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Kultur: An einem Ort größerer Gelassenheit

Fotos aus Siebenbürgen und einer künftigen Kulturhauptstadt / Zu sehen im al globe

Fotos aus Siebenbürgen und einer künftigen Kulturhauptstadt / Zu sehen im al globe Verwitterte Fassaden, graufinstere Gassen, aus denen man die Feuchte der Mauern zu riechen glaubt, Treppen ins Nirgendwo – die Altstadt von Sibiu, der siebenbürgischen Hermannstadt, erinnert an die unrestaurierten Viertel Potsdams vor “89. Karl Heinz Rothenberger, Arzt im bayrischen Landshut, hat die verwunschene Stadt in Rumänien, wie er selbst sagt, „mit den Augen eines Freundes“ gesehen. Er fotografierte sie mit dem sicheren Blick für das Historische und einem feinen Gespür für ihre Möglichkeiten. Seine Schwarz-Weiß-Fotografien sind derzeit im „al globe“, dem Brandenburgischen Haus der Kulturen, ausgestellt. Und dies nicht ohne Grund. Denn so sehr die Stadt am Zibin in der Zeit verfangen scheint, eines hat sie dem renovierten Potsdam voraus: 2007 wird sie Europäische Kulturhauptstadt sein, gemeinsam mit Luxemburg, der Region, aus der im 12. Jahrhundert die ersten deutschen Siedler nach Siebenbürgen kamen. Diese Verbindung sei ihr das erste Mal aufgefallen, als sie bei einem Besuch Luxemburgs die dortige Sprache wie ihre eigene verstand, erzählt die in Potsdam lebende Hermannstädterin Gudrun Spaan, während sie die Bilder betrachtet. Ihre Muttersprache ist deutsch, der Akzent nicht rumänisch, sondern ein Überbleibsel des luxemburgischen Dialekts. Als Dolmetscherin und Sprachdozentin hat sie dafür ein Ohr. Nun in der Ausstellung hört sie in sich hinein, den Blick auf Rothenbergers Foto vom Brukenthal-Gymnasium gerichtet. Vier Sprachen hat sie dort gepaukt, das Fundament, auf dem sie zwei weitere aufstockte. Die dunkelblaue Schuluniform blitzt in der Erinnerung auf, der Tanzunterricht, die deutsche Literatur, die Lieder des Kammerchors. Es war eine deutsche Schule in einer Stadt, in der sich die Kulturen und Religionen von Rumänen, Roma, Ungarn und Deutschen begegneten, ohne sich zu sehr zu vermischen. Diese offene Atmosphäre war es, die Gudrun Spaan den Blick weitete, sie festhielt und dann doch fortziehen ließ. In ihren Stadtmauern mit den stolzen Hartenecktürmen war Hermannstadt eben nur eine Insel in einem Rumänien, das der jungen Frau damals keine Freiräume bot. Nach Studien- und Arbeitsaufenthalten in Heidelberg und den USA wählte sie Potsdam, einen Ort, der sie an ihre Heimat erinnert, in der Geschlossenheit der Architektur, der Landschaft herum, dem Geruch des Geschichtlichen, aber auch in der anhaltenden Spannung zwischen östlichen und westlichen Lebensverhältnissen. Als Dozentin sieht sie sich da als Mittlerin, als jemand, der hier und dort zu Hause ist. So ortet sie in Rothenburgers Fotografien schnell die Zeichen gemeinsamer Wurzeln. Da ist die evangelische Stadtpfarrkirche, in der sie in der Tracht der Siebenbürger Sachsen konfirmiert wurde. Da sind die meterdicken Mauern der Häuser, die sich um Gassen und Treppen winden, die Dachgauben, Türen und Tore, ein Knauf mit Löwenkopf. Auch die Fotografien vom ländlichen Siebenbürgen scheinen in die Vergangenheit zu führen oder in eine Zeit größerer Gelassenheit, in der die Hirten die Schafswolle zum Bleichen auf der Weide ausbreiten, Leute mit Pferd und Wagen über die Straße zuckeln und eine Bäuerin für ein Gastmahl auftischt, was Küche und Keller hergeben. Gleich wird sie den Fotografen heranwinken, um Neues aus der Fremde zu erfahren, ist sich Gudrun Spaan sicher. Diese Offenheit vermisst sie hier manchmal. Ein Opfer der Schnelllebigkeit, glaubt sie, denn offen zu sein, bedeutet zuzuhören, sich für den anderen Zeit zu nehmen. Hermannstadt nun bekommt 2007 diese besondere Aufmerksamkeit. Die Fotografien von Karl Heinz Rothenberger stimmen schon mal darauf ein. Antje Horn-Conrad „Mit den Augen eines Freundes“ - Fotografien von K. H. Rothenberger, al globe, Charlottenstr. 31, Mo-Fr 10-17 Uhr, bis 31.1.

Antje Horn-Conrad

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