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Landeshauptstadt: Zu guter Letzt

„Rassenhygiene“ und Terror-Justiz im Nationalsozialismus: Gedenkstätte Lindenstraße eröffnet heute fünften Teil der Dauerausstellung

Innenstadt - Mit einem lange erwarteten Ausstellungsteil über die Zeit des Nationalsozialismus komplettiert die Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 ihre Dauerausstellung. Unter der Überschrift „,Rassenhygiene’ und Terror-Justiz – Die Potsdamer Lindenstraße im Nationalsozialismus“ wird der fünfte und letzte Ausstellungsteil am heutigen Donnerstag um 17 Uhr von Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) eröffnet.

Der Gebäudekomplex in der Potsdamer Innenstadt war zwischen 1933 und 1945 Sitz des Erbgesundheitsgerichts, das auf Basis des rassenideologischen „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom Juli 1933 mindestens 3300 Frauen, Männer und Jugendliche zur Zwangssterilisation verurteilte. Zudem hatte der berüchtigte Volksgerichtshof ab 1943 teilweise und ab Anfang 1945 gänzlich seinen Sitz in der Lindenstraße 54. Mindestens 55 der dort inhaftierten Oppositionellen wurden vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, heißt es in einem Begleittext zur Ausstellung, darunter der Ringer Werner Seelenbinder, KPD-Mitglied und sechsfacher deutscher Meister im Halbschwergewicht.

Anlässlich einer Vorbesichtigung für Journalisten am gestrigen Mittwoch formulierte Dieter Jetschmanegg, der städtische Fachbereichsleiter für Kommunikation und Beteiligung, das Ziel, bis zum 1. Januar 2014 eine Trägerstiftung für die Lindenstraße zu gründen. Eine Stiftungssatzung könnte im November dieses Jahres von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen werden, nachdem sie gegenwärtig im Landeswissenschaftsministerium geprüft wird. Finanziert wird die Gedenkstätte künftig durch das Land Brandenburg und die Stadt Potsdam, die insgesamt 600 000 Euro im Jahr aufbringen. Unter anderem könnten damit viereinhalb Mitarbeiterstellen finanziert werden, sagte Jetschmanegg. Jahrelang war die Lindenstraße 54 eine Filiale des Potsdam-Museums ohne eigenen Etat und eigene Mitarbeiter.

Verantwortlich für die NS-Ausstellung sind die lange Jahre ehrenamtlich arbeitende Gedenkstätten-Protagonistin Gabriele Schnell, Thomas Schaarschmidt und Hans-Hermann Hertle vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) sowie die Historikerin Annemone Christians, von der Hertle berichtet: „Das Münchner Institut für Zeitgeschichte hat sie uns abgeworben.“ Das Designbüro „freybeuter“ aus Potsdam übernahm die Gestaltung der Ausstellung.

Detailliert gingen die Kuratoren darauf ein, warum gerade das NS-Modul so lange auf sich warten ließ, gibt es doch die Ausstellungen über die Zeit der Lindenstraße als Untersuchungsgefängnis des sowjetischen Geheimdienstes NKWD sowie der DDR-Staatssicherheit bereits seit 2008. Bis Anfang der 2000er-Jahre sei die Lindenstraße „ein Ort ohne Erinnerung“ gewesen, erklärte Hertle: „Die Mauern haben geschwiegen.“ Dann sei vom ZZF das Modulkonzept erarbeitet worden, um die verschiedenen Zeitschichten des Hauses zu erschließen. Insbesondere die Finanzierung sei aufwendig und kleinteilig gewesen, der nun fertiggestellte NS-Teil sei „das Ergebnis der 17. Anfrage nach Projektmitteln“. Ausschließlich Drittmitteln sei der erreichte Zustand zu verdanken; insgesamt seien 1,8 Millionen Euro eingeworben worden. Hertle und Gabriele Schnell schildern gerade die Erforschung der NS-Zeit des Hauses als Stückwerk. So sei bereits Ende 2006 ein Förderantrag bei der Europäischen Union erfolgreich gewesen, der Grundlagenforschung für die NS-Zeit ermöglichte – für die Dauer von lediglich acht Monaten. „Es war unglaublich schwer, Mittelgeber zu finden“, sagte Schnell. Die Erforschung der NKWD- und der Stasi-Zeit sei dagegen vergleichsweise gut finanziert worden, etwa durch die Bundesstiftung Aufarbeitung. Zudem, so Hertle, sei „die Stasi-Geschichte in den 2000er-Jahren viel aktueller gewesen“. Hertle: Es war wichtig, „die Schicksale derer aufzuschreiben, über die in der DDR-Zeit geschwiegen wurde“.

Die Exposition zur NS-Zeit ist stark differenziert. Thematisiert werden mehrere Opfergruppen, darunter jüdische Verfolgte, Zwangsarbeiter, kommunistische Widerständler, aber auch Frauen, denen verbotener Umgang mit Zwangsarbeitern vorgeworfen wurde oder Menschen, die wegen „Rundfunkverbrechen“ verfolgt wurden, dem Abhören von „Feindsendern“. Ein Ausstellungsraum stellt die Opfer des Erbgesundheitsgerichts in den Mittelpunkt. Dazu erklärte Annemone Christians: „Das findet sich in der Bundesrepublik erstmalig in so einem Rahmen am authentischen Ort.“ Mehrere Opferschicksale werden in der Ausstellung geschildert, zumeist in Schriftform, aber auch durch eine Hörstation, die ein Interview mit dem letzten noch lebenden Häftling der Lindenstraße zur NS-Zeit wiedergibt, dem 91-jährigen Günther Naumann aus Luckenwalde. Auf einem Bildschirm ist zudem ein Gespräch mit dem Sohn des christlichen Widerständlers Constantin von Dietze zu sehen. Ferner finden sich ausgewählte Täterbiografien, so die des NS-Juristen Erhard Wetzel, Autor des „Gaskammerbriefes“ – des ersten bekannten Dokuments, in dem von der beabsichtigten Vernichtung arbeitsunfähiger Juden in Gaskammern berichtet wird.

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