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Wie das Bier nach Potsdam kam: Wotans Spucke

Vor 500 Jahren wurde in Bayern das Reinheitsgebot für Bier erlassen. Auch in Potsdam hat der Gerstensaft eine lange Tradition.

Beim Bier sind wir Spitze. Jedenfalls fast. Da trinkt uns keiner so schnell was vor. Stolze 106 Liter Gerstensaft rinnen im Durchschnitt jedes Jahr durch eine teutonische Kehle. Nur die Tschechen picheln in der Europäischen Union noch mehr als wir. Sie bringen es – das müssen wir neidlos anerkennen – auf über 140 Liter. Am Ende der Statistik stehen die Italiener. Mickrige 29 Liter zischen sie im Jahr.

Aber auf etwas anderes im Zusammenhang mit Bier sind wir wirklich stolz: auf das Reinheitsgebot. Für manchen passionierten Biertrinker ist das Jahr 1516 vielleicht die einzige Geschichtszahl, die er sich noch merken kann. Am 23. April jenes Jahres erließen die bayerischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. in Ingolstadt die Bayerische Landesordnung. Das war zugleich die Geburtsstunde des Reinheitsgebots. Ein Bier durfte demnach nur noch aus Gerste, Hopfen und Wasser bestehen. Wer sich jetzt wundert, wo in dieser Aufzählung das Malz bleibt, dem sei gesagt: Malz ist nichts weiter als das durch Mälzung gekeimte und getrocknete Getreide. Die Hefe erwähnten die beiden adligen Bayern damals nicht. Aber auch sie war freilich vonnöten, damit aus den harmlosen Zutaten etwas Alkoholisches werden konnte.

Das erste Potsdamer Bier kam aus der Königsbrauerei

500 Jahre ist es also her, dass die beiden Herzöge für die Reinheit des Gebräus sorgten. Dies ist Anlass genug, in diesen Tagen fröhliche Jubiläumsfeste zu feiern. Da dürfen wir uns alle ein bisschen als Bayern fühlen. O’zapft is! Das gilt auch für Potsdam, wo an diesem Wochenende auf dem Luisenplatz ein großes Fest stattfindet.

Schließlich brauten sich auch die Potsdamer schon seit ewigen Zeiten etwas zusammen. Zunächst stellte man Bier in kleinem Maßstab her. Das ging sicherlich oft schief. Schließlich wussten die Leute früher nicht, dass mit der Hefe ganz klitzekleine Pilze am Werk sind, durch die das Gesöff erst so richtig seine beliebten Drehungen bekommt. „Das muss ja früher fürchterlich geschmeckt haben“, vermutet Michael Weidner, Vorsitzender des Vereins für Berliner Brauereigeschichte.

Übrigens brauten schon die alten Germanen in grauer Vorzeit ihr Bier. Und auch sie hatten keine Ahnung: In Unkenntnis der biochemischen Zusammenhänge machten sie für den Gärprozess einst Wotans Spucke verantwortlich. So heißt es jedenfalls. Die Protagonisten von damals können nicht mehr befragt werden.

"Soldaten, die nicht im Krieg sind, die haben Durst"

Aber zurück zu den Potsdamern. Der erste richtig große Laden, in dem man hier Bier herstellte, war die im 18. Jahrhundert gegründete Königsbrauerei. Sie befand sich in der heutigen Speicherstadt. Potsdam war damals eine Garnisonstadt. „Und Soldaten, die nicht im Krieg sind, die haben natürlich Durst“, sagt Weidner. Um 1830 ging die Brauerei in den Besitz von Adelung und Hoffmann über. An die Blüte dieser Manufaktur erinnert noch heute in der Leipziger Straße eine große Plastik. König Gambrinus, der Legende nach Erfinder des Bierbrauens, prangt an der Fassade.

Bevor die beiden Brauer Adelung und Hoffmann in Potsdam an den Start gingen, hatten sie in Bayern gelernt, wie untergäriges Bier hergestellt wird, erzählt Jörg Kirchhoff von der Potsdamer Braumanufaktur im Forsthaus Templin. Beim Bierbrauen mit untergäriger Hefe sinkt nach der Gärung die Hefe auf den Boden des Gärgefäßes – daher der Name. Dazu sind kalte Temperaturen nötig. Beim obergärigen Bier schwimmt die Hefe nach der Fermentation auf dem Jungbier.

Das Bier reifte in Gewölben am Fuß des Brauhausbergs

Adelung und Hoffmann ließen am Fuß des Brauhausbergs unterirdische Gewölbe errichten, „die es heute noch teilweise gibt“, sagt Kirchhoff. Auf diese Weise habe man damals die für die Untergärung nötigen gleichmäßig kalten Temperaturen halten können – unterstützt mit Natureis. Dafür war der Berg ideal. „Du konntest ja nicht überall Tiefkeller bauen, weil die abgesoffen wären wegen des Grundwassers“, sagt Kirchhoff über die Bodenverhältnisse. Adelung und Hoffmann kreierten das Potsdamer Stangenbier. An diese Tradition knüpft heute die „Potsdamer Stange“ der Braumanufaktur an.

Auch im Krongut Bornstedt und in der Meierei am Neuen Garten wird heutzutage Bier gebraut. Doch die große Brauerei Adelung und Hoffmann gibt es schon lange nicht mehr. Sie wurde später Teil der Berliner-Kindl-Brauerei. In der Alten Brauerei am Leipziger Dreieck produzierte Kindl die „Stange“ bis in die 1930er-Jahre. Aber auch die Brauereien Senst, Seibert und Franz Lamm stellten das Stangenbier her. Der Name „Stange“ rührt übrigens von den hohen Gläsern, in denen es noch heute ausgeschenkt wird.

Beschwerden über das Potsdamer Bier: "Naturtrüb mit Wasserflöhen"

Im 19. und 20. Jahrhundert gab es eine ganze Reihe weiterer Brauereien in Potsdam, unter anderem die Brauerei Friedrich Voigt in der Hermann-Elflein-Straße oder auch in Babelsberg die Neuendorfer Vereins-Brauerei. Zu DDR-Zeiten produzierte ein volkseigener Betrieb den Gerstensaft auf dem jetzt Alte Brauerei genannten Betriebsgelände am Leipziger Dreieck. In einem Leserbrief machte ein Leser der Brandenburgischen Neuesten Nachrichten, dem Vorgänger der PNN, im Jahre 1971 seinem Ärger über die Qualität des Bieres Luft. Er schrieb: „Bei einem Blick in die Bierflaschen des Braukombinats Potsdam kann man denken, hier bewahre ein Aquarienfreund lebendes Fischfutter auf. Ich schlage vor, das Etikett mit dem Zusatz ,Naturtrüb und mit Wasserflöhen’ zu versehen.“ Zu anderen Zeiten in der DDR mag das Potsdamer Bier besser gewesen sein. Es soll an dieser Stelle nichts verallgemeinert werden.

Ab 1981 produzierte das Potsdamer Braukombinat sein Bier in einer neu gebauten Brauanlage im Industriegelände Rehbrücke. In der Alten Brauerei wurde aber auch danach weiterhin Fassbier hergestellt. Erst 1990 war am alten Standort Schluss. Im Industriegelände braute Kindl – das Unternehmen hatte die dortige Produktionsstätte nach 1990 übernommen – noch bis zum Jahre 2002. Dann war Wotans Spucke auch hier aufgebraucht.

In früheren Zeiten haben die Deutschen übrigens wesentlich mehr Bier konsumiert als heute. Eine Statistik des Deutschen Brauer-Bundes weist für 1976 den Spitzenwert im Pro-Kopf-Verbrauch für die alten Bundesländer von 151 Litern auf – 45 Liter mehr als jetzt. Vielleicht achten die Deutschen stärker auf ihre Gesundheit. Es soll ja schon so manche Beerdigung gegeben haben, auf der sich gleich mehrere Brauereibesitzer von ihrem besten Kunden verabschiedeten – so heißt es in einem Bonmot. Also: Lieber die Maßen in Maßen genießen!

Am heutigen Samstag sowie am Sonntag findet auf dem Luisenplatz ein Fest zu 500 Jahren Reinheitsgebot statt. Beginn ist an beiden Tagen um 11 Uhr.

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