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Kultur: „Da kannst Du gleich selber “reinbeißen“

Das 108. Potsdamer Filmgespräch: „No exit“ der Regisseurin Franziska Tenner

Das 108. Potsdamer Filmgespräch: „No exit“ der Regisseurin Franziska Tenner Nachts, in einem Walde nahe am Fluss: Mit Fackeln zieht ein Häuflein Jugendlicher zu einem Gedenkstein. Eh, wollen wir uns einen Baseball-Schläger bauen? fragt einer. „Aus Kiefer? Da kannst Du gleich selber “reinbeißen!“, bekommt er zur Antwort. Am Grab der gefallenen Krieger dann Posen und Sprüche: „Diese deutschen Soldaten sind für deutsche Werte gefallen!“. Was ist das? fragt Regisseurin Franziska Tenner den Sprecher. Ja, eh, das weiß ich jetzt auch nicht ... Dann zieht man in einen ehemaligen Kriegsbunker, „deutsche Wertarbeit“, wo es doch zu dem kommt, was die Schöpferin des Filmes „No exit“ so nicht wollte: Hitlergruß mit einer Fackel in der Hand, zuerst frontal, dann im Halbprofil. Tenner, noch Studentin der Regie an der HFF, bekam 2001 von der Redaktion „Das kleine Fernsehspiel“ (OBR /SFB) den Auftrag, einen Film über den „Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern“ zu drehen. Ein Jahr lang begleitete sie die „Freie Kameradschaft Frankfurt/Oder“ in öffentlichen und privaten Situationen. Ihr Werk hat seitdem allerlei Diskussionen ausgelöst, auch am Dienstag, wo es als 108. Ausgabe des Aktuellen Potsdamer Filmgespräches lief. Der einstige Marstall war zur Hälfte gefüllt, viele junge Gesichter. Man sieht Nico (22), Conny (28), Bibi (19) und die anderen auf Frankfurts Straßen mit einem selbstgemachten Transparent um „Härtere Strafen für Kinderschänder“ werben, erlebt ihre unbeholfenen „politischen Schulungen“, darin sie „Kolberg“ sehen, einen Kulturfilm über die Wikinger, doch viel dazu nicht sagen können. Nico, mit starkem Hang zur verbotenen NPD, geht zudem in Altenheime, um dort seine patriotischen Gesänge vorzutragen, selbst gedichtet. Sie alle geben sich sozial, politisch unabhängig, und gehören doch zur „rechten Szene“. Franziska Tenner wollte den meist schwarz gekleideten Haufen nicht schlagend und Parolen brüllend darstellen, sondern suchte in den drei recht subtilen Porträts nach privaten Triebkräften, die Nico, Conny und den stark tätowierten Glatzkopf Bibi „rechts“ sein ließen. Organisationstalent Nico wird seinen politischen Weg aus Überzeugung so oder so machen, er geht später „in den Westen“. Conny trieb es in die Kameradschaft, weil sie Pech mit einem Marokkaner hatte, vor der Ehe lieb, dann ein Macho ohne Anpassungsfähigkeit an hiesige Verhältnisse. Bibi, damals 19 und arbeitslos, hält es mit „Wie du mir, so ich dir“, ein brutaler Typ. Als ihn seine Freundin hinauswarf, drehte er ihrer Katze den Hals um, „war ein schönes Tier“. Er verprügelte auch einen Jugendlichen brutal. Ende der Dreharbeiten wurde er zu vier Jahren Gefängnis verurteilt – die gottlose Kameradschaft fiel bald darauf auseinander. Tenner entwickelte während der Arbeit am Film trotzdem ein „gewisses Verständnis“ für sie. „Wir nehmen die Jugendlichen nur durch fehlende Arbeitsplätze und Extremismus wahr, nicht wie sie sind. Oft mittellos, stehen sie am sozialen Rand und rufen: Wir sind auch noch da“. Die Gesellschaft gäbe ihnen „keine Alternative, die sie auch glauben können“, und niemand sage ihnen, dass auch sie „willkommen“ seien. Als die Gruppe den fertigen Film sah, war sie ziemlich erschrocken, denn trotz Bekenntnissen zum hohen Wert der Kameradschaft wußten sie voneinander fast nichts, vor allem, wie einer über den anderen denkt. „No exit“, ostentativ als Bekenntnis der Regisseurin zu verstehen, blieb nach 90 Minuten nicht ohne Widerspruch: Der Film verharmlose den rechten Trupp, er hätte in Frankfurt sehr wohl kräftig zugeschlagen; die Darstellung privater Motive genüge dem Thema nicht, und wer von keinem Ausgang weiß, der suche ihn eben auch nicht, in den „NBL“. Tenner wollte keinen politischen Film, keine Klischees: „Ich habe ihren privaten Stand gezeigt, so wie sie sind, ihr Niveau. Was hätte es gebracht, sie anders zu zeichnen? Ich weiß es nicht.“Gerold Paul

Gerold Paul

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