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„Sehr zufrieden.“ Uwe Roessgen (l.) und sein „Assistent“ Michael Hirte.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Sushi und Munti-Klänge

„Supertalent“ Michael Hirte half bei der Potsdamer Tafel, bei der er Kunde war

Es riecht nach frischem Brot. Dank der Unterstützung einer Großbäckerei mangelt es der Potsdamer Tafel nicht an Brot, sagt Tafel-Sprecherin Maria Conze. Eine Kundin darf sogar wählen, ob sie ein Brot mit oder ohne Körner will. Auch an öffentlicher Aufmerksamkeit fehlt es nicht an diesem Mittwoch, denn ein echter Star, der früher selbst Kunde war an dieser Ausgabestelle im Kirchsteigfeld, hilft heute mit, die diversen Beutel der Bedürftigen mit Lebensmitteln zu füllen.

Es ist Michael Hirte, dessen Mundharmonika-Klänge einst im Potsdamer Boulevard erklangen mit der Bitte nach einem Euro von Spendewilligen. Doch dann wird das Talent des 1964 im Spremberg geborenen ehemaligen Potsdamers entdeckt – bei der TV-Castingshow „Das Supertalent“. Als „Mann mit der Mundharmonika“ beginnt der nach einem Lkw-Unfall 1991 auf einem Auge Erblindete eine bemerkenswerte Musikerkarriere. Maria Conze ist froh, dass Michael Hirte vor seinem Konzert im Nikolaisaal die Potsdamer Tafel besucht: „Jedes Ereignis, das uns öffentlich sichtbar macht, bringt uns Spender ein.“ Außerdem wird Michael Hirte sehr gemocht von den Potsdamern, die sich aufgrund ihres niedrigen Einkommens an einer der drei Ausgabestellen der Potsdamer Tafel Lebensmittel holen können. Maria Conze: „Er ist unser Idol. Es gehört schon etwas dazu, sich einem Dieter Bohlen zu stellen.“

Auch für die 20 Helfer der Tafel ist der Besuch Hirtes eine willkommene Abwechslung. Der Stargast trägt eine Schiffermütze und eine schwarze Kapuzenjacke. Die Tafelkunden reichen ihm Einkaufstüten mit der Aufschrift Netto, Aldi oder Kaufland. Hirte hält die Tüten auf und Uwe Roessgen füllt sie mit schneller, sicherer Hand. „Auch Sushi?“, fragt der 52-Jährige jeden der etwa 100 Kunden, die an der Ausgabestelle in der Anni-von-Gottbergstraße warten, bis sie dran sind. Roessgen sagt, er sei „sehr zufrieden“ mit seinem Assistenten, doch Hirte winkt ab: „Er arbeitet viel schneller als ich.“ Ausgabestellenleiterin Ulrike Fürstenau, früher mal Lehrerin in Potsdam, nimmt gerne Männer als Helfer, denn die gefüllten Tüten sind schwer und erst recht die Lebensmittel-Kisten, die Supermärkte für die Tafel spenden. Der Mundharmonika-Spieler, der eben noch eine ältere Frau fragte, ob sie „auch einen Joghurt von Landliebe“ möchte, erzählt, wie es früher bei ihm war: „Es gab Tage, da habe ich nicht so viel verdient. Da war es gut, dass es die Tafel gab, da hatte man wenigstens etwas zu essen.“

Immer lauter tönt der Ruf, Hirte möge auf seiner Munti spielen, die er an einer Gürteltasche trägt, als wäre es ein Colt. Hirte geht ins Freie, die Ausgabestelle wird kurz geschlossen. Warum das?, fragen Kunden ungeduldig. Weil Hirte jetzt spielt und die Helfer ihn auch sehen, hören, erleben wollen. Der Mann mit den blauen Augen lässt sich nicht lange bitten. Kurz pustet er in die Munti, dann schwebt eine Melodie über den Platz vor der Ausgabestelle, die alle kennen. Es ist das Pippi-Langstrumpf-Lied. Als Zugabe spielt Hirte „Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus“. Großer Applaus. Die 52-jährige Ursel Gerlach findet Hirtes Erfolg toll: „Es ist doch gut, dass er jetzt seinen Kram alleine bezahlen kann.“

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