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Schauspieler Jörg Hartmann liest zum Vorlesetag in der Tram 96.

© Andreas Klaer

Vorlesetag in Potsdam: Tatort-Star Jörg Hartmann überrascht Tram-Fahrgäste mit Geschichten

Wer am Freitagnachmittag mit der Tram 96 fuhr, konnte Geschichten lauschen. Volkshochschule, Grundbildungszentrum und ViP hatten bekannte Potsdamer zum Vorlesen geladen.

Zum Ruckeln der Tram 96 und der Durchsage „Nächste Haltestelle“ gesellt sich am Freitagnachmittag eine bekannte Stimme. „Ist das der Schauspieler?“, fragt eine Passantin ihren Mitfahrer. Ja, ist er. Der Potsdamer Jörg Hartmann, unter anderem bekannt als Tatort-Kommissar Peter Faber, liest in der Straßenbahn aus dem Buch „Tomaten in der Badewanne“. Es sind Geschichten über Analphabet:innen, die von den Hindernissen im Alltag erzählen – vom Fragebogen beim Arzt, vom Einkaufen im Supermarkt, vom Übersehen des Schildes „Türöffner“.

Bildungsminister Stefan Freiberg (SPD) liest aus dem Kinderbuch „Das hässliche Entlein“.
Bildungsminister Stefan Freiberg (SPD) liest aus dem Kinderbuch „Das hässliche Entlein“.

© Katharina Golze

Zum bundesweiten Vorlesetag schickte der Verkehrsbetrieb Potsdam (ViP) zusammen mit der Volkshochschule und dem Grundbildungszentrum drei Stunden lang einen Vorlese-Express durch die Innenstadt. Lauschen konnten die Fahrgäste bekannten Potsdamer Persönlichkeiten wie Hans-Otto-Theater-Indendantin Bettina Jahnke und Bibliothekschefin Marion Mattekat. Landesbildungsminister Steffen Freiberg (SPD) las aus dem Kinderbuch „Das hässliche Entlein“.

Überraschung im Feierabendverkehr

Weil er selbst gern lese und weil er es furchtbar fände, wenn Kinder nicht lesen können, mache er mit, erzählt Jörg Hartmann kurz vor Abfahrt an der Tram-Haltestelle Platz der Einheit/West. Deutschlandweit gebe es sechs Millionen erwachsene Analphabeten. Darauf wolle er aufmerksam machen und motivieren, lesen zu lernen. Dann steigt er in die Straßenbahn, setzt seine Lesebrille auf und öffnet das Buch mit den orange markierten Zettelchen.

Jörg Hartmann liest aus dem Buch „Tomaten in der Badewanne“.
Jörg Hartmann liest aus dem Buch „Tomaten in der Badewanne“.

© Andreas Klaer

Für die meisten Fahrgäste ist es eine unerwartete Unterbrechung im Feierabendverkehr. Ein kleiner Junge hört kurz zu, dann widmet er sich wieder seinem Handyspiel. Manche Fahrgäste scrollen durch ihre Smartphones, hören Musik, scheinen die Lesung trotz aufgebauter Lautsprecher kaum mitzubekommen. Andere wiederum treten bewusst dichter oder sind extra zugestiegen, wie Lena Thoning.

Fahrgäste sind begeistert

Die Potsdamerin hält ein Kind auf dem Arm, ihr dreijähriger Sohn Arthur guckt interessiert zu Hartmann. Obwohl dieser keine Kindergeschichte liest, hört der Junge zu. Vorlesen spiele eine große Rolle in ihrem Alltag, erzählt die Mutter. „Die Gute-Nacht-Geschichte ist jeden Abend dabei.“ Da ihr Sohn noch nicht lesen kann, sei er gewissermaßen Analphabet. „Es ist spannend zu sehen, worauf er achtet und wie er sich zurechtfindet“, sagt Lena Thoning.

Die Tram 96 im Feierabendverkehr.
Die Tram 96 im Feierabendverkehr.

© Andreas Klaer

Sabine Zywietz ist wegen Jörg Hartmann zugestiegen. „Ihn wollte ich mir nicht entgehen lassen“, sagt die Potsdamerin und erzählt, dass leichte Sprache auch in ihrem Job im Brandenburger Verbraucherschutzministerium Thema sei. Zum Beispiel bei Bürgeranfragen und für Texte auf der Website. Die Tram hält sie für einen geeigneten Ort für den Vorlesetag und das Thema Analphabetismus. „Man holt viele Leute ab, viele steigen ein und aus“, sagt Sabine Zywietz.

Auf unkonventionelle Art Betroffene erreichen

Genau das ist das Ansinnen von Maren Herbst von der Volkshochschule, die nach 2019 zum zweiten Mal den Vorlese-Express organisierte. „Dort sind Menschen aller Schichten, Herkünfte und Nationen. Wir möchten den Menschen die Angst nehmen und zeigen, dass es etwas ganz Normales ist, wenn man etwas nicht kann“, sagt sie. Zudem sollen diejenigen sensibilisiert werden, die Analphabet:innen in Beruf oder Alltag begegnen.

Die sieben Lerncafés am Stern, Schlaatz, in Drewitz und in der Volkshochschule betreut Franziska Tempel, seit 2023 Leiterin des Grundbildungszentrums. Zehn bis zwölf Menschen besuchen diese Angebote, sagt sie, die meisten seien zwischen 30 und 50 Jahre alt und bringen schlechte Erfahrungen aus der Schulzeit mit.

Franziska Tempel (r.), Leiterin des Grundbildungszentrums Potsdam, hört zu.
Franziska Tempel (r.), Leiterin des Grundbildungszentrums Potsdam, hört zu.

© Andreas Klaer

„Darüber wird weniger gesprochen. Es geht darum, zu lernen, Mut zu machen und nach vorn zu blicken“, sagt Franziska Tempel. Sie hofft, dass nach der Aktion Betroffene den Mut haben, zu den kostenfreien Lerncafés oder den Grundbildungskursen zu kommen. Dafür verteilt sie unter den Fahrgästen Flyer in leichter Sprache.

„Ich nehme gleich zwei“, sagt ein älterer Herr. Als er am Campus Jungfernsee aussteigt, sagt er: „Das finde ich gut, wirklich. Das müsste immer so passieren.“

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