zum Hauptinhalt
Unvergessene Opfer. Dirk Jungnickel bei der Enthüllung der Plakette.

© M. Thomas

Landeshauptstadt: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Bei der Enthüllung einer Gedenkplakette für Stalinismus-Opfer kam es in der Leistikowstraße zur Kontroverse über den Hitler-Stalin-Pakt

Nauener Vorstadt - An der Wand des ehemaligen sowjetischen Geheimdienstgefängnisses in der Potsdamer Leistikowstraße erinnert seit Freitag eine Plakette an die Opfer stalinistischer Verfolgung. Die Plakette geht auf eine Initiative der Zeitzeugen-Initiative und des Gedenkstättenvereins zurück. Gestaltet wurde sie vom Künstler und DDR-Bürgerrechtler Bob Bahra, der im Frühjahr 2013 verstarb. Die Plakette trägt vier kreuzförmig angeordnete Worte: „Gequält, Gefoltert, Verbannt, Erschossen“.

Bei der Enthüllung der Plakette am 23. August, dem 74. Jahrestag der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes, kam es zu einer Kontroverse zwischen der Gedenkstättenleiterin, der Historikerin Ines Reich, und Vertretern des Gedenkstättenvereins. Ines Reich erklärte, wer diesen Tag der Vertragsunterzeichnung zwischen dem deutschen Außenminister Ribbentrop und dem sowjetischen Amtskollegen Molotow heraushebe, begebe sich auf eine Gratwanderung. Es bestehe die Gefahr, die Unterschiede der beiden totalitären Regime „zu verzeichnen“, erklärte sie den PNN. In ihrer Rede zitierte sie den Politikwissenschaftler Claus Leggewie: „Die Schwierigkeit der europäischen Erinnerungskultur besteht darin, das Singuläre am Zivilisationsbruch der industriell-bürokratischen Vernichtung der europäischen Juden herauszustellen, ohne sie damit dogmatisch dem historischen Vergleich zu entziehen und die systematische Ausrottung der ,Klassen- und Volksfeinde’ im sowjetischen Machtbereich herunterzuspielen.“

Dirk Jungnickel vom Gedenkstättenverein sagte, in der „Prager Erklärung“ hätten Václav Havel, Joachim Gauck und Vytautas Landsbergis gefordert, den 23. August als „Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus“ auszurufen. Bestimmte Historiker hätten „eine Opferhierarchie“ aufgebaut. Viele Stalinismus-Opfer fürchteten sich vor „der linken Faschismus-Keule“, hätten aber selbst nie die Absicht gehabt, Opfer des Nationalsozialismus oder des Stalinismus gegeneinander aufzurechnen. Die Opfer, die in der Leistikowstraße einsaßen, betonte Jungnickel, seien keine glühenden Nazis gewesen. Höchstens könne man bei einigen von Verführung sprechen, von jugendlichem Idealismus. Richard Buchner, Vorsitzender des Gedenkstättenvereins Leistikowstraße, bezeichnete den Hitler-Stalin-Pakt – eigentlich ein Nichtangriffspakt, in dessen Zusatzprotokoll sich Hitlerdeutschland und die Sowjetunion Polen und das Baltikum als Beute eines baldigen Krieges aufteilten – als „letzten Schritt in den Abgrund des Zweiten Weltkrieges“. Buchner sagte, für die Opfer mache es keinen Unterschied, „im Namen welcher Diktatur sie umgekommen sind“. Diese Sicht vertrat die Historikerin Reich gegenüber den PNN im Anschluss auch: „Das macht aus Sicht der Opfer keinen Unterschied.“ Guido Berg

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false