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Kultur: Der stete Rebell

Rainer Simon wird heute 65 / Der Filmemacher und Autor wandert zwischen den Welten

Der Jubilar hat sich offensichtlich aus dem Staub gemacht. Sein Telefon hält nur ein Dauerfreizeichen bereit. Vielleicht ist Rainer Simon, der heute 65 Jahre wird, zu seiner zweiten Familie, zu den Indianern nach Ecuador gereist. Dort hat der Potsdamer Filmemacher nach der Wende eine neue Lebensmitte gefunden. „Diese Beziehungen zu fremden Kulturen und anderen Lebensweisen hat mich stark geprägt und bereichert, wenn es auch immer erst einer Umstellung bedarf, sich nach dem weichen Bett in Potsdam an die harte Matte und die Kakerlaken im Urwald zu gewöhnen“, sagte er einmal im PNN-Gespräch.

Während er nach der Wende noch voller Zorn gegen filmverhindernde Mauern Sturm lief, ist er inzwischen auf ganz neuen Erkundungen. Die Nabelschau haltende deutsche Welt hat sich für ihn relativiert. Rainer Simon ist ein Kämpfer – auch wenn er sich eher zurückhaltend gibt.

Statt in Verdrossenheit zu versinken, machte er sich auf den Weg: auf eine Höhe von über sechs Kilometern. Es war „Die Besteigung des Chimborazo“, die 1988 seinen Blick in eine neue Richtung öffnete. Der in den Anden gedrehte Humboldt-Film war eine wichtige Zäsur, zumal die Bedingungen für Ost-Regisseure nach der Wende keineswegs besser wurden: den ideologischen Schranken folgten kommerzielle.

Rainer Simon gehörte nicht zu den Angepassten. Seine DEFA-Filme galten es als eigenwillig und subversiv.

Nach dem Abitur hätte der im sächsischen Hainichen aufgewachsene junge Mann in den Westen gehen können. Er tat es nicht, weil er für eine gerechte Gesellschaft glühte. Doch gerade diese Gesellschaft machte es ihm nicht immer leicht. Stand er im ersten Studienjahr an der Babelsberger Filmhochschule noch voll auf Parteilinie, die beharrlich von jedem Film sozialistischen Optimismus forderte, standen am Ende die Zweifel. „Fragen begannen allmählich die wichtigsten Impulse für meine Ausdrucksversuche als Filmemacher zu werden“, schrieb er in seiner Autobiografie „Fernes Land“, die im Aufbau Verlag erschien und in der sich seine DEFA-Zeit und der Ruf des Chimborazo spannend nachlesen lässt.

Sein erster Filmversuch „Der Halbsozialist“ schlug fehl: Man wollte ihm die kritische Satire austreiben. Bei seinem Diplomfilm „Peterle und die Weihnachtsgans Auguste“ schämte er sich später für die Art des banalen, konventionellen Naturalismus. „So würde ich nie wieder Filme machen wollen und wohl auch nicht können. Seit damals war ich verloren für den Stumpfsinn des Fernsehalltags“, schreibt er. Er machte sich daran, das Drehbuch für „Die Moral der Banditen“ zu verfassen: Es sollte sein erster Spiefilm werden. Doch das berüchtigte 11. Plenum machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Der Film über eine jugendliche Bande nach dem Krieg drehte Jahre später ein anderer. „Aus meinem traumhaften Start war ein traumatischer geworden.“ Erst mit „Freunde am Werbellinsee“ über eine aufkeimende Liebe begann seine wirkliche Filmbiografie. Zu einer einzigartigen Erfahrung wurde für ihn die Regieassistenz bei Konrad Wolf. „Konny, das ist einer , der ist so stur wie du“, pries ihn der Dichter Paul Wiens damals an. Bei Wolfs „Ich war neunzehn“ lernte er vor allem, dass Film Teamarbeit ist.

Mit dem Märchen „Wie heiratet man einen König“ sagt er der Assistentenzeit wieder adé und wollte zeigen, dass es auch ohne Kindertümelei und Belehrung geht. Aber auch da bekam er die ideologische Knute gezeigt. „Was politisch nicht gefiel, wurde als künstlerisch nicht bewältigt denunziert“, so seine bittere Erfahrung. Noch heute hätte er Lust, mit Kindern einen Film zu drehen, der auf subversive Weise zeigt, wie schwachsinnig Hass ist.

Rainer Simon faszinierte es nicht nur, den gewöhnlichen Alltag filmisch zu gestalten. „Ebenso interessierten mich die außergewöhnlichen Möglichkeiten vieler dieser Personen, ihre Träume und Visionen, und besonders mochte ich, wenn ich Rebellisches in ihnen entdecken konnte“, sagt er in „Fernes Land“. So ein Rebell und Anarchist war Till Eulenspiegel – in Simons Augen. Die DEFA-Leitung verstand ihn hingegen als positiven Volkshelden. Wieder war Reibung bis zum Verdruss vorprogrammiert. Im Mai 1975 startete der Film mit Winfried Glatzeder in der Hauptrolle schließlich doch: mit nur 19 Kopien. Doch die Zuschauer rannten ins Kino. Wegen seiner „Eulenspiegeleien“ wurde Simon von der Staatssicherheit ins Visier genommen.

„Jadup und Boel“– die traurige Parabel auf verlorene Ideale im Sozialismus wurde nach ihrer Fertigstellung auf Anweisung von „ganz oben“ verboten. Erst sieben Jahre später kam der Film in die Kinos. Die Lust auf Gegenwartsstoffe wurde dem Potsdamer gehörig ausgetrieben. In „Die Frau und der Fremde“, nach der Erzählung „Karl und Anna“ von Leonhard Frank, dreht er schließlich die Geschichte einer Liebe während des Ersten Weltkrieges, die auf einer Lüge beruht. Sie brachte ihm den Goldenen Bären auf den Filmfestspielen Berlin 1985 ein. Schließlich folgte die Familiensaga Wengler & Söhne, die die Geschichte des Deutschen Reiches von 1871 bis 1945 in drei Generationen widerspiegelt. Dieser Film wurde ohne Beanstandungen abgenommen und bekam wie „Die Frau und der Fremde“ das Prädikat „Besonders wertvoll“.

Kurz vor dem Ende der DDR ließ sich der Regisseur dazu verführen, doch wieder einen Gegenwartsfilm zu machen – nach dem Jugendbuch „Umberto“ von Günter Saalmann. Entstanden ist daraus „Fernes Land Pa-isch“. „Von der Produktion zur Premiere dauerte es wieder sieben Jahre wie im Falle ,Jadup und Boel“ – ohne Zensur und ohne Stasi –, und noch weniger Zuschauer bekamen den Film zu sehen.“ Es war nicht die Art von Filmen, die in der Nachwendezeit die Produzenten interessierte. Das Studio Babelsberg verscherbelte ihn an einen kleinen Hamburger Fernsehbetrieb. „Als ich Filmregisseur wurde, ging ich davon aus, dass menschliche Konflikte, die mich beunruhigen, auch andere erregen müssten. Traumfabrik, den Zuschauer zu manipulieren, hat mich nie interessiert. Das gesellschaftliche Klima in der DDR kam mir, so absurd das klingen mag, dabei entgegen. Doch die eitle Selbstzufriedenheit im heutigen Deutschland ist für diese Art Filme tödlich.“ Seine Hoffnung, dass die Franzosen in der DEFA-Nachfolge neue Chancen böten, zerstieben bald. Die Idee, den Roman „Erlkönig“ von Michel Tournier auf die Leinwand zu bringen, scheiterte angeblich am Geld. Bis ihn Volker Schlöndorff, der damalige künstlerische Leiter der Studios, selbst in Szene setzte – mit dem Titel „Der Unhold“. Irgendwann später habe er zu ihm gesagt: „Ach, was habe ich doch für einen schlechten Film gedreht, du hättest ihn sicher viel besser gemacht“, so Rainer Simon in seinem Lebensbericht.

In einer Rede zur Verleihung des Konrad-Wolf-Preises sagte der Regisseur 1987: „An verdrängten Konflikten kann nicht nur der Einzelne krank werden, sterben, so kann es auch einer Gesellschaft ergehen, der ganzen Menschheit.“ Für ihn steht auch heute die Frage, wie lange die Welt damit leben kann, dass ein Teil der Menschheit verreckt, und der andere droht, im Überfluss zu verkommen.

Für dieses Thema brennt Rainer Simon mehr denn je – auch wenn er sich verstärkt aufs Schreiben verlegt hat. Nach seiner Autobiografie und dem Roman „Regenbogenboa“ im vergangenen Jahr hat er jetzt einen Bild-Text-Band über Südamerika fast fertig. Nun muss er nur noch einen Verlag finden. Das Kämpfen geht weiter. Zwischen den Welten.

Am 2. Februar feiert das Filmmuseum den Geburtstag Rainer Simons. Gezeigt wird „Wengler & Söhne“.

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