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Spielen sie Mörder? Werden sie es werden? Mascha Schneider und Paul Sies in Christoph Mehlers Inszenierung „Die schmutzigen Hände“.

© Thomas M. Jauk

Das Leben, ein Spiel?: „Die schmutzigen Hände“ am Hans Otto Theater

Existenzialismus made in Potsdam: Christoph Mehler hat Sartres „Die schmutzigen Hände“ inszeniert. Grell, hochtourig, disparat - und verstörend aktuell.

Dieser grelle, überbordende Abend ist schon gut eine Stunde alt, da kommt er unversehens kurz zur Ruhe. Hugo, ein überambitionierter Möchtegern-Revolutionär, und Hoederer, ein ergrauter Parteisekretär, den Hugo ermorden soll, stehen nach viel Zappelei, Slapstick und Gebrüll plötzlich an der Rampe und diskutieren, was Kriege bringen - mehr mit uns als miteinander.

Im Stück geht es um die Auseinandersetzung zwischen Sowjetarmee und Nazi-Deutschland im fiktiven Balkanland Illyrien. Soll der Krieg andauern, um der kommunistischen Idee willen? Das will Hugo. Sollen die Kriegstreiber trotz aller ideologischen Unterschiede paktieren, um Hunderttausenden das Leben zu retten? Das will Hoederer.

Wer hierauf eine leichte Antwort hat, den wird „Die schmutzigen Hände“, die jüngste Premiere am Hans Otto Theater in der Regie von Christoph Mehler, nicht interessieren. Alle anderen, die mit einigermaßen offenen Augen das Weltgeschehen, genauer jenes im Osten Europas, verfolgen, dürfte dieser Abend nachhaltig beschäftigen. Jean-Paul Sartre hat das Stück im Paris der späten 1940er Jahre geschrieben, die deutsche Besatzung hatte er selbst miterlebt. Die Vorzeichen haben sich geändert, aber heute ist der Krieg zurück in Europa.

Referenz an eine andere Inszenierung, einen anderen Krieg

1999, im Kontext des Jugoslawienkrieges, hatte Frank Castorf das Stück an der Volksbühne inszeniert. Wer will, kann in der Potsdamer Fassung Referenzen suchen (die Spielweise, die Balkanbeats, die Kathi-Angerer-Haftigkeit von Mascha Schneider). Wichtiger aber: Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges werden die Fragen, die Sartre in dem Agententhriller aufwirft, wieder unübersehbar aktuell.

Wie lässt sich im Kontext eines Krieges überhaupt Position beziehen, ohne sich, im tatsächlichen oder übertragenen Sinne, „schmutzig“ zu machen? Wie schwer wiegt eine Idee (Unabhängigkeit, Kommunismus, Prinzipientreue) gegenüber einem Menschenleben - oder gar vieler? Wie kann ein Einzelner das entscheiden, ohne darüber irre zu werden?

Hugo, gespielt von Paul Sies im schwarzen Existenzialisten-Look, ist menschgewordene Verkörperung dieses Irrewerdens. Von der ersten Minute an steht er unter Strom, ein nach Anerkennung lechzender Büroknecht zunächst, der in die Schreibmaschine hackt, als würde er damit Gewehrsalven abfeuern.

Immer nur schreiben, während andere schießen dürfen! Terrorismus ist vorbei, bekommt er da vom Vorgesetzten Louis (Ulrike Beerbaum) zu hören - aber ein Mord am von der Parteilinie abtrünnigen Hoederer wäre okay. So bekommt Hugo seinen ersten richtigen Job. Er soll Zahnbürste und Frau einpacken, Hoederers Privatsekretär werden und ihn erledigen.

Dampfplauderer als Auftragsmörder

Dass der übernervöse Dampfplauderer Hugo als Agent und Auftragsmörder denkbar schlecht geeignet ist, ist von Anfang an klar. Er hadert nicht nur mit der nötigen Gabe zum Pokerface, sondern verfranst sich immer wieder in Reflexionen darüber, was hier eigentlich Spiel ist, und was Wirklichkeit - was die Regie bewusst auf die Inszenierung als Ganzes ausweitet (und auch damit wieder Richtung Castorf grüßt).

Immer wieder wird das Spiel als Spiel bloßgestellt - und gleichzeitig in seinen Möglichkeiten gründlich abgefeiert: Paul Sies als Hugo, Guido Lambrecht als Hoederer und vor allem Mascha Schneider als Hugos Frau Jessica jagen ihre Skills in einem Tempo über die Bühne, dass einem schwindelig werden kann. Das ist oft abrupt, die Brüche sind hart. Aber gut, ging es den Existenzialisten nicht um genau das: die Möglichkeiten des Daseins auszutesten?

Keine macht das so virtuos wie Mascha Schneider als Jessica. Püppchen oder Vamp, Verführerin oder von Wutanfällen geschüttelte Hysterikerin: Sie kann alles und will alles. Ihr würde man den Mord an Hoederer sofort zutrauen; nur wird sie am Ende dagegen argumentieren.

Man spielt die Rolle eines Mörders so lange, bis man wirklich einer ist: Das ist die Grundannahme, die das Stück durchdekliniert. Es sieht einem Paar beim Üben zu. Und es beharrt: In jedem Moment könnten diese Menschen, wie alle mit Zugang zu Waffen, sich umentscheiden. Angesichts der aktuellen Lage: Anlass zur Hoffnung oder zur Verzweiflung?

Mehlers „Schmutzige Hände“ stellt diese Frage, ohne sie zu stellen. Das ist eine Stärke dieses Abends. Er hat auch Schwächen. Bei so viel Freiheit allenthalben (im Thema, im Spiel): Warum der angestaubte Rückblenden-Rahmen in der Erzählweise, der das Ganze so konventionell zusammenzurrt?

Warum, andererseits, die ziemlich längliche, ziemlich bizarre Schlüpfer-Orgie am Ende? Da passt einiges nicht zusammen. Eine weitere Stärke des Abends jedoch: Es ist einem am Ende ziemlich egal. Das Gepäck, mit dem man nach Hause geht - es wiegt schwerer.

Wieder am 22., 23.10. sowie am 11.11. im Großen Haus des Hans Otto Theaters

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