild vorgeschickt wurden.“

Dass sie sich so intensiv mit Frauen der afrikanischen Geschichte – nicht aber mit den von der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram entführten Mädchen beschäftigt, das machen ihr viele zum Vorwurf, sagt sie. Ihr aber ist das Erbe – „Legacy“ also – aber wichtig, weil eben in der viel allein auf mündliche Überlieferung basierenden afrikanischen Geschichte vergessen werde: „Erst die Europäer begannen, Dinge aufzuschreiben, das bedeutet, da wurde ein kolonialistischer Filter drüber gelegt.“ Und am Ende findet sich ja immer etwas vom Erbe in der eigenen Identität – die Frage ist nur, ob es einem bewusst ist oder nicht.

Da findet sich dann auch eine Verbindung zur Arbeit von Sonja Pregrad, Willy Prager, Iva Sveshtarova und Rose Beermann, die ebenfalls derzeit über „étape danse“ an der „fabrik“ gastieren. Die Künstler aus Bulgarien, Kroatien und Deutschland hinterfragen in „Balkan Dance Reality Show“ den unter den Klischees geradezu ächtzenden Begriff Balkan. Vor allem die Stereotype, die sich die Balkan-Regionen selbst auferlegen. „Wir versuchen die aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, uns so eine Art neue Landschaft zu schaffen“, sagt Willy Prager. Seit den Kriegen der 90-er Jahre hat sich viel verändert, auch der Tanz. Und sie wollen überprüfen, wo die Länder heute stehen.

Im ersten Teil ihres Stückes blicken sie erst einmal zurück zum Beginn des 20. Jahrhunderts – es ist eine Arbeit zu Strawinskys „Sacre du printemps“, dem Klassiker der modernen Tanzes. „Jeder hat etwas dazu gemacht, und weil auf dem Balkan alles etwas später passiert, machen wir es jetzt“, sagt Willy Prager. Selbstironie ist Teil ihres Programms. Deshalb werden sich auch alle zur Musik etwas langsamer bewegen, als man es erwarten würde.

Ein weiteres Klischee sei etwa der Balkan als irgendwie unklarer, schwer zu definierender Ort. Das Mittel der Reality Show, ein medial ausgetragener Wettkampf, scheint ihnen passend – „weil es ein Format ist, das von eben dem Spätkapitalismus geformt wurde, in dem wir leben“, so Willy Prager. Sie haben einen Wettstreit der Künstler daraus gemacht. „Künstler sind ja ohnehin immer im Wettstreit, es geht aber auch ein wenig um die noch bestehenden Unterschiede zwischen Ost und West, vor allem was die ökonomische Situation betrifft.“ Aufgebaut ist der zweite Teil „ein wenig wie Big Brother – und absolut abstoßend“, sagt Prager, aber es werde auch nach Wegen gesucht, dem Wettstreit zu entkommen. Ob die live zugeschalteten Telefonjoker dabei helfen, will Prager allerdings nicht verraten. Wichtig ist, dass es auch in Zeiten der Globalisierung wichtig ist, Identitäten zu finden und auch immer wieder neu zu erfinden – nicht nur für die Teilnehmer von Reality Shows – sondern für die meisten, in denn allermeisten Situationen.

Je 30-minütige Auszüge aus „Legacy“ und „Balkan Dance Reality Show“ sind am heutigen Freitag um 11 Uhr in der „fabrik“ zu sehen. Im Anschluss gibt es einen Brund mit den Künstlern, der Eintritt ist frei

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