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Wie eine Familie. Musiker der Kammerakademie Potsdam mit ihrem Chefdirigenten Antonello Manacorda (r.) im Foyer des Nikolaisaals.

©  Stefan Gloede/KAP

Kultur: „Beethoven wird uns verändern“

Frauke Roth über Weltallbilder bei Haydns „Die Schöpfung“ und neun Sinfonien an vier Tagen

Frau Roth, wird es zunehmend schwieriger, das Publikum mit einem herkömmlichen Saisonprogramm zu überzeugen?

Herkömmlich wollen wir natürlich nie sein. In erster Linie geht es uns um Qualität. Bei allen Konzertreihen. Wir achten natürlich darauf, dass wir mit unserem Chefdirigenten Antonello Manacorda, dem Orchester und den Gästen, die wir einladen, ein Programm zusammenstellen, das überzeugt. Dabei wollen wir Akzente setzen. Die letzte Jahren haben gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind: Auch 2012 hatten wir eine Gesamtauslastung von 85 Prozent.

Akzente setzen Sie auch beim Eröffnungskonzert am 23. August mit Haydns „Die Schöpfung“. Dazu zeigen sie Bilder aus dem All vom Hubble-Weltraumteleskop und haben eine eigene Lichtregie entwickeln lassen. Reicht Haydns Musik allein nicht mehr aus oder ist das auch der Versuch, die Klassik für ein neues Publikum zu öffnen?

Ich finde, dass Hören etwas ist, das wir gesamtgesellschaftlich wieder mehr etablieren müssen. Zwar haben viele andauernd irgendwelche Knöpfe im Ohr. Doch das meiste, was mit dem Ohr passiert, bildet eher einen Klanghintergrund. Es ist auch deshalb schwierig, ein neues Publikum zu finden, weil heutzutage das Visuelle sehr stark im Vordergrund steht. Insofern möchten wir das Zuhören wieder ins Zentrum rücken und dafür sind das Orchester und der Konzertsaal ja auch da. Ganz klar. Wir knüpfen dabei an das herkömmliche Konzerterlebnis an und versuchen es zu vertiefen und zu erweitern. Auch bei der Inszenierung unseres Eröffnungskonzerts steht die Musik im Vordergrund. Es gibt keine Lightshow, sondern eine kunstvolle Ausleuchtung der Bühne und Bilder vom Weltraumteleskop. Ich gebe zu, dass wir mit solchen Formaten auch immer ein gewisses Risiko eingehen. Es kann sein, dass jemand sagt: „Ich will das nicht, ich will nur Haydn“ und beim Zuhören die Augen schließt.

Das ist ja eine Form von Mut, die es zu solchen Formaten braucht.

Ja, den muss man haben.

Mutig ist auch Ihr Beethoven-Projekt. An vier Tagen im Februar will die Kammerakademie alle neun Sinfonien im Nikolaisaal spielen. Warum tun Sie sich das an?

Antonello Manacorda hatte Andrea Palent, die Intendantin des Nikolaisaals, und mich zum Essen zu sich nach Hause eingeladen. Da hat er uns dann ein sehr köstliches italienisches Essen kredenzt und dann kam er sozusagen mit der Katze aus dem Sack.

Wie haben Sie reagiert?

An diesem Abend haben wir es dabei belassen, dass wir alle drei erst einmal noch darüber schlafen.

Was hat bei Ihnen den Ausschlag für dieses Projekt gegeben?

Antonello Manacorda hatte für seine Idee ein sehr schönes Bild gewählt. Beethovens Sinfonien immer nur einzeln zu spielen, sei so, als würde man nur eine Wohnung betreten. Alle zusammen aber ergeben ein ganzes Haus, das wir so bis in den letzten Winkel ausleuchten. Dazu gehört auch der Spannungsbogen von der ersten Sinfonie, die naturgemäß ganz kammerorchestral notiert ist, bis hin zu der Neunten, die natürlich weit darüber hinaus weist. Wir sind gespannt, wie das die Künstler verändert. Die werden über zwei Wochen tagaus und tagein, nachtaus und nachtein, sich nur mit diesem Thema befassen. Da wird schon was passieren.

Das klingt fast ein wenig beängstigend.

Ich rechne mit Erschöpfung, ich rechne mit echter Spannung vor dem Konzert. Ich erwarte natürlich auch von Antonello Manacorda, das er mit diesen neun Sinfonien ein ganz eigenes Beethoven-Bild mit der Kammerakademie präsentiert, ein historisch informiertes Bild mit einem besonderen Klang. Es ist natürlich ein Meilenstein für jeden Künstler. Man konstatiert, man reflektiert diese Stücke, die man schon so lange kennt, auf eine ganz andere Art und Weise. Und ich bin gespannt, wie das Publikum damit umgeht. Auch das ist ein klares Risiko.

Gab es bei der Kammerakademie überhaupt schon einmal ein solches umfangreiches Projekt?

In der Intensität und mit dem Anspruch in dieser Größenordnung gab es das noch nicht. In der Länge gibt es natürlich vergleichbare Zusammenarbeitsintensitäten bei den Opernproduktionen. Deswegen finde ich die ja auch immer wieder von herausragender Wichtigkeit für das Orchester. Das ist etwas, das die Musiker zusammenschweißt und dem Orchester eine Identität gibt. Deswegen sage ich, nach diesem Projekt gibt es sicher eine neue Standortbestimmung. Dieser Beethoven wird die Kammerakademie verändern.

Neben diesen Experimenten ist das neue Saisonprogramm aber auch von einem gewissen Wiedererkennungswert geprägt. Die Kammerakademie als Wiederholungstäter sozusagen, wenn man bekannte Solisten wie Avi Avital, Emmanuel Pahud oder Albrecht Mayer entdeckt.

Ich finde, es ist ein echter Ausweis für das Orchester und auch für meine Kolleginnen hier in der Geschäftsstelle, dass es bisher keinen Solisten gab, der nach seinem Konzert mit der Kammerakademie nicht wiederkommen wollte. Wirklich keinen. Ich freue mich auch besonders, dass Michael Sanderling, der fünf Jahre unser Chefdirigent war, in der kommenden Saison für ein Konzert nach Potsdam kommt. Als wir mit der Kammerakademie vor 13 Jahren anfingen, habe ich großen Wert auf immer Neues gelegt. Mittlerweile finde ich es umso schöner, dass wir Künstler wieder einladen können, mit denen wir ein gutes und vor allem qualitätvolles Konzerterlebnis bieten. Das ist einfach schön. Das ist auch eine Familie.

Die neue Saison hält für Sie auch weniger erfreuliche Herausforderungen bereit. Wegen Sanierungsarbeiten im Neuen Palais findet die Winteroper in diesem und in kommenden Jahren nicht im Schlosstheater, sondern in der Friedenskirche Sanssouci statt. Auch die Reihe der Schlosskonzerte ist an diesen Spielort verlegt. Was bedeutet das für die Kammerakademie?

Eins ist klar, das Schlosstheater ist ein Kleinod und es ist ein voll bespielungsfähiges Theater, von dem wir nach wie vor hoffen, dass es uns so erhalten bleibt. Die Friedenskirche ist eine Kirche und da macht sich das nicht mal eben so, dass man eine Disposition hinschickt und dann läuft da eine Oper. Vom Sitzplan fürs Ticketing über irgendeine Art von Beleuchtungssituation, über An- und Ablieferung, über die Fragen, wo wird irgendwer geschminkt, wo können sich irgendwelche Musiker aufhalten, wo kann ein Gast zur Toilette gehen. Das müssen wir alles neu erfinden. Da kann ich mich nur bei den Kolleginnen hier, aber auch vom Hans Otto Theater, von der Friedenskirchengemeinde und von der Schlösserstiftung bedanken, dass die diesen Prozess doch sehr konstruktiv begleiten.

Wie kam es zu der Entscheidung für die Friedenskirche?

Das Hans Otto Theater hatte 2001 Vivaldis „Juditha Triumphans“ in der Friedenskirche aufgeführt. Die war übrigens extrem erfolgreich. Davon wurde immer wieder gesprochen. Und diese Geschichte war auch der eigentliche Ideengeber für Händels „Jephtha“ in diesem Jahr. Hinzu kommt, dass die Nähe zu Sanssouci, dieses besondere Ambiente für uns sehr wichtig ist. Eine kleine, aber durchaus ernst gemeinte Seitenbemerkung: Das Korsagenkleid sollte natürlich für eine Aufführung in der Friedenskirche im Winter lieber zu Hause bleiben. Wir freuen uns auf schicke, wohl gekleidete Menschen, aber man muss auch als Zuschauer wissen, dass der Ort zwar etwas Besonderes ist, aber das natürlich auch seine kleinen Tücken hat. Er hat besondere Bedingungen und man muss das wie ein Gesamterlebnis sehen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

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