zum Hauptinhalt
Potsdamer seit vielen Jahren. Am 16. August wird Andreas Dresen 60.

© dpa/Robert Michael

Der visionäre Realist: Regisseur Andreas Dresen wird 60

„Halbe Treppe“, „Wolke 9“, „Gundermann“: Der Potsdamer Filmemacher gehört zu den renommiertesten Deutschlands. Seine Figuren suchen moralischen Anstand.

Bräuchte es noch Beweise dafür, dass Andreas Dresen den Finger am Puls der Zeit hält wie nur wenige andere Filmemacher, man könnte auf sein viel zu unbekanntes Kinodebüt verweisen. Er brauchte keine drei Jahre, um der politischen Wende 1989 ein filmisches Gesicht zu geben. „Stilles Land“ (1992) erzählt genauer, zärtlicher und zugleich kühler vom Ende der DDR als viele andere, später gedrehte Filme es vermochten. Der Film zeigt, ein dresenüblicher Move, den Fall der Mauer fernab der Mauer. An einem Provinztheater in Anklam.

Schon 1992 hätte sich auch aus gesamtdeutscher Sicht viel über die Seelenlage der Ostdeutschen lernen lassen, aber der große Kinoerfolg zu einer ostdeutschen Vita kam erst 25 Jahre später: „Gundermann“, die Geschichte des baggerfahrenden Liedermachers, der Stasispitzel und von der Stasi Bespitzelter war. Dresen und Drehbuchautorin Laila Stieler erzählten das so, dass das Ergebnis sechs Deutsche Filmpreise gewann. Zehn Jahre dauerte es, bis die Finanzierung stand. „Man muss sich teilweise als Ostdeutscher dafür rechtfertigen, wenn man über seine eigene Biografie erzählen will“, sagte Dresen damals.

Ostdeutsche Ernüchterung?

Andreas Dresen, geboren am 16. August 1963 in Gera, lebt seit vielen Jahren in Potsdam. Schon sein erster Film „So schnell geht es nach Istanbul“ (1990) durchquert filmisch Ost- und Westberlin und untersucht die umgekrempelten Wertesysteme der Menschen in der Noch-DDR. Auch der Berlinale-Erfolg „Halbe Treppe“ (2002) war bewusst in Frankfurt/Oder angesiedelt, überregional diagnostizierte man ihm „ostdeutsche Ernüchterung“ als „Symptom einer allgemeinen Katerstimmung“. Und mit „Als wir träumten“ nach dem Roman von Clemens Meyer war wieder 1989, diesmal aus der Perspektive jugendlicher Gewaltexzesse in den 1990er Jahren.

Mit Nostalgie oder gar Ostalgie kann dieser Regisseur wenig anfangen. Dafür ist die DDR-Vergangenheit schon in „Stilles Land“ und erst recht in „Gundermann“ zu vielschichtig, sind Dresens Figuren zu komplex – und sein Interesse als Filmemacher zu breit gestreut. In seinem jüngsten Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ erzählt er von dem in Guantanamo unrechtmäßig inhaftierten Murat Kurnaz – aus der Sicht seiner Mutter in Deutschland. „Moralischer Anstand, das lernt man schon in „Antigone“, geht häufig gegen die Mächtigen“, kommentierte Dresen den Film. Eine Einstellung, die sich in vielen Figuren spiegelt. Dresen selbst war bis 2022 zehn Jahre lang brandenburgischer Verfassungsrichter.

Er stirbt an Krebs, im Kreise der Familie: Milan Peschel und Steffi Kühnert in "Halt auf freier Strecke". Regisseur Andreas Dresen wurde 2012 dafür mit dem Deutschen Filmpreis in Gold ausgezeichnet.

© Pandora Film

„Halt auf freier Strecke“ (2015) fragt, was passiert, wenn der Tod ins Leben einbricht, „Wolke 9“ (2009) erzählt auf berückende Weise davon, dass Liebe kein Alter kennt. Beide Filme entstanden, wie auch „Halbe Treppe“, auf Basis von Improvisation. Sie sind Kunst gewordener Beweis dafür, was die Arbeit mit Andreas Dresen offenbar ausmacht: grenzenloses Vertrauen. Loyalität. Und Humor.

Da ist eine menschliche Tiefe, die ich immer wieder großartig finde – nicht nur in den Filmen, die wir miteinander gemacht haben. Er hat auch immer etwas Visionäres.

Drehbuchautorin Laila Stieler über Andreas Dresen

„Sein Humor ist nie verächtlich“, schrieb Dresen über den verehrten Wolfgang Kohlhaase, als der letztes Jahr starb. Dresen hätte damit gut die eigene Arbeit beschreiben können. Mit Kohlhaase arbeitete er seit „Sommer vorm Balkon“ (2005) vielfach zusammen. Sie verband nicht nur der Humor, sondern auch der Blick auf die Menschen. Es ist, in den Worten, die Kohlhaase gelten, aber Dresen meinen könnten, ein Blick „mit den Augen der Liebe“.

Ein Akt der Gemeinsamkeit

Dresen betont gern, dass Film nie der Geniestreich eines einzelnen ist, sondern ein Akt der Gemeinsamkeit. Schauspieler:innen wie Thorsten Merten, Steffi Kühnert oder Axel Prahl begegnen einem immer wieder. Einige Wegbegleiter kennt er seit Studententagen an der Babelsberger Filmuni: Produzent Peter Hartwig oder Laila Stieler, die am Drehbuch von „So schnell geht es nach Istanbul“ beteiligt war. Sie hat auch das Buch für den nächsten Dresen-Film geschrieben: „In Liebe, eure Hilde“. Über die Widerstandskämpferin Hilde Coppi, 1942 von den Nazis ermordet.

Schweigemarsch in Washington: Bernhard Docke (Alexander Scheer) und Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) in einer Szene von „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“, der 2022 für den Deutschen Filmpreis nominiert war.

© dpa

„Da ist eine menschliche Tiefe, die ich immer wieder großartig finde – nicht nur in den Filmen, die wir miteinander gemacht haben“, hat Laila Stieler mal über Dresen gesagt. „Er hat auch immer etwas Visionäres.“ Das gilt ebenso für die Figuren in Dresens Filmen. Sie tragen etwas in sich, das sie über das mal trübe, mal tragikomische, mal scheinbar aussichtslose Jetzt hinaussehen lässt.

Wie der Provinz-Regisseur in „Stilles Land“, der 1989 Becketts „Godot“ inszeniert und irgendwann über die beiden ewig Wartenden im Stück sagt: Man müsse die Zuschauer dazu bringen, sich zu fragen, warum die nicht einfach loslaufen! Aber auch der oft gelobte Optimismus ist bei Dresen nicht gratis zu haben. Was sagt Lilly, die geduldige, liebende Tochter, als deren Vater in „Halt auf freier Strecke“ seinem Hirntumor erlegen ist? Sie sagt: „Ich muss zum Training.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false